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Amerikatz. Wilhelm Bartsch
Читать онлайн.Название Amerikatz
Год выпуска 0
isbn 9788711449585
Автор произведения Wilhelm Bartsch
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Sind Sie sich im Klaren darüber«, fragte ich so scherzhaft und ahnungslos wie möglich, »dass Sie mir, falls wir uns wirklich mit Ihrer Angelegenheit beschäftigen sollten, alle Fäden übergeben müssten, die Sie da in Ihren verschränkten Händen versteckt halten?«
Untied stand auf und streckte mir seine offenen Hände hin.
»Bitte bedienen Sie sich. Sie dürfen alle Fäden nehmen. Ich habe aber, gestehe ich, auch noch einige davon zu Hause gelassen.«
»Also, was wollen Sie, Herr Untied?«
»Micah & Adele ist in meiner Angelegenheit die beste aller Detekteien. Wundert Sie das? Ich suche jemanden.«
»Wie kommen Sie nur darauf, dass wir das besser könnten als Sie?«
Dieser Mann da war quasi ein Kampftaucher und, wie ich längst recherchiert hatte, nicht nur einst Chef einer geheimen Abteilung bei den Grenztruppen der DDR gewesen, die die Amerikaner »Iron Curtain Cleaners« getauft haben, sondern soll auch später eine bis heute sehr undurchsichtige Rolle als Verbindungsmann zum KGB der Sowjetunion und ganz persönlich zu Juri Andropow gespielt haben, durch den der Aufstieg von Gorbatschow erst ermöglicht wurde.
»Ich weiß, ich werde nur Schwierigkeiten bekommen mit Ihnen, Micah Macrobius!«, lachte Untied mit dem Charme eines Schwertransporters aus dem Ural. »Über Geld müssen Sie aber mit mir gar nicht reden. Stellen Sie einfach, sagen wir mal, kluge Rechnungen und ich zahle sofort! Natürlich auch im Voraus. Wissen Sie, warum ich Ihnen so vertraue? Sie haben armenisches Blut in sich, und Sie haben gleich nach der Wende einem Major der DDR-Grenztruppen und einem Panzerhauptmann der NVA geholfen.«
»Von meiner armenischen Verwandtschaft mal abgesehen, können Sie das eigentlich gar nicht wissen.«
»Ich finde auch Ihren Kompagnon und Cousin Foggy Gellhorn in Iowa gut.« Spätestens jetzt musste er meine Verblüffung spüren.
»Wollen Sie mich mit etwas beauftragen oder mich zur Strecke bringen?«, fragte ich. »Ich bearbeite durchweg harmlose, rein menschliche Fälle und habe leider nur noch fünf Minuten für Sie, Herr Untied.«
»In fünf Minuten«, sprach der Haifisch so ganz nebenbei, »bin ich mit Sicherheit noch da.« Er packte eine Mappe aus und legte sie auf meinen Tisch. »Weil ich Ihnen viel mehr bezahlen werde als bereits angekündigt, sollten Sie etwas weniger harmlos als sonst arbeiten. Aber nur keine Bedenken, Micah Macrobius! Ich werde darauf achten, dass Sie sich möglichst immer auf den üblichen Bahnen des Privatdetektivs bewegen können!«
Wieder sah er mich so seltsam wie anfangs an, als ob wir uns schon einmal irgendwo begegnet wären. Außerdem schien der Stasi-Generalmajor a.D. Boris Untied wirklich in der Bredouille zu stecken.
»Ich muss Sie nochmals fragen: Was wollen Sie, Herr Untied?«
»Meinen Sohn finden«, sagte Untied, kaum dass ich meine Frage beendet hatte.
»Warum?«
»Rein persönlich. Andere Gründe spielen keine Rolle.«
»Sind aber vorhanden?«
»Falls ja«, sagte Untied, »klären Sie mich auf.«
»Wie heißt er?«
»Jan Untied«, sagte er irgendwie bedeutungsvoll und sah mir in die Augen.
»Warum wollen ausgerechnet Sie das und kein anderer aus der Familie?«
Boris Untied hielt meinem Blick nicht richtig stand. Und auch ich konnte seinen Blicken nicht folgen. Buschige Leonid-Breshnew-Augenbrauen hatten sich darüber gewölbt. Die verbargen, wenn mich meine Gefühle nicht trogen, einen Vater voller Kummer.
»Ich bin neben Jan noch der Einzige in der Familie. Er scheint schwerkrank zu sein. Es gab immer Streit zwischen uns, bis er mit mir gebrochen hat, aber der Jan bleibt nun mal mein Sohn. Er mag vielleicht doch ein guter Dichter sein, aber ich passe besser ins Leben.«
»Okay. Wo in den USA sollte ich Ihrer Meinung nach Jan Untied am besten oder zuerst suchen?«
»Es passierte da, wo auch die CIA zu Hause ist, in Virginia. Dort ist meinem Sohn einiges geschehen. Bis er schließlich verschwinden musste.«
»Wegen der CIA?«
»Oder wegen dem Heimatschutzgesetz der USA? Lesen Sie das Ding da auf dem Tisch und stellen Sie mir erst danach Ihre Fragen!«
Ich blickte hin zu Boris Untieds Mappe.
»Was ist das?«
»Lesen Sie’s später, dann werden Sie es schon merken«, sagte Boris Untied und erhob sich zu seiner mich erneut überraschenden Untersetztheit.
»Rufen Sie mich an, wenn Sie damit fertig sind!«, befahl er. »Aber bitte Beeilung, Maestro!«
»Untied! Ich bin nur ein kleiner Detektiv mit Aufträgen aus der Alltagswelt der Leute. Setzen Sie sich doch noch mal kurz hin. Wieso eigentlich machen Sie diesen Job nicht gleich selbst? Außerdem haben Sie doch sicherlich Freunde vom FSB oder von sonstwem in Langley, Virginia, wie auch vor allem in Berlin, Moskau und Kabul?«
»Junge«, knurrte mich der Stasibär leise an. Er war natürlich stehengeblieben. »Das fehlte noch! Hast du denn rein gar nichts geschnallt?«
»Doch. Ich hab nur ein Problem. Ich kann einfach nicht für einen wie Sie arbeiten!« Und tschüss, Mietenzahlung, dachte ich noch.
»Das hab ich doch schon mal gehört«, überlegte Untied. »Ach ja, das war von dem, den wir beide suchen wollen. Apropos Kabul: Ich war vor einiger Zeit mal da. Ich sag Ihnen jetzt mal was wegen früher und heute, so viel Zeit muss sein: Kennen Sie diesen – von und zu, na den, der bis vor Kurzem noch ein Ranghoher bei den Grünen gewesen ist? Ich hab den in meine Hotellobby in Kabul hereinkommen sehen. Er hatte gleich sieben Leibwächter mit, die sich augenblicklich nach allen Seiten verdrückten. Einer davon blinzelte mir erstaunt zu. Ich kannte den nämlich! Er war einst bei der rumänischen Securitate. Die verkaufen sich ja auch nur im Pack, diese Kollegen. Die ehemaligen Leute von der Securitate sind heute noch heiß begehrt auf dem Markt – ponimaj? Was – Micah – sagt Ihnen das?«
»Na schön, Untied. Es sagt mir, dass wie üblich die Rotfedern und die Karpfen aufgefressen werden, aber die Haifische weiterhin ungehudelt herumschwimmen. Das kann man übrigens noch halbwegs verstehen. Natur eben. Rotfedern und Karpfen wachsen halt nach. Und die Haifische sind Fachleute und werden gerade heute anscheinend dringender gebraucht als Suppenfische. Wie ist es jedoch mit Folgendem? Gleich nach der Wende wollte ich mal einen Job in einer westdeutsch geführten Firma antreten«, erzählte ich, um gerade nicht vor Untied als Kerzen schwenkender Idealist und Menschenliebhaber dazustehen. »Die Personalchefin war freundlich und offen. Sie sagte, dass sie einen, der schon vor der Wende unter Honecker auch innerbetrieblich aufgemuckt hätte, lieber doch nicht einstellen würden.«
Da lachte der Haifisch: »Das war doch aber richtig, nicht wahr? Genau das meinte ich auch mit meiner Geschichte! Also von welcher Wende sprechen Sie eigentlich?«
Jetzt wurde ich richtig sauer.
»Von folgender Wende«, sagte ich in einem Ton, den ich erst recht nicht bei mir ausstehen konnte – ich dozierte: »Früher hat meine Mutter Arbeit gesucht, kriegte aber in der DDR keine, nur Scheißjobs oder Billigjobs oder dann Kneipe. Wir wohnten in einer Scheißbude. Meine Mutter und ich fuhren manchmal mit dem Fahrstuhl in einem Hochhaus der Leipziger Straße bis nach ganz oben, um nach Westberlin rüberzublicken. Tief im Grün da drüben, sagte meine Mutter jedes Mal, fängt Charlottenburg an. So heißt nämlich heutzutage das Paradies, Micky Mäuschen, hat sie gesagt. Und jetzt? Ich habe ein Büro in Charlottenburg. Ist Ihnen das Wende genug? Ich denke, unser Büro wird Ihre Sache nicht übernehmen können, Herr Untied!«
Ich erhob mich, Untied griff nach der Mappe, aber eine andere Hand legte sich darauf, um den Zugriff zu verhindern. Es war meine. Auch der Körperverstand kann sich mal irren. Oder auch nicht.