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Amerikatz. Wilhelm Bartsch
Читать онлайн.Название Amerikatz
Год выпуска 0
isbn 9788711449585
Автор произведения Wilhelm Bartsch
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Sie hatten, wie gesagt, auch sieben Schlitten nach dem durch Steller überlieferten Bauplan mit zum Verkauf und zum Vorführen in den leider schon maigrünen Tundraweiten um Halle. Vor der ersten Kulissenbibliothek der Welt in den Franckeschen Stiftungen kam es gleich über sie, mit ihrem Alchalalalaj, dem itelmenischen Powwow, zu beginnen. Da waren sie wieder, all die Möwen und Bären, und ich spürte und sah, wie die Wogen des nördlichen Pazifik an die Küste der höchsten und längsten Fachwerkhäuser auf der Welt anbrandeten.
Jemand tippte heftig auf meine Schulter. In einem der Hauptsäle war schon zum Empfang der ersten Ausstellungsbesucher am nächsten Tag das aufgebaut, was von der Stellerschen Seekuh noch übrig war, nämlich ihr einziges dunkles, sauriergroßes, unbezahlbares Skelett aus St. Petersburg. Zwei Itelmenenkinder saßen darin und spielten anscheinend ihre Bahnfahrt nach Deutschland nach. Eines davon hielt ein Glas Sekt in der Hand.
Die Seekuh ist aber zum Glück recht unbeschädigt geblieben. Ich erwähne noch den Schabernack, den die Itelmenen mit einigen zur Eröffnung eingetroffenen Politikern spielten, von denen sich etwa der OB von Halle trotz meiner ausdrücklichen Vorwarnung erschüttert zeigte. Sie hatten den Rücken des OB während seiner feierlichen Rede als Spielleiste für eine Art Kasperltheater mit zwei Trockenfischen und wohl der Pfote von einem Fuchs gemacht und er hatte sich über ein sehr erheitertes Publikum gewundert.
Dann schienen wir uns alle etwas »eingefuchst« zu haben miteinander. Müller-Semrau hatte anscheinend bereits die Koordination mit mir aufgegeben, die ich wenigstens mit einigen Itelmenen gerade noch so hinbekommen konnte, obwohl ich manchmal nicht einmal nachts in mein Hotel entkam.
»Halten Sie sie alle einfach nur in Schach!«, hatte Müller-Semrau mir mal abwinkend zugerufen, als ich zwei der entzückenden Itelmenen-Kleinen, mit denen ich gerade auf der Freitreppe das Belauschen von Kamulen spielte, mal kurz sich selbst überlassen wollte, um ihm einen fliegenden Lagebericht zu geben.
Drei Tage später aber fielen die Schüsse auf dem Pausenhof der Schule. Einer nach dem anderen.
Ich war es schließlich, der den Täter überzeugen konnte, sein Gewehr sinken zu lassen und es dann in einigen Metern Entfernung von uns abzulegen. Schon während von überallher die Sirenen zu hören waren, erklärte ich meinem kleinen Freund Waschka so gut es ging, dass man Schäfchenwolken leider nicht schießen kann. Er bekam Angst vor dem, was nun geschah, und klammerte sich fest um meine Hüften. Wir sahen wohl beide sehr überzeugend zugleich nach Tätern und Überlebenden eines Schulmassakers aus, während uns die Roten und die Weißen umringten. So ging der heulende Spuk der Kamulen ringsum relativ schnell wieder vorbei.
Ich selber war der Schafskopf gewesen, der Waschka das mit den Schäfchen, mäh-mäh-mäh, beigebracht hatte. Schäfchenwolken gab es im windzerblasenen Kamtschatka einfach nicht, und so hatte der Elfjährige die nicht ganz so streng verbotene und verschlossene Kiste geöffnet und das Gewehr genommen, mit dem er schon gut umgehen konnte, um so ein Himmelsschaf zu erlegen. Die waschechtesten Indianer, die ich je kennengelernt habe, stammten allesamt aus Russland.
Müller-Semrau war hell verzweifelt, nachdem ich ihm meinen Beitrag zum Geschehen im Beisein einer attraktiven blonden Dame, seiner guten Freundin aus Berlin, erklärt hatte.
»Ich weiß nicht«, seufzte und grollte er schließlich, »wie ich Ihre Arbeit beurteilen soll! Haben Sie eigentlich alles katastrophal falsch gemacht? Oder soll ich Ihnen für Ihre hervorragende Arbeit danken? Ich weiß es wirklich nicht. Bleiben Sie den Rest der vereinbarten Zeit auf Ihrem Posten und werfen Sie sich notfalls wieder vor einen Gewehrlauf dieser ach so heiteren Gesellen!«
Adele von Strauch schaute mich immer noch laut und hell lachend an.
So hatten mir die Itelmenen den wundervollsten Job auf Erden verschafft. Allerdings nicht auf Kamtschatka, sondern im Charlottenburg meiner Träume.
»Und der kommende Fall?«, hatte Kandida gefragt. »Den du da unterm Tisch so scheel angesehen hast? Er ist sehr heiß und ein bisschen zum Fürchten. Sowas spüre ich. Wird wohl der Fall deines Lebens sein.«
»Ich übernehme ihn gar nicht, Kandida chida.«
Der Berufsverkehr setzte schon ein, als ich völlig fertig im Büro einer Detektei namens Micah & Adele eintraf. Ich kochte mir eine Thermoskanne voll Kaffee, setzte mich so unbequem wie möglich auf einen Stuhl und machte den Fehler, Jan Untieds ersten Teil seiner Erzählung »Virginia Moon« zu lesen.
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