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Amerikatz. Wilhelm Bartsch
Читать онлайн.Название Amerikatz
Год выпуска 0
isbn 9788711449585
Автор произведения Wilhelm Bartsch
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Ich fühlte mich damals wie viele von uns noch so frei in der Seele wie der von den Cherokesen abstammende Kevin Costner, der in der Prärie mit dem Wolf tanzte auf den Bildschirmen des Jumbos von British Airlines, der uns 1991 bis in das Herz Amerikas geflogen hatte.
Da fuhr ich los, unter sieben Flugzeugbrücken hindurch, einfach so, aber auch, um zum Beispiel eine Freundin zu suchen. Nicht eine für mich, sondern eine, die einem ehemaligen Panzerhauptmann der DDR namens Gerd Grau davongelaufen war zu den Dakotas ihrer Träume.
Potty in Schierke am Harz hatte mich darum gebeten, und für fünftausend D-Mark. Die konnte ich behalten, wenn ich seinen Kumpel Gerd Grau mit oder ohne Squaw vermutlich in Gilette, X-Cross oder Rapid City, alles Wyoming, finden und Pottys versiegelte Botschaft von Männerhand zu Männerhand überbringen würde. Einmal Dakota, immer Dakota, habe ich da gedacht und gespürt, dass mein Herz immer noch voll Karl May und voller toller Indianerbücher war. Ich habe damals nur nicht ahnen können, dass viel später noch ganz andere Indianer folgenschwer in mein Leben treten würden.
Ich erfuhr also, dass der Hauptmann a. D. schon vor geraumer Zeit aufgebrochen war, um seine Squaw aus Gera wiederzufinden. Als ich dann in Chicago losfuhr, war Gerd Grau allerdings schon eine, wenn auch noch brandneue Legende unter dem Namen One-Stroke-no-Stroke-Man im alten Indianerwesten geworden. Aber das konnte ich da noch gar nicht wissen.
Ich fuhr viereinhalb Stunden aus der Hauptstadt des eigentlichen Westens mit einem echt amerikanischen Auto immer nach Westen durch Amerika. Es gab erst nichts richtig Schönes zu sehen, außer vielleicht Galena, Illinois, wo der grausam gute Nordstaatengeneral und spätere US-Präsident Ulysses Grant einige Jahre lebte. Ich war nun im richtigen Film und fortan unter meist sehr freundlichen Leuten, mehr ist dem nicht an Glücksnachrichten hinzuzufügen. Ich holte mir auch den Jack Daniels im Laden an der Brücke über den Mississippi am Dreiländereck Wisconsin, Illinois, Iowa und trank gleich draußen aus der braunen Tüte. Dann fuhr ich endgültig aus der DDR hinaus und über den mighty mighty Mississippi nach Dubuque in Iowa und hatte noch auf der Brücke einen Tinnitus-Anfall mit dem Ohrwurm »Dancing in the Dark« von Bruce Springsteen. Es waren noch umgerechnet fast dreißig Grad draußen, aber die Bluffs am Mississippi, die Uferwälder und wunderbaren Rolling Hills nach Iowa hinein feierten auch ohne Kälte bereits ihren Indianersommer. Ich begann wohl in diesem Augen-Blick meine recht erfolgreiche Karriere als der uncoolste Detektiv auf Erden.
Ich hielt auf dem Parkplatz der alten, unendlich langsamen Drahtseilbahn und fuhr hinauf zu der Neighbourhood, wo Häuser in zum Teil schönstem American Gothic stehen. In einem davon wohnte ganz allein und ohne Gestattung auch nur der kleinsten Frage nach dem Warum Foggy Gellhorn.
Er war ein Frosch ohne Alter, der laut krähte. Seinen Doktor Watson stellt man sich anders vor. Er umklammerte mich gleich gefühlte dreißig Sekunden lang mit seinen zwanzig Fingern. Sein künftiger Gehilfe, dachte er anscheinend, sollte von Anfang an merken, dass er mit ihm sein großes Los gezogen hatte.
Mir fiel damals auf, dass meine ostdeutschen Klienten sehr oft jemanden in den klassischen Indianergegenden vermuteten, also im Südwesten der Staaten, aber vor allem in den alten Dakota Territories, im Indianerwesten der Prärien.
Es waren keine armen Ostdeutschen, die mich beauftragten. Viele suchten im Grunde nach ein bisschen Kind gebliebenen Leuten, die in ihre frühen indianerroten Bücher ausgewandert und oft genug gescheitert waren.
Obwohl doch schon beträchtlich weit von den Ufern des Mississippi entfernt, hatte Foggys Haus auf dem Dach einen ringsum verglasten Widows Watch wie auch anderswo an den amerikanischen Küsten und vor allem am Mississippi üblich. Von dem aus konnte man tatsächlich auch Haupt- und Nebenarme des Mississippi ganz gut überblicken wie damals die Damen, die nach ihren ankommenden, aber manchmal auch verschollenen oder gar untergegangenen Flusskapitänen Ausschau hielten.
Doch nicht nur der Widows Watch war Foggy Gellhorns Ort, die Welt zu überblicken. Auch sein durch eine Fußbodenluke ersteigbarer Keller war ein solcher. Im Jahr 1991 hatte Foggy dort schon etliche Computer mit Hinterteilen wie von Panzernashörnern auf seinen Tischen stehen, und einige geheime oder gar illegale Microfilme hatte er in wohlgeordneten Schraubgläsern voller Nägel und Unterlegscheiben, Distanzhaken und Universaldübeln versteckt, die oben an die selbst für Foggy bequem erreichbare niedrige Kellerdecke mit ihren Schraubdeckeln angenagelt waren. Allerdings hätte man noch 1991 Hunderte dieser Gläser aufschrauben müssen, wenn man darin nach versteckten Mikrofilmen hätte suchen wollen, die sich außerdem noch als versehentlicher Pfirsichkern, als Rotztuchfragment oder als anscheinend sogar benutzter Tampon einer ausschauenden Witwe abgetarnt hatten und versehentlich in ein Tütchen mit ein paar niedlichen Wäscheklammern geraten waren.
Vermutlich keiner, nicht einmal einer vom FBI, der Räume unter Zeitdruck nach Informationen zu durchsuchen hatte, wäre damals auf die Idee gekommen, Foggy Gellhorns langweilige Sammlung von Kreuzgehängen, Federringen und Schlauchschellen lange zu verdächtigen, Wichtiges zu verbergen. Ich traf 1991 also erstmals meinen kleinen und angeblichen Großcousin und hatte gleich Lust auf seinen perversen Beruf. Foggy mit seinen Flitzeäuglein sah mich übrigens nie auch nur für eine Sekunde richtig an. Ich ihn dafür umso mehr. Der Kerl rief von morgens bis abends nach Gespenstern, also kamen allmählich auch welche, besonders nach 9/11, vom vorigen Jahr ganz zu schweigen.
Meine Verschwundenen aber gehörten eher zu den neueren deutschen Märchen, die keinen Amerikaner groß interessierten.
Ich muss an dieser Stelle von meinem damaligen Klienten Klaus Potocki sprechen. Potty, wie sie ihn nannten, hatte polnische Wurzeln und war Major der Grenztruppen der DDR, musikalischer Bereich, gewesen. Er war Gitarrist und Sänger der ziemlich harten Rockgruppe »MTS« gewesen, die mit einem Auftrittsverbot belegt worden war, noch ehe sie sich »Herzverbrecher« nannte, nicht nur im Harz. Die »Herzverbrecher« wurden schließlich ganz verboten, obwohl oder eben weil Klaus Potocki in jener Zeit sogar zum Major befördert worden war. Es ist unvorstellbar, wie es Potty jedesmal hinkriegte, dass die Verbote wieder aufgehoben wurden, vielleicht, weil er es organisiert hatte, dass sie in Berlin einmal vor beiden Erichs gleichzeitig spielen konnten. Anscheinend waren Honecker und Mielke vergnügt gewesen, und die inoffiziellen »Herzverbrecher« spielten einfach weiter bis Sommer 1989, gut bezahlt von der Nationalen Volksarmee der DDR.
Ich habe Potty mal kennengelernt in meinem halben Jahr bei der Volksarmee in Bad Langensalza. Ich hatte Ausgang und war auf einer Disco gelandet. Die »Herzverbrecher« hatten diesmal schräge Songs von 1813 dabei. Der Major der Grenztruppen der DDR Klaus Potocki trug an der Theke dann sogar eine preußische Uniform, eine der Schlesischen Landwehr, nur ohne das Eiserne Kreuz am Tschako, dafür aber mit übergroßer preußischer Kokarde. So sind wir uns bei einer Reihe von »Absackern« begegnet. Er stammte aus Schierke und war schon als Kind im Oberharz als Freiberufler anerkannt, indem er die Höhlen der Feldhamster ausgeraubt und das Getreide und die Erbsen als Vogelfutter an privat, aber auch an die Zoohandlungen in Wernigerode und Nordhausen verhökert hatte.
Ende 1989 stand Potty höchstselbst in der Uniform eines Majors der DDR an einer Gulaschkanone in der Gegend von Alexisbad und verkaufte Erbsensuppe. Dann erwarb er im Depot seiner gerade friedlich untergegangenen Armee noch weitere Gulaschkanonen und vor allem einige Lkw. Suppen in Riesenkesseln schmecken einfach besser, wusste der Militär Potty und seine Erbsensuppe begann sich nicht nur im Harz herumzusprechen. Im ZDF sagte Potty 1991, dass er in nächster Zeit sechzigtausend Büchsen »Potty’s Original Erbsensuppe« an seinen Geschäftsfreund, den Spezialitätenhändler Stuhlmüller, nach Palm Springs in Kalifornien liefern werde. Doch Stuhlmüller, davon informiert, hatte noch nie was von Potty gehört. Stuhlmüller, heißt es, wurde ganz warm ums Herz bei solch einer Frechheit, zumal er die Ostdeutschen vom Fernsehen her für echte Freiheitskämpfer hielt. So nahm er Potty beim Wort, und der musste zusehen, wie er in kürzester Zeit eine Büchsenproduktion aufmachte. Währenddessen konnte das ZDF schon eine bestens platzierte Werbetafel auf dem Broadway in New York zeigen: »Give Pies a Chance: Potty’s. Germany.« Zack! Besser hätte es noch nicht mal Don