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Die mildeste Vokabel war ‚unverantwortlich‘, während man dem Mann bei jedem neuen Versuch, die Anforderungen an eine adäquate Pflege seiner Mutter zu definieren, treuherzig in die Augen blickte und ihm versicherte, man empfinde nichts als Hochachtung für seine nimmermüde Hinwendung.

      Erst vor wenigen Wochen hatte er bei einem seiner unangekündigten Kontrollbesuche die schnippische, dünne Pflegekraft mit den ungepflegten Fingernägeln bei einem schockierenden Vorgang gestellt. Auch wenn es nicht um heimliches unerlaubtes Rauchen ging oder um die Bestätigung des Verdachts, dass sie die alte Frau zwang, auf der Toilette zu verharren, weil sie es leid war, die Windeln zu wechseln. Alles hätte er toleriert, jeden noch so widersinnigen Rechtsfertigungsversuch über sich ergehen lassen, wenn es um einen Akt gedankenloser Vernachlässigung gegangen wäre. Aber es ging um etwas anderes.

      Im Grunde genommen war er frohen Mutes gewesen, als er bei einem Abstecher von seiner Route den Kastenwagen des mobilen Essendienstes in der Einfahrt sah. Es schien noch etwas früh für die Auslieferung zu sein, aber es keimte kein Verdacht in ihm auf. Das Gras und die Sträucher benötigten einen Schnitt. Er wollte das am Wochenende nachholen.

      Ohne Argwohn war er über die Terrassentür ins Haus gelangt. Der Lieferant bemerkt ihn als Erster. Er versuchte eine beschwichtigende Handbewegung, die gänzlich missglückte, nachdem er die blonden Haare der schmalbrüstigen Pflegerin losließ. Diese stieß ihr knabenhaft kleines Gesäß mit einem routinierten Aufstöhnen zurück und weigerte sich wahrzunehmen, dass das geschrumpfte Glied des Mannes den Pfad der körperlichen Vereinigung verlassen hatte. Der weiße Körper der Frau wies hektische rote Flecken auf. Die rechte Hand des Lieferanten verharrte in der Luft und schielte noch immer begehrlich auf die sich vergeblich windende Pobacke der Pflegerin, die sie zuvor mit schnalzenden Schlägen stimuliert hatte. Der Penis des Mannes hatte beschlossen, sich unter dem fassungslosen Blick des Neuankömmlings vollständig in die Schambehaarung zurückzuziehen.

      Mit einiger Verzögerung drangen die unerwünschten Veränderungen auch zu der engagierten Blondine durch. Ihr abgespreiztes Bein rutschte von der Küchenanrichte und eine verzerrte Mimik aus Trotz und Verlegenheit starrte den Beobachter über spitzen Brüsten an. Der Lieferant zerrte hektisch an seinem grünen Overall, der sich um die Fußknöchel schlang. Er wich dem Blick des Hausherrn aus und widmete sich verbissen dem Ankleidevorgang, als ob ein korrektes Aussehen mit der Absolution von seiner Verfehlung verbunden sei.

      Die Pflegerin hatte ihr Bündel vom Boden gerafft und hielt die Textilien schützend vor ihren mageren Körper. Ihre Rippenbögen waren unter der Haut deutlich erkennbar. Mit vorwurfsvoller Stimme sagte sie: „Können Sie nicht anklopfen?“ Der Mann ignorierte sie. Nur sein Arm blieb ausgestreckt auf sie gerichtet, als wolle er ihr bedeuten, sich ruhig zu verhalten, während er sich zu seiner Mutter umwandte, die mit eifrigen Augen am Küchentisch saß und mehrfach schallend in die Hände klatschte. Sanft strich er ihr über die Wangen.

      „Das Essen steht auf der Anrichte“, stammelte der Lieferant und fuchtelte mit den Armen, um den bedeutungsschweren Satz zu unterstreichen. Mit polternden Schritten nahm er seinen Abschied, ohne das Subjekt seiner Begierde eines Blickes zu würdigen.

      „Essen wir jetzt Suppe?“, sagte die alte Frau. Sie tastete nach dem Hut und zupfte ihn zurecht. „Grießklößchensuppe“, präzisierte sie und die Erinnerung an längst vergangene Zeiten kehrte zu ihr zurück. Voller Erwartung ließ sie ihren Blick zwischen der nackten Frau und ihrem Sohn hin und her wandern. Sie konnte beide nicht zuordnen, aber der Geschmack nach buttrig weichem, geröstetem Grieß und dem unerwartet kräftigen Nachgeschmack nach Muskatnuss war ein mehr als genügender Ausgleich für diese Gedächtnislücke.

      Die Hand des Mannes arbeitete schnell und präzise. Er war enttäuscht, aber dennoch erlaubte er sich keinen Zorn. „Wissen Sie eigentlich, dass es der Forschung gelungen ist, Bierhefe so zu konditionieren, dass sie bei der Entdeckung von Sprengstoff grün leuchtet?“ Seine Stimme war einschmeichelnd und verständnisvoll. Die Nackte war bis zur Wand zurückgewichen und hatte ihr Bündel fallen lassen. Ihr Schamhaar bildete die Form eines Pfeils, der sich auf ihre Vagina richtete. Trotz ihrer abwehrend nach vorne gestreckten Arme und einer Serie schriller Schreie, die die alte Frau mit einem begeisterten Klatschen quittierte, tat das Teppichmesser seine Arbeit. Zwischen den unscheinbaren Brüsten erschienen blutige Striemen, dünn und präzise wie Menetekel.

      „Machen Sie jetzt bitte meiner Mutter die Suppe“, bat der Mann mit ausgesuchter Höflichkeit. Die Nackte wischte sich über den Brustkorb. Ihre Hand war blutbesudelt. Sie sank stöhnend in sich zusammen.

      Er wusste, dass er Probleme bekommen würde, aber das war ihm einerlei. Schwerer wog für die Betroffenen, dass sie mit ihm ein Problem hatten.

      VI.

      Einige Geldscheine und eine hastig verfasste Notiz an den Pflegedienst, dass man für die schwierige Arbeit mit der Pflegebedürftigen eine erfahrenere Person benötige, glättete die Situation notdürftig. Aus der schnippischen jungen Frau war ein ängstliches Bündel geworden, die bei jeder seiner Bewegungen aufschrie und voller Panik aus dem Haus hetzte, sobald er es ihr erlaubte. Er war von alledem unbeeindruckt geblieben und hatte ihr in eindringlichen Worten geschildert, wie sehr ihm an einer harmonischen Lösung gelegen war. Fühlte er, dass ihre Aufmerksamkeit nachließ, genügte ein Griff in seine Jackentasche, um sie vollständig für seine Ausführungen einzunehmen.

      Zur Sicherheit engagierte er anschließend eine kurzatmige, übergewichtige Polin mit einem veritablen Damenschnurrbart, deren strenger Gesichtsausdruck sich nur milderte, wenn sie seine Mutter betreute. Dann umsorgte sie die alte Frau mit Umsicht und engelhafter Geduld, die nicht gespielt war, sondern ihrem Wesen entsprach.

      Sorge bereitete ihm die ungewöhnliche Fixierung der breitschultrigen Frau auf alles, was mit menschlichen Ausscheidungen zu tun hatte. In gedehntem Akzent kommentierte sie mit deutlicher Unzufriedenheit ihre Inspektionen von Toiletten und Bädern, erwähnte die neuesten Erkenntnisse von Proktologen, die von der Mehrheit der Toilettenpapiernutzer nicht gewürdigt wurden und bewirkte, dass ihr Auftraggeber das erste Mal seit vielen Jahren ein Fremdwörterlexikon in die Hand nahm, um mit Erstaunen zur Kenntnis zu nehmen, dass sich auf die Krankheiten des Mastdarms spezialisierte Ärzte ‚Proktologen‘ nannten und sich auch mit Analhygiene befassten.

      Ohne Umschweife verlangte die ungewöhnliche Fachkraft ein neues Toilettenpapier, das keiner der üblichen unappetitlichen Zellhaufen sein dürfe, dessen Prägestruktur bei der Benutzung auf die abgewischte Rosette einen Einfluss wie Sandpapier ausübe. Ideal sei ein sanfter Wasserstrahl oder wenigstens ein hochwertiges Produkt mit einer weichen und reißfesten Struktur.

      An dem eifrigen Leuchten ihres sonst eher ausdruckslosen Gesichtes war abzulesen, dass sie diesen Kampf mit glühendem Eifer und aus innerer Überzeugung verfocht. Ihre sonst so kargen Hauptsätze mit den verzeihlichen grammatikalischen Verstümmelungen wucherten und blühten bei jeder Berührung mit der Thematik und sie dirigierte Argumente und Lesefrüchte, dass es dem Gesprächspartner peinlich sein musste, bisher nicht gewusst zu haben, welchen Wert kleine runde Kiesel für arabische Stämme haben und warum Amerikaner keine Papierfalternation sind, sondern eine solche von Papierknüllern.

      Erst als die stämmige Frau eine mattgelbe Toilettenrolle aus ihrem Umhängebeutel holte und die geriffelte Oberfläche mit einem verzückten Gesichtsausdruck streichelte, war bei ihrem Gegenüber das Maß der Irritation erreicht, das ihn daran zweifeln ließ, ob die neue Pflegekraft nicht möglicherweise ein tief verwurzeltes Problem hatte, das sich leistungsmindernd auf ihren Auftrag auswirkte. Die Obsession der Polin war anstrengend und bizarr, aber beherrschbar, wenn man ihre Ausführungen ernst nahm und die Vorschläge im zumutbaren Rahmen in die Tat umsetzte.

      So wechselte man in dem Haushalt unter dem zufriedenen Schnaufen der neuen Pflegekraft die Toilettenrollen, gesellte neben das trockene Vlies feuchte Tücher einer genau vorgegebenen Marke und bestellte zwei Bidets.

      Es war der ins ungewohnt zärtliche abgleitende Gesichtsausdruck der sonst so geschäftsmäßig distanzierten Pflegekraft und ihr versponnenes Lächeln, das sie fast sympathisch erscheinen ließ, wenn sie das favorisierte Toilettenpapier durch ihre Hände gleiten ließ und dabei genießerisch die Augen schloss, was ihn beunruhigte.

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