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Der Hund an der Balkontür. Seine sich aufbäumende Silhouette hinter den fleischigen Blättern und dem tiefen Blau des Usambaraveilchens. Ein kurzes Jaulen, aber kein Bellen. Ein Schnüffeln, intensiver jetzt. Erneut ein Jaulen, voller Verlangen. Kein fletschendes Knurren, als die Hand die Malzdrops durch den Schlitz schob, den die Balkontür ließ. Eifriges Schwanzwedeln, das die Scheibe malträtierte. Ein kurzes Abwarten, dann ein zufriedenes Abwenden. Es waren immer genau fünf Drops gewesen. Fünf waren es auch heute.

      Das taumelnde Vorrücken eines Körpers. Ein schwerer Fall, ohne das Sofa zu erreichen. Das Geschepper der Flaschen. Ein mühseliges Aufschrauben eines Verschlusses. Knirschgeräusche. Ein unflätiges Rülpsen. Gestank, der sich durch die Ritzen den Weg auf den Balkon bahnte. Geschäftiges Brabbeln. Das Quietschen von Möbeln. Trappelnde Pfoten. Dann Stille.

      Eine Krähe ließ sich lässig auf dem Geländer nieder. Ihre flinken, ölig schwarzen Augen huschten über den kauernden Mann. Sie schlug mit den Flügeln und krächzte heiser.

      Als der Vorhang unvermittelt zur Seite gerissen wurde, fuhr der Sitzende mit einem Ruck hoch und stieß sich den Kopf an der überstehenden Fensterbank. Benommen stöhnend sank er zurück. Das Wellblech schepperte. Der Hund begann mit überschnappendem Eifer zu bellen. Das Gesicht im Fenster war stark gerötet, die Augen stier auf den Vogel gerichtet. Speichelfäden verklebten sich mit dem Bart. Eine geballte Faust hämmerte gegen das Fenster und wurde drohend geschüttelt. Der Vogel wandte sich gelangweilt ab, als erlebte er dieses Schauspiel nicht zum ersten Mal. Aufreizend wippend wanderte er zur anderen Balkonecke und hob ab.

      Der Besucher drückt sein Gesicht an den rauen Beton und zieht den Blouson über sein Gesicht. Der Bärtige lässt die Faust sinken und betrachtet sie verständnislos. Die Gardine hat sich aus der Schiene gelöst und hängt schräg herunter. Ein trunkenes Grinsen zieht den Mund des Bärtigen auseinander. Seine Empfindungen sind betäubt. Er bleibt eine Weile hocken und balanciert den schwankenden Oberkörper aus. Das Veilchen winkt ihm zu. Er weiß, dass er es gießen muss. Er wird es morgen tun. Bestimmt wird er es morgen tun, wenn er nicht mehr so müde ist. Er führt einen Zeigefinger in Richtung seines Mundes und spitzt die tauben Lippen an. Der Oberkörper sackt nach hinten. Bald wird es dunkel werden. Der Hund bellt in weiter Entfernung. Bald wird auch er sich beruhigen. Alles in allem war es ein guter Tag. Jeder Tag mit der Flasche war ein guter Tag.

      Ersticktes Schnarchen bohrt sich in die Nacht, als die Gestalt auf dem Balkon sich regt. Vereinzelt flimmern Fernseher hinter den Gardinen. Die Jugendlichen sind zurückgekommen. Der Beat des Gettoblasters wummert blechern. Ein Lichtfunke glimmt in den Händen des Besuchers auf. Sein Kopf schmerzt, aber seine Gedanken sind klar. Er führt ein abgetrenntes Stück eines blauen Mantels an seine Lippen wie ein gutes Omen. Es würde ihm Glück bringen.

      Seine Hand tastet nach der Hundeschnauze, die jede Regung verfolgt. Er hat alles bereitgelegt. Selbst die kleinsten Geräusche explodieren in die Weite hinaus. Der Besucher konzentriert sich auf die winzige Handkamera. Der Lichtstrahl weist ihr den Weg. Murmelnd dokumentiert er die Kameraschwenks. Er schnippt nach dem Hund, als er die Balkontür sachte nach innen drückt. Das Usambaraveilchen ruht in seiner Tütengruft. Ein halbes Hundegesicht schaut aufmerksam in das Kameraauge und hechelt. Er fingert nach dem Werkzeug und stabilisiert den Lichtstrahl. Der Trinker ist ein schnarchendes Bündel. Der Besucher arbeitet präzise und ohne Hast. Seine Hand vollführt die gleichen Bewegungen wie bei dem Jugendlichen. Er hat die Kamera auf dem Tisch platziert. Das Schnarchen erstirbt. Ein leises Zischen. Dann nichts mehr.

      Die Hand stopft die Werkzeuge zurück in den Blouson und greift nach der Kamera. Einige abschließende Schwenks, kommentiert mit gemurmelten Worten. Abschied von der Hundeschnauze. Ein letzter Check. Er verriegelt die Balkontür. Der Trinker ein lebloses Wrack. Das ernste Gesicht des Besuchers in der Kamera. Er bemüht sich um nüchterne Ernsthaftigkeit. Seine Erektion ignorierte er wie eine lästige Angewohnheit. Jede Kleinigkeit konnte die Wertung beeinflussen.

      Die Wohnungstür schließt die Schwärze der Nacht in den Bauch des Zimmers ein. Die Geräusche und Stimmen in den Bauten beruhigen den Besucher. Er ist dankbar. Von Kindesbeinen an hat er die Stille gefürchtet. Die Plastiktüte war an ihrem Platz. Er wusste eine Abkürzung, die ihn sicher zu seinem Wagen geleiten würde. Mit weit ausholenden Schritten ging er auf den Saum der Nadelbäume zu, bis sie ihn verschluckten. Nur die Plastiktüte war noch einige Schritte weit schemenhaft zu erkennen.

      Dann war der Besucher gegangen.

      V.

      Er wusste nicht, wovon er erwacht war, aber er war sich sicher, dass es nichts Erfreuliches war. Orientierungslos starrte er auf die Leuchtzeiger des Weckers, die den frühen Morgen in fluoreszierende Portionen schnitten und es mit kühler Zurückhaltung ablehnten, an den Schicksalen derer teilzuhaben, denen sie ihren Anteil Zeit zumaßen.

      Endlich hatten seine tastenden Finger die Brille gefunden. Da war ein Ticken in seinem Kopf, das nicht von dem Uhrwerk stammte. Es war ein kleines, beunruhigendes, seltsam quietschendes Geräusch, das ihn hatte erwachen lassen. Lange war es ihm gelungen, die Störquelle in seinen Traum einzubeziehen. Wie immer nach einer außergewöhnlichen Anstrengung war er in einen tiefen Schlaf gefallen. Wie immer hatte er ein Gefühl bodenlosen Stürzens aushalten müssen, das ihn Klafter von seinem Bewusstsein trennte und ihm Träume bescherte, auf die er gerne verzichtet hätte.

      Mit einem leichten Ekelgefühl rollte er den Kopf von dem feuchten Kissen. Ohne es zu prüfen, wusste er, dass auch sein Schlafanzug verschwitzt war und einen unangenehmen Gestank absonderte. Es war der Gestank von Angst und Reue, durchwoben von einem Hauch Erleichterung. Die allzu vertrauten Bilder seiner Träume schwammen in sein Bewusstsein und forderten seine ganze Aufmerksamkeit. Der Skorpion reckte seinen Stachel der Hand entgegen, die immer tiefer herabsank, bleischwer und unerbittlich. Die Gabel mit ihren grotesk vergrößerten Zinken wandte sich mit zeitlupenhafter Grazie von einem rasch aus dem Blickfeld verschwindenden Teller ab und nahm an Fahrt auf, sobald sie des nackten Beines ansichtig wurde. Sie stach darauf zu, riss die Hand mit sich, die sich der wilden Jagd nicht erwehren konnte, blinkte bösartig mit spitzer Metallwehr. Alles in dem Träumer wehrte sich gegen die Selbstverletzung. Er kämpfte und keuchte, zerwühlte Laken in dem vergeblichen Abwehrkampf und tat das erneut in seinem halb wachen Zustand.

      Der abrupte Szenenwechsel verschlug ihm den Atem. Er japste, rang nach Luft und spannte die Muskeln an. Sein Schultergürtel verkrampfte im Schlaf. Kopfschmerzen kündigten sich mit einem dumpfen Pochen an. Für Augenblicke fühlte er sich erleichtert, ohne wirklich beruhigt zu sein. Der Aufstieg über den schmalen, steilen Waldpfad war anstrengend. Er war den Weg in seinen Träumen schon oft gestiegen. Seine Füße versanken mit jedem Schritt in moderndem Blattwerk. Er stemmte sich mit den Hacken in den weichen Boden, bis sich seine Fersen in den Wanderstiefeln an dem Leder unangenehm rieben. Nur noch eine Rechtsbiegung und ein giftiger felsiger Anstieg und er würde auf die prächtige Blumenwiese hinaustreten, deren Blüten sich einer Insekteninvasion entgegenstreckten und die den Blick auf die nahe Hütte freigab. Der Träumer mobilisierte die letzten Reserven, um der feuchten, dunklen Kühle zu entkommen, die nach Pilzverstecken und Tannennadeln roch. Die Zunge klebte an seinem Gaumen. Seine Lungen waren beschwerlich arbeitende Blasebalge. Er haderte mit seiner Kondition. Die Kopfschmerzen hatten sich Paukenschläge als neue Begleitmusik gewählt. Dann die letzten Schritte mit vorgebeugtem Oberkörper und halb geöffnetem Mund. Die Wiese hatte eine Schar Butterblumen als Vorhut an den Waldrand geschickt. Er blieb mit rasselndem Atem stehen und stützte die Hände auf die Knie. Mit zusammengekniffenen Augen suchte er die Hütte.

      Die Erinnerung an das folgende Geschehen ließ den gerade Erwachten die Zähne zusammenbeißen. Er wälzte sich auf die Seite und schüttelte den Kopf, ohne die Bilder aus seinem Gedächtnis bannen zu könne. Wie in einer modernistischen Parodie auf das antike Drama des Sisyphus rollte die Wiese unter den Füßen des Wanderers weg wie eine Kulisse. Er berührte nicht einmal mehr den Boden, strampelte kläglich in seiner Hilflosigkeit, reckte die Arme nach der sich von rechts in rasendem Tempo aufwickelnden Hütte mit den rastenden Spaziergängern. Er vernahm kein Geräusch und keinen Windzug. Alles war unwirklich, voller rasender Farbtupfer, bis der Wald herannahte, in dem er jeden Flecken kannte.

      Der Traum setzte ihn auf dem Pfad ab, der in den dunklen Tann hineinführte, steil zwar,

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