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vor, die eigensinnig, aber klug auf nur einem Ton der Tonleiter bestand, aber mit dem vulkanischen Orchester dabei unglaubliche musikalische Katarakte erzeugte und mit einem archaischen Schlagwerk hinterrücks zugange war. Bei jedem dieser Schläge – oder Stöße? – zuckte Katja zusammen und stieß wohlige kurze O’s aus.

      Nicht dass ich allzu eifersüchtig gewesen wäre, aber wir trennten uns wohl auch deshalb, weil sie ein Jahr später den genialen armenischen Komponisten Avet Terterjan zur Uraufführung seiner 12. Sinfonie nach London begleitet hat. Avet Terterjan starb gleich danach in London, und Katja, knochenfahl und ohne jeden Berliner Humor, erzählte mir gar nichts. Sie hat sich dann erholt, war wieder fast dieselbe, aber ohne Flamme für mich. Bei mir war die Flamme übrigens auch aus, aber wenn wir uns irgendwo wiedersehen in Berlin, sind wir gute alte Freunde.

      Dreizehn Jahre später, also quasi erst neulich, fuhr mir ein Stich durchs Herz, als ich Katja von fern in der Bänschstraße in Friedrichshain aus dem uruguayischen Restaurant kommen sah. Ich hätte nach ihr rufen können, aber sie selber, spürte ich, war gar nicht der Anlass für meinen Stich durchs Herz.

      Am selben Abend schrieb ich noch einen letzten Brief an meinen Großvater, vielleicht, um mich von dem Kind in mir zu verabschieden. Es war ein sehr kurzer, vielleicht auch etwas frecher Brief, denn ich unterzeichnete ihn mit Ambrosius Macrobius, der zur Feier seines 1500. Geburtstags einlädt. Im Absender hatte ich mich Micah Makrobian in eigens besorgter armenischer Schrift genannt.

      Zwei Wochen später erhielt ich von meinem tatsächlichen Großvater eine unverhoffte Antwort. Es war ein A4-Brief, sodass ich mich auf etwas Spannendes und Schönes gefasst machte und den Brief mit den seltsamen Stempeln und den zackenlosen Briefmarken erst einmal zwei Hochglanztage lang gar nicht anrührte.

      Dann hielt ich es nicht mehr aus und öffnete den Brief mit dem Brieföffner aus Messing, den ich mir extra dafür in »Mecki’s Basar« gekauft hatte. In Archag Makrobyans Brief stand auf russisch nur eine karge Einladung und wo genau er, allerdings weder telefonisch noch elektronisch, zu finden sei, nämlich in Stepanakert, Republik Nagorny Karabach.

      Die anderen Papiere in der groben Tüte waren neun dicke A4-Blätter mit aufgemalten Schuhsohlen und die dazu gewünschten Modelle und Farben von »New Balance«, und zwar möglichst handgemachte wie aus dem »magasin i malenkaja fabrika tufli« auf der Fifth Avenue Nummer 150 in New York. Wow! Ich war völlig geplättet.

      Tage später dachte ich aber nur noch: So sind wir Makrobiane! Ich guckte mir die Schuhsohlen auf den neun Blättern täglich an und war wohl von Tag zu Tag immer stolzer darauf, dass »wir Makrobiane« vermutlich mehr Vorfahren pro Jahrhundert haben als jeder andere Armenienstämmige. Vielleicht haben die Macrobius/Makrobians ja nur deshalb überlebt, weil sie meist im Alter von sechzehn bis zwanzig schon gezeugt hatten, noch ehe sie kastriert oder in den Katastrophenecken Südosteuropas und Eurasiens umgebracht werden konnten. Ich hingegen war schon mehr als vierzig Jahre alt und sollte so langsam aufpassen, dass wir Macrobiusse hier in Deutschland nicht aussterben.

      Fast hätte ich ein paar Tage später Großvaters Brief zu einem meiner zweiwöchentlichen Besuche bei meiner Großmutter Gertie nach Bernau mitgenommen, um sie noch einmal auszuhorchen, aber schließlich fuhr ich nur dorthin, um sie zu erfreuen, nicht um sie aufzuregen.

      Als ich mir Archags aufgemalte Schuhgrößen beim zweiten Mal, und da als Detektiv, vor die Augen gehalten hatte, sah ich einen ziemlich großen und noch sehr fitten Endsiebziger mit Frau und zwei angeheirateten Tanten, eine davon mit Kerl, zwei Teenagern und einem noch ziemlich kleinen Kind vor mir. Dabei fühlte ich mich ein wenig traurig, denn ich gehöre ja ein bisschen zu diesen ewigen Wanderern, die anscheinend nur solche Spuren auf schlechtem Papier hinterlassen. Der ewig wandernde Ahasver ist nämlich armenischen Ursprungs, wie ich inzwischen nachlesen konnte. So soll es unter anderem in der englischen Chronik des Matthäus von Paris aus dem 13. Jahrhundert stehen.

      Woher ich so etwas weiß und woher ich meinen armenischen Stammbaum ohne Antwort aus Armenien so genau kenne? Vor drei Jahren war ich in Los Angeles zu Gast gewesen bei der A. A. A. A., der Armenian Ancestors’ Association of America. Es hatte sich dort als so ziemlich verbrieft herausgestellt, dass ich nicht nur ein DDR-Bürger a. D. bin, sondern auch vermutlich einer der blaublütigsten AOPs auf Erden. AOP bedeutet Armenian of Old Past. Das Unwahrscheinliche eines so dünnen Fadens meiner Herkunft durch Gegenden und Jahrhunderte, in denen selbst noch die dicksten Seile meist pulverisiert werden, begleitet mich seither und lässt mich Verbindungen manchmal noch da erblicken, wo gar nichts mehr ist, um verbunden zu werden.

      Aber ich war auch ein Armenian of the Present, seitdem mir neun Schuhgrößen auf DIN-A4 geschickt worden waren und ich urplötzlich nicht mehr solo, sondern sogar zu zwölft war. Gerti hat zwar nicht einen Tropfen armenischen Blutes, aber vor Zeiten armenischen Samen in sich aufgenommen und meine Mutter Micaela ausgetragen.

      Sonst würde ich jetzt hier nicht sitzen können und diese Aufzeichnungen machen. Meine Großmutter weiß das alles nicht. Sie würde vor Wut platzen, wenn sie wüsste, dass ich seit mehr als zwanzig Jahren monatlich drei filigrane gelbe armenische Kerzen für sie im Berliner Dom entzünde. Und für Großvater, etwas abseits, natürlich auch drei.

      4

      Das »Bogota« in der Schlüterstraße

      Adele und Kandida hatten sich als Teenager im BRC, im Berliner Ruderclub, am Kleinen Wannsee angefreundet, gerade weil sie sich dort im Einer Canadier unbarmherzig jagten. Dann war Kandida aus Berlin weggegangen, hatte als Model und Modemacherin anderswo die entsprechenden Leute kennengelernt und schließlich richtig Erfolg in Lateinamerika gehabt. Dennoch hatte sie nie den Kontakt zu Adele aufgegeben.

      Eigentlich hätten Adele und ich an jenem Abend noch eine halbe Nachtschicht machen müssen, ich mit Untieds Mappe sogar eine ganze. Aber eben deswegen passten Adele und ich so gut zusammen – wir machten eben keine. Unsere Erfahrungen besagen nämlich manchmal auch: Wer zu früh kommt, den bestraft das Leben.

      Es war noch ziemlich warm draußen. Adele ging mit mir wie üblich untergehakt, als seien wir ein mit den Jahren immer noch problemlos zusammengehöriges Pärchen. Sie trug ein schulterfreies Leinenkleid. Ich mochte ihre Schultern. An eine, die rudert, dachte man angesichts ihrer Schultern gewiss nicht. Allerdings hatten sie seltsame, das heißt seltsam schöne Formen, je nachdem, wie sich Adeles Schulterblätter regten. »Bin ebent ein typischer Hinterhofengel«, hat sie mal gesagt, »und die Scharniere von den Flügeln kannste ja noch sehn.«

      Ihr Engelskleid an jenem Abend war farblos, so sagt ein Farbenblinder wie ich. Es war anscheinend von gedopten Himmelsschneidern geschnitten und von den strengen Seraphim selber noch korrigiert worden. Unterwegs nach unten hat auch noch der Teufel an ihrem Ausschnitt ein wenig gezupft und ihr geraten, ihn mit einem kühn-eleganten Basilisken aus gehärtetem Alpaka zusammenzuraffen, natürlich wieder von Dorothea Brühl. Dazu hatte er noch Adeles Mund von Utas schmollendem Süßkirschenmündchen in eines aus Schwarzkirsche verwandelt. Wieso verliebe ich mich eigentlich nie so richtig in sie?

      Wir brauchen zum Hotel »Bogota« in der Schlüterstraße zu Fuß nicht allzu lange. Adele und ich treffen uns da manchmal in schönen Jahreszeiten zum Frühstück im lauschigen Innenhof mit Esche, Eiche und dem so schön plätschernden Brunnen, wenn wir Arbeitsbummelei beschlossen haben.

      Die Hotelpension »Bogota« existiert zwar erst seit 1964, aber das Haus hat eine noch verrücktere Geschichte als so manches andere Gebäude in Berlin. Benny Goodman spielte hier seine Klarinette erstmals in Europa, und heute noch steigt dieser oder jener Hollywoodstar dort gern ab. Grandiose Gemälde der Moderne gingen hier ein und aus als entartete Kunst, weil hier die Reichskulturkammer der Nazis residierte und die Reichsfilmprüfstelle auch, die oft sogar gemeinsam von Hitler und Goebbels besucht wurde. Wilhelm Furtwängler und Heinz Rühmann mussten zum Entnazifizieren hierherkommen. Hier wurde der Kulturbund der DDR gegründet und Axel Cäsar Springer kriegte von den Amerikanern hier die Papiere zum Betreiben seiner Presse.

      Jetzt steht allerdings das »Bogota« wirtschaftlich auf der Kippe und wird wohl bald dicht machen. Dann würde es wohl noch, wie üblich, eine nostalgische Auktion geben. Das war auch einer der Gründe für die Reise Kandidas gewesen. Sie wollte, hatte

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