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Amerikatz. Wilhelm Bartsch
Читать онлайн.Название Amerikatz
Год выпуска 0
isbn 9788711449585
Автор произведения Wilhelm Bartsch
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Meine Umhängetasche mit Untieds Mappe stellte ich ans Bein des altrosa gepolsterten Sessels, griffbereit zum Lesen, falls sich die Damen in ihren Dreißigern mal gemeinsam ihre Näschen pudern gehen sollten.
Da knarzten schon die zerkratzten Dielen des Hauses. Kandida Goytia trat auf. Ihr Kleid bestand aus lauter Applikationen von frisch geschossenen Papageien. Kandida schlenkerte als Handtäschchen zur Feier des Tages eine Flasche Rum. Ihre ohnehin schon großen und schwarzumrandeten Augen wurden noch größer und erstaunter beim Anblick von Adele, gleichzeitig schafften sie es, mir funkelnde Seitenblicke zuzuschießen. Die beiden Damen fielen sich in die Arme und hauten sich gegenseitig auf die Schulterblätter wie Männer, oder wie Ruderinnen eben.
Jan Untieds Manuskript, na bravo, war handschriftlich verfasst.
»Und das ist also Micah, der Vielbeschäftigte! Hallo, Micah!« Ich sprang auf und spürte ihre sanft ritzenden Krallen links und rechts auf meinem Rücken, Kandidas Küsse aber hauchten mich nur an, da steckte ich gleich in einer Gänserichhaut.
»Das wurde ja mal Zeit«, sagte ich. »Guten Flug gehabt, Kandida?« Die Damen kümmerten sich gleich um die Flasche und um das Einschenken.
Die Tinte war blau wie in Schulheften aus der Nazizeit, die Schrift schön, aber ziemlich winzig. War da etwa auch Lyrik bei?
»Ach dieser Dictador Solera!«, rief Adele »Zwanzig Jahre alt ist der immer noch? Du hast doch nicht wieder gleich zwei so junge Diktatores mit, Kandi? Wenigstens hast du deinen Laptop nicht dabei und beide Arme frei für mich!«
Wer sollte denn die vielen allerwinzigsten Korrekturen in diesem Manuskript lesen. Ein Adler mit Lupe vielleicht?
Adele knuffte mich unauffällig, aber derb in den Ellenbogen. »Falls du ein Taschentuch suchst – hier hast du eins!«, zischte sie lieblich und gab es mir. Unsere Kristallgläschen erklangen. Unter Dictador Solero kann es gar nicht so schlimm sein.
»Warum hast du deinem Geschäftspartner nicht gesagt, dass man zu einem kolumbianischen Abendbrot nicht in Mauseleder gewandet kommen muss?«, fragte Kandida meine Kollegin Adele.
»Es ist Haifischleder, liebe Kandida«, sagte ich.
»Pardon, Micah der Hai!«
»Ich bin schon froh, dass er sich nicht wieder mit ›Davidoff‹ eingesprüht hat«, petzte Adele, während Kandida kurz in ihren Taschenspiegel sah, als ob sie den nur jetzt etwas absolut Wichtiges fragen konnte. Sie trippelte mit den Fingerspitzen kurz, aber unschlüssig auf ihrem Kinn herum.
Kandida erhob ihr Glas Rum. »Wenn ich mir euch Schätzchens so betrachte, dann wunder ich mir gar nicht mehr drüber, dass euer Laden nicht besser läuft. Die Eine hat nur im Kopf, so apart auszusehen wie jetzt, und der Andere reitet ständig auf seiner Kanonenkugel! – Was ich doch schon alles über Sie und Ihre Geschichten von Deli gehört habe, Micah! Schreiben Sie’s endlich mal auf!«
»Es gibt schon genug Aufgeschriebenes«, sagte ich.
»Ich lese nur sehr gut Aufgeschriebenes«, sagte Kandida, »aber Sie können das, da bin ich mir ganz sicher! Dass Sie gut sind, Micah, spüre ich schon aus zweiter Hand von Deli«, sagte Kandida.
»Kandida! Bitte!«, rief Adele.
»Ich bin ja jetzt schon ganz Ohr, Micah! Und darauf ein Prösterchen!« Wir tranken bereits den dritten Rum in einem Zug und ich kam mir für einen kurzen Moment wie Joseph Goebbels vor, wie er gerade Marika Rökk anmacht.
›Er war jetzt nur noch verschwistert mit dieser Flasche Linie-Aquavit und hätte ihr am liebsten einen Sitz neben sich für den Flug nach Washington gebucht‹, las ich. Auch das noch, künstlerische Prosa von einem Säufer. Jetzt kann man auch dem jüngeren Untied nichts mehr richtig glauben.
Der Tritt an mein Schienbein kam nicht von Kandida.
»Dieser Mann sträubt sich aber hartnäckig!«, sagte Kandida und tippte mich an.
»’scuse me«, brummte ich unhöflich zu meiner Tasche am Sesselbein.
»Elle und Schere wie ich brauchen Sie nicht, Micah. Schrauben Sie Ihren Füller auf, machen Sie einfach mal – Wortmode!«
»Damit sollen sich andere blamieren«, antwortete ich.
»Er kombiniert eben ständig und schreibt viel auf«, petzte Adele weiter. »Gleichzeitig surft er ständig im Netz.«
»Kennen Sie Yva, bei der Helmut Newton in die Lehre ging, Micah?«
»Was heißt kennen.«
»Die machte auch alles gleichzeitig. Nur ihre Feinde zu beobachten hat sie leider vergessen.«
»Ich gehe hin und wieder mal zu Yvas Fotografien hier im Haus«, sagte ich. »Ich sage vor allem dieser Dame im punktierten Jahreskleid Guten Morgen, es sind nämlich, habe ich selber gezählt, um die 365 weiße Punkte auf dem Stoff. Mir gefällt aber mehr noch, wie das Knie und das Leibchen durchscheinen durch das Seidenkleid.«
»Micah!«, riefen Adele und die Modeschöpferin Kandida Goytia exakt zugleich.
Kandida sah mich lange mit erstaunt leuchtenden Augen an. Dann schüttelte sie ungläubig den Kopf. »Und auch das Durchscheinende«, sagte sie, »nein, ich korrigiere mich, das nur scheinbar Durchscheinende ist ›nur‹ eine meisterhaft erzeugte Illusion an diesem hocherotischen Modell! Gehen Sie und ergötzen Sie sich noch mal dran. Noch hängt das Foto ja da. Aber in ein paar Tagen ist es wahrscheinlich meins.«
»Tut mir leid, wenn ich als Lüstling erschienen bin.«
»Ohne das gäb’s auch das Kleid nicht«, sagte Kandida. »Sie haben einen guten Blick! Selbst Newton hat wahrscheinlich als Lehrling noch nicht gewusst, was Yva da ins Fixierbad gegeben hatte. Wenn sie beispielsweise für gewisse Fotos eine schon damals alte Kamera verwendete, hat sie auch die entlegene Gallussäure, eine Säure der Gallwespe, verwendet. Arktisch schöne Bilder, das sage ich Ihnen! Eine nie wieder so gesehene Körnigkeit wie aus feinstem Sandpapier und mit überirdischen Stichen ins Stahlblau. Diese Werke sind verschollen. Yva hatte auch sonst ihre Geheimnisse. Sie haben aber recht, Micah, in diesem Fall sogar die Punkte auf dem Kleid zu zählen. Leider sind nackte Menschen manchmal viel billiger als ihre Kleider.«
»Mancher kostet gar nichts«, sagte Adele, wohl aus einer gewissen Erinnerung heraus, und suchte mit ihren schelmisch sein wollenden Blicken meine Augen. »Mode ist auch nichts für diesen Winnetou. Wenn man diesen Fellträger aus dem Osten lässt, geht er komplett zu Sack & Asche einkaufen, und dafür braucht der dann keine fünf Minuten.«
Kandida ließ mich nicht aus ihren Augen. »Erzählen Sie noch mehr von dem Gepunkteten.«
»Ich möchte eigentlich nicht«, sagte ich und zwinkerte dabei Adele zu. »In Sachen Mode kann ich höchstens bei DDR-Einkaufsbeuteln mitreden.«
»Also die Wahrheit«, meinte Adele, »sagt er eigentlich doch ganz gern.«
»Jetzt gleich noch was zu dem Kleid«, sagte Kandida. »Yva hat es fotografiert, darum hat es heute noch diesen Geist. Das Modell ›Ruppin‹ aus dem Haus Tietz und Grünfeld ist aber gar kein Kleid, sondern ein besonders schöner Hausanzug. So etwas Elegantes gab es also mal. Ich bin immer noch ganz überrascht von Ihrer Wahl, mein lieber Micah! Ich besitze genau diesen Hausanzug auf ihrem geliebten Foto dort, habe ihn quasi geerbt!« Kandida sah mich mit feuchten Augen an. »Yva hat ihn nämlich meiner Großmutter geschenkt und ging dann zusammen mit ihrem Mann durch einen Schornstein in Majdanek. Dieser Hausanzug von Tietz und Grünfeld war danach für Großmutter tabu. Er gelangte zwar mit ihr nach Cali in Kolumbien, aber sie hat nie wieder einen Blick drauf geworfen. Dieser Hausanzug ist aus herrlich blau-weißen Crepe Satin. Nun wissen Sie auch die Farben, Micah. Es bleibt