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Amerikatz. Wilhelm Bartsch
Читать онлайн.Название Amerikatz
Год выпуска 0
isbn 9788711449585
Автор произведения Wilhelm Bartsch
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Ich drückte mir die Daumen, dass er schnell runter ging. Er benutzte natürlich den Fahrstuhl. Ich horchte ihm wohl eine Ewigkeit nach.
Jan Untied. Ich war also, wahrscheinlich sogar mehrmals, dem Sohn eines Stasigenerals begegnet. Natürlich! Man vergaß doch keinen, der so einen Vater hat!
Ich habe eher zufällig neben ihm bei der Vorlesung in Pankow gesessen, und jetzt, ganz jäh, hörte ich die schrille Stimme wieder, noch viel länger her war das als die Vorlesung mit dem Buchenwaldopfer, eine Stimme auf dem Schulhof. Wahrscheinlich haben wir Jungs damals gerade den Film »Der elektrische Reiter« mit Robert Redford im Kino gesehen. Der mit der schrillen Stimme machte gerade einen großen Fehler, denn er versuchte, das noch zu toppen, und erzählte, dass er in Wandlitz schon oft auf dem elektrischen Pferd von Erich Mielke geritten sei.
Jan Untied hatte es vermutlich nie in eine Clique geschafft.
Nun aber war mir etwas geschehen. Ich ahnte, dass es vor allem etwas war, das ich damals noch gar nicht begreifen konnte, und mit Jans Vater hatte es auch nicht viel zu tun. Ein wahres Verhängnis nenne ich etwas, das nicht kommt, sondern zu dem man hingeht, hingehen muss. Man benutzt dazu Wege, die auf keiner Karte stehen, und so ergibt sich durchaus eine gar nicht folgerichtige Geschichte. Denn erst, wenn man überhaupt die Chance hat, diese Geschichte halbwegs zu überblicken, sind wirklich zusammengehörige Muster zu erkennen. Vielleicht aber auch nur deshalb, weil wir selber es so wollen.
Ich konnte nun nicht mehr vor mir selber verleugnen, dass mich diese Sache sehr zu interessieren angefangen hatte.
»Kommt der Lederrusse etwa wieder?«, hatte Adele geschimpft.
Sie stand hinter der Türschwelle und wollte sie anscheinend keinesfalls überschreiten. Das tat sie sonst immer, wenn ich an meinem Mac saß, schon um vielleicht herauszubekommen, welche meiner Favoriten ich diesmal auf dem PC durchklickte: Botoxmonster, Outfit des Grauens oder Zombie Boy und seine Kollegen. Mein größter Liebling war immer die Mutti von Silvester Stallone.
»Nein«, sagte ich, »kommt er nicht, aber ich könnte morgen hingehen und danach gleich zur Bank.«
»Ich hoffe, deine Seele ist wenigstens fünfstellig!«, rief Adele beim Davonstöckeln. Sie ließ meine Tür weit auf.
»Gibt’s eigentlich ein Zweitexemplar bei Teufelspakten?«, rief sie aus ihrem Büro. »Und zieh dich an! In fünf Minuten gehen wir rüber ins Bogota!«
»Ich wohl lieber doch nicht?!«
»Und wehe, du nimmst diese Stasiakte da auf deinem Tisch zum Lesen mit!«
»Adele! Ich bleib hier bei der Stasiakte!«
»Dann kuckste eben ein bisschen rein, wenn wir Mädels was besprechen!«
»Okay, Nervensäge!« Ich steckte die Akte ein.
»Aber du kommst sowieso nicht dazu, Micah!«
»Also gut, dann noch ein Spritzerchen von Adeles Herrenwasser«, murmelte ich. Eulenohr Adele hörte es dennoch.
»Mach’s lieber nicht! Meine Kandida ist, wie ich dir schon erzählt habe, eine gefährliche Dame!«
»Dieses Zeug von Penhaligon’s schützt mich ja auch davor«, log ich.
»Übrigens – wieviel?«, sagte sie und hakte sich bei mir unter.
»Wenigstens fünfstellig. Ach ja. Einen Vertrag gibt es noch nicht. Bei der Blutentnahme durch den Teufel rollen meine Adern doch immer erst mal weg.«
»Bei dir klappt es doch generell nicht bei der Blutentnahme«, sagte Adele.
Ein größerer Vertrag wie der womöglich anstehende war allerdings notwendig geworden, denn die nicht gerade niedrige Miete und eine beträchtliche Steuernachzahlung standen ziemlich dramatisch an. Es wäre also sehr gut, wenn das schon einen Tag später hätte erledigt werden können. Aber ich wollte diesen Klienten noch nicht wirklich, und Adele merkte mir das an.
So war das eben manchmal, wenn man völlig zu Recht in der wunderbaren Knesebeckstraße in Berlin-Charlottenburg sein Kanzlei-Wigwam errichtet hatte. Adele und ich waren in unserer Firma zugleich der Boss, die Tippse und die Putze. Auf diese Weise überlebt man vielleicht in Wladiwostok, aber nicht in Charlottenburg. Deshalb mussten wir bei sich bietender Gelegenheit wie schwindelfreie Mohawks diesen oder jenen Stahlträger oben in die Berliner Luft einziehen. Berlin hat zumindest eine virtuelle Skyline, aber weil sich alle beteiligten Bauherren und Mohawks meist auch ohne Absprachen ständig von Neuem irgendwie auf die relative Höhe der Vorhaben und Träume einigen, ist diese Skywalkerszene halbwegs real, was die dabei herausspringenden Summen betrifft – auch für den Beruf des Sittenschnüfflers.
Es gibt rein gar nichts Abwertendes über Adele und ihre Arbeit zu sagen, und was die Sitten betrifft, so hat gerade Adele sie ja nicht in Berlin oder anderswo eingeführt. Ich war nur sehr selten mal bei ihr zu Hause gewesen, meist bloß, wenn ich sie abholte. Von ihren Beziehungen zu Männern weiß ich so gut wie nichts, weil sie davon allenfalls karge Andeutungen macht und schnell eingeschnappt ist, wenn ich nachbohre. Allerdings war sie einmal bei mir gewesen – ooops! »But it was a wrong time for somebody new«. Seitdem vermeiden wir meine Höhle. Ich glaube, dass Adele im Gegensatz zu mir so etwas wie neulich nur sehr selten passiert. Bis an einen gewissen Rand aber geht sie schon. Sie hat das Zeug und die Lust dazu.
Einmal, als ich sie vom Coiffeur Savan am Savignyplatz abholen sollte, sah ich sie von draußen durch die Schaufensterscheibe ausgerechnet mit der bunten vorm Gesicht. Für heute ist Schluss mit Arbeiten, hatte ich im Laden zu ihr gesagt und wollte die Zeitschrift aus ihren Händen entsorgen, aber Adele hielt sie fest und ich musste mit ansehen, wie sie den Artikel zu Ende las mit einer sehr süßen Zornesfalte auf ihrer Stirn. Adele Nachtfalter ist oft auch noch bis tief nachts unterwegs, manchmal bin ich auch dabei und staune immer wieder, wie viele Leute sie kennt.
Adele ist trotzdem keine Sittenschnüfflerin. Sie hat allerdings eine feine Witterung und die filigrane Nase dazu – ältere Herrschaften haben sie schon für Uta von Naumburg gehalten, und wenn sie dazu noch gebildet waren, auch für Reglindis vom Naumburger Dom. Beides ist wohl nicht ganz unrichtig. Adeles Erscheinung am nächsten kam jener Mann, der sie mal angeschwärmt hatte als Uta mit dem Lächeln von Reglindis, aber dies mit echt Berliner Grübchen. Auch an ihrer Kleidung wollen die meist Neureichen in Halbseide eher eine wohlhabende Stifterin erkennen, aber Adele entstammt den Mietskasernen und schneidert selber. Nur für ihren Schmuck verausgabt sie sich ein bisschen. Er ist ihr eigentliches Markenzeichen, und die schrägen Silberbroschenfrösche, Möwenringe, Schlangenarmreife und Colliers aus Holzfischen, schönsten Silberknoten oder Spiralen stammen allesamt von Dorothea Prühl. Das ist erste Liga, und wenigstens ein Stück von der ist immer an ihr zu erblicken.
Die Kundschaft dreht sich jedenfalls oft vor der Erscheinung Adele von Strauch wie vor einem Spiegel. Sie adelt noch die allerschmuddeligste Angelegenheit und lädt sie mit Bedeutung auf. Jeder Drecklappen findet sich bei Adele hochkultiviert und hip. Wie sie doch ihre Urberliner Schnauze, wenn es sein muss, durch eine kultivierte Stimme ersetzen kann. Eine multiple Persönlichkeit könnte das nicht besser.
Ohne Adele im Gespann hätte ich längst einen anderen Beruf, und sie auch, denn wir beide sind vielleicht ja eher Künstler und Geisterbeschwörer, als dass wir Detektive sind. Aber eben das macht zuweilen unseren Erfolg aus.
Anfangs hatte sie mich noch Winnetou genannt wegen meiner Fahrstuhl-Abenteuer. Außerdem hat sie wie ich in der Jugendzeit Karl May verschlungen. Als die Spottdrossel, die sie gern ist, meint sie mit Winnetou, wenn sie mich so nennt, immer jenen unkenntlichen Indianer im achten Kapitel von »Krüger Bei«. Sie hat mir einmal, um mich auf den Arm zu nehmen, daraus vorgelesen, nämlich die Stelle, wo sich Old Shatterhand zurückverwandelt in einen biederen Sachsen der Liedertafel. Dann tauchte schließlich Winnetou auf – im Anzug! Er hatte einen Zylinder auf, in den er alle seine Häuptlingshaare gestopft hatte. Auf seinen Spazierstock gestützt, begann er bald zu