ТОП просматриваемых книг сайта:
Amerikatz. Wilhelm Bartsch
Читать онлайн.Название Amerikatz
Год выпуска 0
isbn 9788711449585
Автор произведения Wilhelm Bartsch
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Wilhelm Bartsch
Amerikatz
Ein abgrundtiefer Fall
Roman
Saga
Denk nicht, das Leben sei ein Spiel;
Es ist die Rettung vor dem Tod,
Der Schritt um Schritt, bis an das Ziel,
Stets unter deinen Füßen droht.
Karl May
Erster Teil
Geistergeschichten
... und während ich dies nun schreibe, wird mir bewußt, daß ich schon an diesem ersten Tag durch ein Loch in der Erde rutschte, daß ich landete, wo ich nie zuvor gewesen war.
Paul Auster, Hinter verschlossenen Türen
... hier liegen ungeheure Haufen alter Enden, die drehe zusammen; aber hüte dich: wenn du saumselig spinnst, oder der Faden reißt, so schlingen sich die Fäden um dich her und ersticken dich.
Novalis, Heinrich von Ofterdingen
1
Charlottenburg
Amerikatz hatte ihn verkehrt herum aufgehängt und sofort gesehen, dass er dadurch viel mehr war als Kunst. Nämlich die Einladung, jemand ganz Bestimmten sehr tief unter die Erde zu bringen, und zwar auf die grausige Weise der alten Cherokesen.
Ein schnurgerader dunkler Blitz schießt auf ihrem nächtlichen Schnappschuss von der Brooklynbridge aus tief hinab und wird sich, so fühlt man es gleich, unterwegs mit allen Stufen der Finsternis aufladen.
Der abgrundtiefe Fall Luzifers zeige nur, was in uns allen, wirklich in uns allen stecke, hatte Amerikatz später zu mir gesagt. Es wäre wie eine düstere Erleuchtung im Sekundenbruchteil gewesen, eine Gewissheit, die da längst keine Worte mehr gebraucht hätte.
Der nächtliche Schnappschuss zeigt die fahl erleuchteten Brückenseile auf der Manhattanseite. Verkehrt herum aufgehängt verbreiten die Stahlseile jedoch eine Titanicstimmung wie in die Tiefe sinkende Geländer oder das Netz eines Spinnenungeheuers. Was dahinter ja eigentlich den Nachthimmel abbildet, erscheint hier zwingend als ein nach unten hin abnehmendes Licht, und das weht einen sofort an wie eine Nahtoderfahrung, während aus dem oberen Bildrand das strahlende Märchen des Lebens verschwindet. In diesem Fall sind es das New York World Building und Verizon, der dickste Freund der NSA, mit seinem oben an der Fassade rot strahlenden Haken, als wäre auch dieses Gebäude bereits erledigt.
Mit dem Dreher eines Fotos also, ob nun versehentlich geschehen oder nicht, hatte der ganze Fall seinen fatalen Lauf genommen, wie ich heute weiß. Jan Untied, den ich im Auftrag seines Vaters suchte, war ja in der Nähe von Amerikatz und somit immer auch in der Nähe des unheimlichen evangelikalen Milliardärs Deodat Increase Mason zu vermuten gewesen. Jan hatte den Namen Amerikatz allerdings nicht erfunden. Wer denn dann? Deodat? Boris? Archag?
Oder etwa ich?
Ich werde es beim Aufschreiben all des Unglaublichen mit meinem Parker-51-Füller in die drei großen Moleskine-Hefte schon noch herausfinden. Wenn nicht, soll es auch egal sein. Also ein berühmter alter amerikanischer Füller. Gleich in meinen Apple gehe ich nämlich keinesfalls, ein frisch gebranntes Kind scheut das Web, sogar die eigene Festplatte.
Amerikatz, das ist Jensie Immakoolee Stone, inzwischen eine Meisterin der Land & Body Art. Sie stammt von den Cherokees ab wie Johnny Depp, Jimi Hendrix und Elvis Presley. Wer Jensie Amerikatz nennt, weist also vielleicht sogar unbeabsichtigt nicht nur auf etwas mehr als nur Uramerikanisches, nämlich Präkolumbianisches hin, sondern auch darauf, dass Jensie ein Puma, eine Berglöwin, also ein Cougar ist, nämlich eine ältere taffe Frau. Dabei ist Jensie noch gar nicht alt, aber ihr Haar könnte das durchaus vermuten lassen. Ihre Haarpracht wiederum passt ja auch zu Jensies Cherokee-Namen Immakoolee, der Wasserfall bedeutet. Übrigens hatte auch eine ihrer ersten Arbeiten in der Landschaft, mit der sie Aufmerksamkeit erregte, mit dieser amerikanischen Großkatze zu tun, denn sie trug den cherokesischen Titel Tiv Da Tsi, also Puma.
Ich würde jetzt weiter von Amerika und Amerikatz erzählen, um es hinter mich zu bringen, aber dies hier ist vermutlich auch eine Doppelgängergeschichte, also nicht nur der Fall Jan, sondern zugleich der Fall Micah Macrobius. Und das bin ich.
Ich bin wohl ein ziemlich absonderlicher Detektiv, und ich lasse mich, wenn es sein kann und sein darf, auch gefühlsmäßig, ja sehr persönlich in einen Fall verwickeln. Einer, der mittendrin ist, kriegt bei einem Job, wie ich ihn mache, oft mehr mit als ein Außenstehender.
Das hat bisher meinen Erfolg ausgemacht, und zwar seit 1991 als Einzeltäter und seit 1995 als Adele von Strauchs Partner in der Detektei Micah & Adele, Berlin-Charlottenburg, Knesebeckstraße. Meine Spezialstrecke ist die Suche nach Vermissten in den USA.
Der Fall Jan Untied begann damit, dass der angekündigte Bote von Boris Untied bei uns in der Detektei auftauchte. Ich hörte metallbeschlagene Schuhe im Treppenhaus. Der Heraufeilende nahm zwei oder drei Stufen auf einmal, er hatte also keine Zeit für den eigensinnigsten Fahrstuhl auf Erden. Ich klickte die Webside von »Zombie Boy und seine Kollegen« weg und erwartete nun wirklich so einen Kollegen.
Es gab also auch komplett unbeschädigte Zombies in tadellosen Anzügen, die sich morgens, mittags und abends anscheinend eine halbe Stunde lang die Zähne putzen. Dieser hatte einen silbernen Knopf im Ohr, war aber nicht von Steiff, sondern wohl eher von Grill & Gel. Der Mann war eine lackierte Mohrrübe aus dem Oderbruch, so etwas sehe ich, denn ich stamme selber zu drei Vierteln aus dem Osten der Mark Brandenburg. Er überreichte mir eine auf der Rückseite von Boris Untied beschriebene Visitenkarte mit dem in der Form einer Bitte versteckten Befehl, ich solle am besten der Mohrrübe schon zusagen, dass ich die Sache übernähme, denn dann werde er sich als noch großzügiger beim Honorar erweisen. Ich kritzelte ein »Charascho!« in russischen Buchstaben und den Termin gleich am nächsten Tag auf meine Visitenkarte und ließ sie von dem lackierten Zombie Boy zurückapportieren.
Es geschah allein aus Gier nach Geld, unter anderem wegen der Miete und wohl auch in einem Anfall von blöder triebhafter Neugier. Kaum war die Mohrrübe raus, fing ich meinen Federstrich schon an zu bedauern.
Aber da war was, grübelte ich gleich weiter, da war doch mal was ...
Abends zu Hause blätterte ich die zwei Kisten mit den in meinem Auftrag für mich kopierten Dokumenten der BstU durch, im Volksmund Stasiakten. Ich stieß dort auf ein Dokument, das ein Berliner Stasioberst namens Ungerer von der Abteilung XX, Kunst und Kultur, gezeichnet hatte. Ich wollte schon aufgeben, da kam mir die Idee, das genannte Blatt noch einmal vorzunehmen und nach den Verteilern zu sehen. Links oben als Dritter von Fünfen stand er: Generalmajor Untied. Es muss also ein OV, ein Vorgang mit ziemlich hoher Priorität gewesen sein, den ich da tangiert hatte. Gegenstand war eine Hinterhoflesung in Pankow gewesen, eine Lesung jedenfalls jenseits der Prenzlauer-Berg-Szene. Es ging da auch nicht um Literatur en vogue, sondern um einen biografischen, zeitgeschichtlichen Text, dessen Titel der dort nicht fehlen dürfende Horch & Guck kennerisch mit »Nicht im Regen, aber in der Traufe« angab.
Ich erinnerte mich auch dunkel an einen unansehnlichen, zusammengekauerten Mann, der ständig vor sich hin hüstelte und den man mehrmals zum Wiederholen des nuschelnd Vorgelesenen ermuntern musste. Ich erinnerte mich auch daran, dass ich dem Mann, der im KZ Buchenwald gesessen hatte, aber nicht von 1939 bis 1945, sondern von 1945 bis 1947, trotz all meiner Sympathie nicht so recht hatte glauben wollen.
Aber nicht das interessierte mich jetzt. Ich hatte so eine Ahnung davon, dass damals neben mir irgendjemand gesessen haben muss, den ich gekannt habe. Ich kenne freilich viel zu viele Leute, doch ich wollte mich über diesen Unbekannten näher an den Generalmajor Boris Untied herangrübeln und schlief dabei ein. Im Traum war mir dann ein Stasi-Häuptling mit markantem Kinn erschienen, der spielte mit beiden Händen in seinen Hosentaschen mit seinen Orden. Es klang wie knisterndes, schließlich undeutlich flüsterndes Lametta. Es war kein halbwegs säuberlich in Strähnen aufgehängtes Lametta, sondern es waren eher