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manchmal das »Mammouth von Humboldt« genannt. One-Stroke-no-Stroke kam mir verdammt bekannt vor, denn Ein-Strich-kein-Strich hieß die schlichte Felduniform der NVA, deren Jacke ich noch nicht mal beim letzten Umknöpfen in Zivil abgelegt hatte. Ich hatte nach der Armee nämlich eine heftige Phase des Angelngehenmüssens, wo ich die Ein-Strich-kein-Strich immer angehabt und mich kein Schwein von Fisch erkannt hatte. Das Kleidungsstück konnte ja schließlich nichts für Honecker und Mielke.

      Humboldt war zur Hälfte dichtgemacht. Aber es gab noch eine riesige Kneipe. Ich war am frühen Nachmittag der einzige Gast. Die Kneipe war ungewöhnlich kahl, fast wie früher im Brandenburgischen. Ich trat an eine Wand, wo ein bunt bemalter Kasten ein pflaumengroßes Stück der Berliner Mauer enthielt. Der Wirt umarmte mich fast, brachte mir statt nur einem Stückchen eine ganze mittelgroße Blaubeertorte und setzte sich zu mir. Nach dem hierzulande wie ein Baseballendspiel im Fernsehen genossenen Fall der Berliner Mauer waren in den klassischen Indianerländern da und dort etliche Sehnsuchtsindianer aufgefallen, erzählte der Wirt von Humboldt.

      Einmal war eine deutsche Busreisegesellschaft in vollem Federornat in Wounded Knee gesehen und von den Einheimischen wie Wesen von einem anderen Stern bestaunt worden. Man dachte erst, es wäre ein kleines Revival der Buffalo Bill Wild West Show gewesen, aber es seien alle nur Weiße im vollsten Federschmuck gewesen. Sie hätten behauptet, die Bowery Dakotas zu sein. Dass es die Bautzener Dakotas gewesen sein könnten, die es wirklich damals noch gab, hatte ich für mich behalten. Fürs Showgeschäft seien die aber nicht gerade tauglich gewesen und ob ich schon wüsste, dass das Showgeschäft, die Konservendose und der Stacheldraht in den alten Dakota Territories erfunden worden seien?

      Freute mich zu hören, und so fragte ich gleich nach dem One-Stroke-no-Stroke-Man, dem »Mammouth of Humboldt«. Der Wirt nickte stark, als hätte er das erwartet, holte uns einen Whisky und erzählte von jener alljährlichen und überall im alten Indianerwesten beliebten Mammutschlacht der Erntemaschinen in Humboldt.

      Die Maschine vom One-Stroke-no-Stroke-Man gehörte dem ziemlich armen Farmer Zatopek und war ein halbes Jahrhundert nicht mehr gefahren. Das spätere »Mammouth von Humboldt« reparierte und schmierte das Ding in einer Nacht beim Schein einer Petroleumlampe, die ihm Zatopek hinhielt oder auch mal heller schraubte. Anfangs wollte Zatopek noch dies und das erläutern oder gar was erzählen, aber das Mammut sagte »No!«. Beim dritten »No!« begriff Zatopek und hielt seine Klappe.

      In aller Herrgottsfrühe warf das Mammut den Motor an. Er lief wie geschmiert. Zatopek wollte eine erste Runde drehen. Es war eine John Deere-Kombine von 1940. Sie hatte neben dem großen Fahrersitz noch einen kleineren für den Farmerssohn. Das Mammut holte Zatopek, der schon raufgeklettert war, wieder herunter. Er wollte ihn auch nicht auf dem Kindersitz bei sich haben.

      Dann stieg er selber hinauf und fuhr ganz langsam eine grollende Acht. »General Yorck!«, rief er vergnügt und lachte. »The Winner is: General Yorck!!« Dieser General Yorck stieg wieder ab und tätschelte sein eisernes Pferd. Dann nahm er Zatopek die Petroleumlampe aus der Hand, sagte in einen Anschein der ersten Morgenröte hinein »Good night, Zatopek!« und ging davon.

      Johnny Persbrand, der wie immer um diese Zeit einen ersten Schluck brauchte, hat es von seinem Küchenfenster aus ein bisschen flackern sehen und hatte gleich gedacht, da schnüffelt doch einer zwischen den bereits aufgefahrenen Giganten herum? Es waren alles wahre Monster, die meisten von McCormick produziert. Persbrand goss sich vorsichtshalber noch einen in sein Zahnputzglas, trank und ging nach draußen. Er verbarg sich an einer Stelle, von der aus er so gut wie alles sehen konnte. Der gute Persbrand hat diese Geschichte aber erst erzählt, als die Schlacht schon lange geschlagen war. Das Mammut hatte keines der feindlichen Fahrzeuge auch nur angerührt, aber sie an den unmöglichsten Stellen inspiziert.

      Am Nachmittag saß das Mammut mit auf der Tribüne vor dem Schlachtfeld, als hätte es erquickend gut geschlafen. Dieses Mal sahen es alle: Das war der One-Stroke-no-Stroke-Man! Er trat in dieser schlichten und präriefarbenen Militärjacke mit grauem Kunstpelzkragen an, wie sie hier noch keiner je zuvor gesehen hatte. Sie hatte nur zwei kleine Brusttaschen mit jeweils einem Knopf aus grauem Nickel und zwei Seitentaschen, in die gerade mal die Hände passen mochten. Die Grundfarbe Graugrün war längs gesprenkelt mit kackebraunen Streifen in noch nicht mal halber Streichholzlänge.

      Diese Jacke war so schlicht wie ergreifend und sah irgendwie nach ganz selbstverständlichen Siegen ohne Hurrageschrei aus. »Ein Strich«, sagte der One-Stroke-no-Stroke-Man und zeigte auf einen der Striche. »Kein Strich«, sagte er, indem er in die Prärie zwischen den Strichen tippte. »Mäd in Dschi Di Ahrr!« Die Feinde tafelten oben auf der Tribüne noch miteinander, und die Highschool Marching Band trat auf. Die wunderschöne Majorette hatte lange vorm One-Stroke-no-Stroke-Man mit ihren herrlich federnden langen Beinen angehalten und ihren Tambourstab wirbeln lassen, doch der One-Stroke-no-Stroke-Man hielt seine Blicke gesenkt. Er knabberte in vollstem Ernst an einem Knochen.

      Der One-Stroke-no-Stroke-Man fuhr tatsächlich die kleine, vor der Schlacht kaum ernstzunehmende John-Deere-Kombine von 1940.

      Wie das so ist auf Erden, hatten die Riesen von McCormick, wenn sie nicht über sich selber herfielen, gleich Gefallen daran gefunden, den Kleinsten zuerst vom Platz zu fegen. Aber dazu war dieser John Deere viel zu schnell und wendig. Keiner konnte ihn kriegen. Er griff blitzschnell und heftig an, meist in Hinterteile und Flanken, lief Slalom unter den langsam zornig werdenden Riesen, hatte Witz, schäkerte und blinkerte mit seinen Äugelein oder fuhr etwas abseits, um seine Yorck’sche Acht erhobenen Hauptes zu drehen, ja der John Deere entwischte einmal bis zur Tribüne und verneigte sich quasi. Für die hellauf begeisterten Frauen, Mädchen und Kinder von Humboldt und Umgebung stand damit der Sieger schon endgültig fest.

      Aber der One-Stroke-no-Stroke-Man wütete noch eine ganze Weile weiter unter all diesen gigantischen Erntemaschinen, bis er sie alle nach und nach in die Knie gezwungen hatte. Wie das aussah! Diese Erntemonster machten alle auf schräge hochdramatische Leichen, aber der Kleine von John Deere von 1940 mit dem One-Stroke-no-Stroke-Man an Bord kam zum Siegerpodest wie ein urgesunder Junge voller Beulen zum Abendbrot. Er strahlte.

      Zur Siegerfanfare griff er sich die Bürgermeisterin und tanzte mit ihr. Es wurde die längste Siegerfanfare, die ich je gehört hab. Jeden seiner Feinde umarmte der One-Stroke-no-Stroke-Man und klatschte mächtig ihre Rücken, den Zatopek knutschte er sogar.

      Der One-Stroke-no-Stroke-Man aß noch drei Steaks, dort drüben an dem Tisch, sagte der Wirt von Humboldt, dann sei er auf einmal und für immer verschwunden. Zatopeks Teller habe gewackelt. Als er ihn hochgehoben hätte, habe der Anteil vom One-Stroke-no-Stroke-Man darunter gelegen. Der One-Stroke-no-Stroke-Man hatte nicht einen Dollar von seinem viel größeren Anteil am Siegerpreis genommen. So was würde keiner in ganz Süd-Dakota vergessen. Dann hatte ich auch noch so ein Steak in Humboldt nehmen, die Gesamtrechnung dem Wirt überlassen und der allmählich hinzugekommenen Familie ausreden müssen, dass auch ich die Berliner Mauer geentert und dann klein gehackt habe.

      Eine Serviererin in Wall Drug, wo ich am Abend nach meinem Besuch in Humboldt immerhin noch Appetit auf eine Idaho-Potatoe mit Quark gehabt hatte, erzählte mir auf meine Frage auch von diesen merkwürdigen Busladungen voller weißer Indianer und hat mir dann noch beim Vorübergehen was ins Ohr geflüstert: »Es waren alles nur verkleidete Kommunisten!« Beim Zahlen hatte ich ihr, mehr im Scherz, gesagt, dass auch das Mammut von Humboldt ein gut bewaffneter Kommunist sein könnte, zumindest ein ehemaliger.

      »No!«, konterte die Serviererin. »Please don’t affront the One-Stroke-no-Stroke-Man!«

      Ich rief Foggy noch aus meinem Motel in Wall Drug an. Ich wollte ihm endlich mal sagen, wie sehr ich inzwischen seine überreichen Recherchen zu Gerd Grau bewunderte. Vor allem aber wollte ich noch was zu all den Geschichten über den One-Stroke-no-Stroke-Man wissen.

      »Da hat gerade gestern was in einer Zeitung aus Omaha in Nebraska gestanden«, sagte Foggy. »Er ist nicht mehr alleine. Man hat nämlich im ›Shanghai‹ in Ogalalla an einem Tisch gleich drei One-Stroke-no-Stroke-Men gesehen. Es gibt ein Foto davon, wie sie ihre Entengerichte als ungenießbar in die Küche zurückgehen ließen und dann, wie die Zeitung berichtete, den Fotografen, nämlich den Koch des Restaurants, bedroht hatten. Die One-Stroke-no-Stroke-Legenden fangen an, sich heftig

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