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Amerikatz. Wilhelm Bartsch
Читать онлайн.Название Amerikatz
Год выпуска 0
isbn 9788711449585
Автор произведения Wilhelm Bartsch
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Mit diesem DDR-Major, Gitarrenverbrecher, Privatunternehmer und Eulenspiegel habe ich damals gern die Adressen getauscht. Als ich Potty 1991 wiedertraf, bat er mich, bei meiner bevorstehenden Amerikareise nach seinem Freund und Panzerkollegen Gerd Grau zu suchen, vermutlich in den Black Hills. Also verdanke ich es Potty, mich als Erster auf meine schräge berufliche Laufbahn gebracht zu haben.
Die Vereinigten Staaten von Amerika. Die Black Hills. Einer in Oslo kennt vermutlich kaum jemanden in Palermo, und du kannst nicht mal eben so von Kiew aus gleich in Lissabon sein. Menschensuche war damals für mich mehr als heute eine Frage der Zeit und des Geldes. Aber ich durfte ja nicht klammheimlich vor mir selber, nur um zu sparen, einen Gesuchten zuerst an den möglichst nahen oder mir angenehmen Orten vermuten.
Gerd Grau wurde 1987 von seiner Liebsten, einer Squaw der Dakota aus Gera, wegen seiner Staatstreue verlassen. Sie dachte, sie wäre die Freiheit selbst, und hasste ihren Liebsten auf dem Sowjetführungspanzer. Sie ging im Frühjahr 1989 nach dem Westen. Das habe ich Jahre später von Potty erfahren, als ich mal im Harz zum Wandern war und dort eine wirklich leckere Erbsensuppe zu essen bekam und dazu noch meinen ersten richtigen Suchauftrag.
Gerd Graus ehemalige Liebste ging im Frühjahr 1989 gleich bis nach Eden, 19 Einwohner, 32 Quadratmeilen, mitten in Wyoming, wo sie niemand abholte. Wie es mit ihr weitergegangen war, habe ich erst danach erfahren: In Eden gab es ein Geschäft, wo auch Waffen und ausreichend Munition verkauft wurden. Als die Squaw aus Gera da hineinging, um vielleicht jemanden zu treffen, der sie mit nach Rapid City nahm, war keiner da. Es kam auch niemand, um sie zu bedienen. Sie dachte schon daran, sich einfach zu versorgen, ohne zu bezahlen, da kam die Inhaberin, eine alte Dame. Sie bot ganz privat ein Mittagessen an, aber die Liebste a. D. eines DDR-Panzerhauptmanns fragte die Lady nur, ob sie keine Angst habe vor Überfällen.
Warum denn, sagte die alte Dame, hier gäbe es keine Bösewichter. Diese weit und breit einzige Straße ginge von Pinedale nach Rock Springs. Wie wolle denn ein Bösewicht an einem der beiden Sheriffs vorbeikommen?
So geriet sie unter ein paar lasche Geistertänzer mit Whiskyflaschen am Rand der Tanzflächen im Weichbild von Rock Springs, die sich für eigenes Geld tatsächlich etwas Land oder schäbige Wohnungen gekauft hatten. Die Squaw aus Gera war innen tiefrot, nur außen weiß. Sie übersah, dass ihre neuen Leute zwar außen rot, innen aber wohl viel weißer waren als sie.
Sie zwang sich dazu, sich in einen Schoschonen statt in einen Dakota zu verlieben. Der gab sich alle Mühe, sie als die Seine zu betrachten. Er besorgte schließlich sogar eine Wohnung in Rapid City, hatte recht zärtliche Hände, die aus dem Nichts auch mal zuschlagen konnten, und dazu noch zwei minderjährige Kinder. Wider Erwarten war die Sehnsuchtsindianerin auf einmal Doppelmutti. Die beiden Rangen blieben skeptisch. Sie war viel zu viel Indianer. Die Squaw aus Gera schaffte es in ihrer teilweisen Selbstständigkeit, so hübsche echt indianische Tabaksbeutel und Mokkassins herzustellen, wie es nur wenige in Ostthüringen hingekriegt hätten. So kam sie in ihrer neuen Heimat mit ihrem Verkaufsstand auch hinaus in die weite Welt, also bis nach Cheyenne, Thermopolis oder sogar bis nach Deadwood in Süd-Dakota. Sie hieß inzwischen anders und war eigentlich so gut wie unauffindbar, selbst für die meisten der Schoschonen – im Volk ihrer geliebten Dakotas ging der Name dieser Squaw gar nicht erst um.
Ein zufälliges deutsches Indianertürkisschmuckhändlerehepaar aus Bienenbüttel in der Lüneburger Heide, das alljährlich für drei Monate durch den Westen der USA tourte, gab mir dann den entscheidenden Tipp mit Cheyenne, Thermopolis oder Deadwood.
Ich wollte schon immer nach Deadwood in Süd-Dakota, wo in den nächsten Tagen einer dieser Handwerkermärkte stattfinden sollte. Mich hat schon immer das Ding zwischen Wild Bill Hickock und Calamity Jane in Deadwood fasziniert. Calamity Jane hat nicht nur ohne Federlesens Wild Bills Mörder mit einem Hackebeil gestellt, sie hat auch ihrer Tochter, die sie seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hatte, als einziges ein Rezept vererbt für einen Kuchen, der in der Not für zwanzig Jahre mit viel Hirschhornsalz haltbar gemacht werden kann. Ihre Briefe an sie ergreifen mich noch heute.
Was aber war inzwischen mit Gerd Grau passiert? Er hatte es in der Maschine von London nicht nur unterlassen, einige Fragen in den Papieren der Einwanderungsbehörde wahrheitsgemäß zu beantworten, zum Beispiel die, ob er Kommunist oder in irgendeiner kommunistischen Partei Mitglied oder Mitglied gewesen sei. Oder die, ob, wie lange und mit welchem Dienstgrad er zu einer militärischen Formation gehört habe. Er hatte alles durchgestrichen und geschrieben, er stehe ab jetzt unter keinem Befehl mehr. In Chicago wies er bei der Einwanderungsbehörde darauf hin, dass ein amerikanisches Abkommen mit den wiedervereinigten Deutschen in Kraft getreten sei, laut dem auf solche Auskünfte verzichtet werden solle.
Man ließ Gerd Grau rein in die Staaten.
Nun aber meldete der Zentralcomputer, dass ein Mann gleichen Namens, Alters und Geburtsortes ein kommunistischer Panzerhauptmann gewesen war. Dem inzwischen eingeschalteten FBI fiel auf, dass sich der Mann, zwar mit gültigem Pass für die erlaubten drei Monate Aufenthalt im Land, aber nicht ganz rechtmäßig in Chicago einen gebrauchten silbergrauen Chevrolet Corsica mit dem Kennzeichen DEN 2280, Illinois – Land of Lincoln gekauft hatte. Außerdem, schon auf dem O’Hare, sei er für drei Monate der American Automobile Association beigetreten, hätte eine Chipcard der IT & T erworben und telefonierte über einen Operator und die R-Gesprächszentrale in Frankfurt gleich zwei Stunden mit einem Teilnehmer in Leipzig. Da der Mann so gut wie kein Englisch sprechen konnte, aber anscheinend eine Menge Gespräche in den Staaten zu führen beabsichtigte, ließ er dies jemanden, der ihm vor allem nachts zur Verfügung stand, von Leipzig aus bewerkstelligen. Soweit überprüft werden konnte, gingen die meisten Anrufe anfangs in die Bundesstaaten Oklahoma, Arizona, New Mexico, South Dakota, Wyoming und Idaho ein und dort zumeist in den Selbstverwaltungsbehörden von Indianerreservationen. Vielleicht gehörte ja der Mann zu jenen verrückten Deutschen, die sich vor sich selber am liebsten in einer Rothaut verstecken würden.
Gerd Grau hatte Chicago dann auf der Interstate 20 in Richtung Westen verlassen. Auf Anfrage in Deutschland stellte sich heraus, dass der Mann tatsächlich der Vermutete war, gegen ihn aber nichts Nachteiliges vorlag und er im Juli 1990 seinen Abschied aus der deutschen Armee genommen hatte, weil er seinen »Warschauer Treueschwur nicht in eine NATO-Uniform umknöpfen« wollte. So hätte seine Beobachtung erst einmal eingestellt werden können, wenn sich nicht spätestens vom westlichen Ufer des Mississippi, von Dubuque im Bundesstaat Iowa aus, wo der Mann über Nacht blieb, mehr als merkwürdige Dinge ereignet hätten.
In der J.F.K. Street in Dubuque am Mississippi kaufte der Mann, der schon bald im alten Indianerwesten »The Mammouth of Humboldt«, mehr aber noch der »One-Stroke-no-Stroke-Man« genannt werden würde, 400 weiße, rosa und rote Seidennelken bei Hohneckers Fall Silk Flowers and Arrangements. Der Mann änderte nun seine Reiseroute und bog mit seinen 400 Kunstblumen auf dem Rücksitz seines silbergrauen Chevys nach Süden ab. »All for the death«, soll er, von einem Tankwart nach den Blumen befragt, angeblich gesagt haben.
Schon am Tag danach schien er in ein Massaker verwickelt zu sein, das der rotchinesische Student der Ökonomie Zhao Ping Guang auf dem Campus der staatlichen Universität von Iowa in Iowa City anrichtete. Dessen persönlicher Mentor, der dann ermordete Professor DeLendricies, hatte Zhao ein wichtiges Testat verweigert, was dessen ganzes Lebenssystem aus Fleiß und Erfolg zusammenbrechen und ihn Amok laufen ließ. Bei dieser unschönen Gelegenheit war der Seidennelkenmann für einige Sekunden und ganz im Hintergrund sogar bundesweit im Fernsehen als der One-Stroke-no-Stroke-Man zu sehen gewesen.
Mit Glück, wie er sagte, habe Foggy noch herausbekommen, dass kurz vor dem Attentat Gerd Grau ein großes Military-Surplus-Geschäft in Iowa City betreten hatte mit einem gelben Paket unter dem Arm, das möglicherweise ein Kleidungsstück enthielt. Dem Zeugen waren vor allem die vielen Kunstblumen im Chevrolet aufgefallen. Nach einer halben Stunde habe er gesehen, wie Gerd Grau in jener Jacke wieder auftauchte, die ihn zum One-Stroke-no-Stroke-Man machte. Dann sei er in sein Auto gestiegen und losgefahren Richtung Westen. Die Polizeikontrolle anlässlich des Attentats hundert Meter weiter habe er problemlos passieren können.
Einen Tag vor Deadwood bog also auch ich von der Interstate