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Amerikatz. Wilhelm Bartsch
Читать онлайн.Название Amerikatz
Год выпуска 0
isbn 9788711449585
Автор произведения Wilhelm Bartsch
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Und wohl nur in Kolumbien«, sagte Kandida.
»›Nur in Kolumbien‹ ist gut!«, warf Adele ein, froh und zugleich sauer. »Dieses Land kennt inzwischen die ganze Modewelt!«
»Ach was. Ich wohne noch nicht mal in der Modehauptstadt Medellin, Schätzchen, sondern in Cali, und auch Biofashion interessiert mich nur in der Form, wie sie unser Micah eben beschrieben hat, nämlich als Inhalt.« Diesmal war es kein Tritt von Adele, sondern ein zunehmender Druck von Adeles Schuhspitze auf mein Schienbein.
»Aber Kandi!«, lachte Adele nicht gerade übermäßig engagiert. »Warum denn so bescheiden?«
»Ich und bescheiden? Ich bin natürlich viel besser als die meisten und nehme es mit Carolina Herrera auf.«
»Ich kann überhaupt nicht mitreden, höre aber sehr, sehr gerne zu«, sagte ich und glaubte mir sogar. »Dem, was du übrigens heute trägst, merke ich auch ein bisschen Yva an, oder?«
»Ganz ohne Yva geschieht wohl tatsächlich bei mir nichts. Die mein Kleid entworfen haben, nennen sich Jovenes Creadores. Das Modell heißt auf deutsch ›Blatt für Blatt‹. Es liegt ein bisschen in diesem neuen kolumbianischen Biofashion-Trend und ist trotzdem sehr gut.«
Ich sah mir Kandis Kleid jetzt durch das Kaleidoskop meines Rums an, drehte das geschliffene Glas dabei und erblickte ein Karussell, das unaufhörlich lauter Lappen in allen Goldfarben in sämtliche Richtungen verschleuderte. An diesem Rum und seiner Zentrifugalkraft würden alle Entzugskliniken scheitern.
Kandi schenkte wieder mal nach. Ich sah ein bisschen Zunge zwischen aufregenden Lippen und mich ziemlich stimulierende Nasenflügel.
Adele griff zur Flasche, ließ sie aber stehen und winkte ab. Kandi schenkte den Rest nach. »Deli, Schätzchen!«, sagte sie. »Hol doch gleich mal’n neuen Diktator aus mein’ Zimmer runter. Ich bin noch so kreuzlahm vom Fliegen! Und dann erzählt uns Micah eine Geschichte.«
»Ich riskiere es lieber ga nich ers«, sagte Adele mit einem erschreckten Schluckäufchen. »Ich fürchte, ich – fall dann die Trepp – phh – runter. Lass gut sein für heute, Kandi, ja? Und du da, Macrobius? Du muss doch no die Akten da an dein’ Bein durchkuck’n für morgen früh!«
»Wer ßu früh kommt, bestraft das Leben«, sagte ich zu Adele und wendete mich gleich an Kandida: »Mister Vodka Gorbatchov, please open this bottle!«
»Na toll. Isses ma wieder so weit?«, sagte Deli mit pikanter Bitterkeit.
Die Damen waren unter Ausrufen dick und ehrlich kandierten Entzückens auf die Beine gekommen, sie knuddelten und knutschten sich und konnten gar nicht glauben, dass sie sich wiedergefunden hatten in ihrem Zweier-Canadier, diesmal mit einem Steuermann.
Unter der runden roten Markise draußen über dem Eingang zum »Bogota« hörte ich Adeles Feuerzeug einige Male vergeblich schnappen. »Mensch, macht doch, wat ihr wollt, ihr – Schitzchens!«, hörte ich sie noch rufen. Das tat mir aber leid. Allerdings erst am nächsten Morgen auf dem Weg zu Boris Untied.
Kandida nahm dann im Bett ihren Laptop auf den Schoß, eine schnuckelige, unauffällige Fantasiehilfsmaschine, möchte man denken, um schöne Mode und kolumbianische Schönheit zu zeigen.
Kandidas Erzählungen aber, fand ich, waren eher noch verrückter und weitreichender als meine. Es sind aktive Erzählungen, meine waren erloschen, ihre musste man trinken wie heiße Schokolade, meine konnte man bloß knabbern, sie waren passé, gestanzt oder in Silberpapier eingewickelt, Kandidas Erzählungen aber sind fast alle noch mitten im Geschehen, und wer sie dennoch streng vertraulich hört, wird womöglich Mithandelnder. Kein bisschen davon werde ich also verraten.
Das taten in dieser Nacht ganz andere.
Wieso bloß habe ich nicht bei meinem neuen und hochgefährlichen Klienten mit diesen Horrorskypern, diesen Ratters gerechnet?
Wir erzählten jedenfalls in jener letzten Nacht der Unschuld in unserem Leben von früher bei Espresso und Rum, selbst noch beim Tanderadei und im halbwachen Schlummer. Es tut mir so leid, Kandida chida. Das Böse von heute ist völlig unsichtbar und gesichtslos, dagegen erscheinen mir die Stasifritzen, der schreckliche Unabomber von 1995 oder einer im Sprengstoffgürtel heutzutage fast wie Menschen von früher.
»Wie bist du eigentlich zu einem Job gekommen, wo man sein Geld in Amerika verdient?«
»Gut war vor allem, dass ich schnell mitbekommen habe, dass wir als gelernte DDR-Bürger a. D. mit den waschechten Amerikanern mehr gemein hatten, als man selber je hätte glauben können. Aber jetzt kannst du regelrecht zuschauen beim Langweiligerwerden, und auch mein Job verödet zusehends. Die Vereinigten Staaten dieser Geschichten gibt es nicht mehr.«
»Keine Geschichten mehr, Micky?«
»So fürchte ich. Jedenfalls nicht mehr solche. Es lohnt eigentlich nur noch das Diktatorversaufen mit dir, Preciosa.«
»Ich will jetzt aber endlich deine Lieblingsgeschichte aus Amerika hören.«
5
Von Chicago nach Deadwood, Süd-Dakota
Ich kam noch jung genug nach Amerika, um nicht zu scheitern. Es war noch ein Amerika, das man nicht mehr wiederfinden wird. Ich hatte, außer der Tatsache, dass ich auch so hingefahren wäre, als Nichtspieler in der DDR a. D. im Frühjahr 1990 was Vierstelliges im Westberliner Lotto gewonnen und für Amerika zurückgelegt. Dauernd kam dann aber was dazwischen. Doch im späten Sommer von 1991 habe ich mir an einem Sonnabend in Clärchens Ballhaus beim Twisten eine Gespielin tief in meinen Ballen eingetreten. Micha hieß die auch noch. Sie hatte mir dort Twist, Sirtaki und den finnischen Letkiss beigebracht, und zwar innerhalb nur jeweils eines Titels. Da dachte ich, mit der fährst du jetzt einfach nach Amerika.
Ich hatte damals viele Gründe, nach Amerika zu fahren, nicht zuletzt wollte ich endlich mal meinen Cousin Foggy treffen. Vor allem hatte ich aber einen Auftrag, meinen ersten dieser Art überhaupt. Ich sollte nämlich für fünftausend D-Mark Belohnung jemanden im alten Indianerwesten suchen.
»Is wenichstens Las Vegas bei?«, fragte Micha.
»Chicago, Iowa, Wyoming«, sagte ich. »Mecker noch ein bisschen und ich kauf dir stattdessen ne S-Bahnfahrkarte nach Marzahn.«
»Kennst du denn da welche?«, fragte Micha und gab mir zu grübeln, ob in Chicago, Iowa, Wyoming oder in Marzahn.
Edsel Gellhorn ist vermutlich ein Cousin zweiten Grades aus jener verwandtschaftlichen Fantasie- und Müllhalde, die mir meine Oma und meine Mutti hinterlassen haben. Trotzdem ist Edsel Gellhorn, genannt Foggy, jedenfalls seiner Meinung nach, mit mir so leibhaftig verwandt, dass er mich fast wie seinen Bruder in sein Herz, aber auch in seine Galle geschlossen hat. Zu Foggy Gellhorn wollte ich also als Erstes im Spätsommer 1991.
Schon zur Herrgottsfrühe unterwegs nach Tegel, sah ich nur noch eine Zicke in erlogenem Blond: Micha. Sie hatte sich auch ein paar Tussisträhnen à la Ost-Punk gelegt, dass mir gleich meine kurzen Haare zu Berge standen, als ich das sah: eine Friseuse mit geschickten Beinen, das war wohl auch schon alles. Sie quasselte oder meckerte zwar nicht herum, dafür knurrte und muffelte sie öfters urplötzlich, ja sie knuffte und schubste mich sogar an den Türen zu U-Bahn und Bus nach Tegel, weil ich sonst ja auch nicht unbedingt mit der Spitzengruppe irgendwo einsteigen muss. Micha nahm das Knuffen und Schubsen zwar sofort zurück mit Streichelgesten, die mir aber eher wie rigide Reinigungsmaßnahmen einer Mutti mit befeuchtetem Taschentuchzipfel vorkommen wollten – und zugleich war sie anscheinend zu einem, quasi zähneknirschenden, Fick aufgelegt. Ich habe bei ihr in der Flugzeugtoilette gar nicht erst einen hochgekriegt. Ich bin nämlich ein Sensibelchen und unterscheide noch deutlich zwischen Pissen und Samenerguss.
Gleich vorm Eingang des O’Hare-Terminals in Chicago war’s aus. Sie war allmählich auch ohne mich auf ihre hundertachtzig gekommen und zischte vor sich hin. Sie verschwand dann ganz abrupt samt ihrem Gepäck und nahm wohl gar nicht erst an, dass ich sie daran hindern würde.
Ich