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zur Hand. Es waren schnörkellose Zeugnisse einer gepflegten Gesprächskultur, zurückhaltend, aber mit genügend Persönlichkeit versehen, sodass die Zeilen eine gewisse Wärme ausstrahlten. Bislang war es immer so gekommen, dass seine Mutter recht behalten hatte, wenn sie ihn vor der Raffinesse der Frauen warnte, deren Hauptanliegen es nach den Gesetzen der Natur war, sich um ihre Brut zu sorgen und mit ihren Attributen Männer zu locken und an sich zu binden, die die Gewähr für erstklassiges Erbgut und eine lebenslange Versorgung boten.

      Wie alle Söhne hatte er die weitschweifigen Ausführungen nicht ernst genommen und war mit bitteren persönlichen Niederlagen in seine Karriere als sexuelles Wesen gestartet. Er hatte es nie vermocht, es gekonnt nach außen zu transportieren, dass große, schwingende Brüste ihn ängstigten, ausladende Hintern eine zu grobe Botschaft aussandten und fleischige Schenkel bedrohlich wirkten wie mächtige Zangen, die unter madonnenhaft gerundeten Mädchengesichtern Knechtschaft für den Mann bewirkten, der sich in ihre Obhut begab. Nicht anders war es mit den rachitischen Geschöpfen und ihren flachen Bäuchen, den dürren Beinen in engen Röhrenjeans und den spitzen Brustansätzen auf den schmalen Brustkörben. Sie waren Imitate von Frauen, eifrig flanierende Modeständer, die ihre Magerkeit in die Waagschale im Kampf um die Aufmerksamkeit paarungswilliger Männer warfen und sich ein hohes Maß an Arroganz leisteten, das von dem gängigen Geschmacksdiktat der Frauenzeitschriften herrührte.

      Als persönliche Niederlage empfand er es allerdings, dass er auch bei dem Anblick unspektakulärer Normfrauen keine sexuelle Regung empfand. In einem Alter, in dem sich seine Mutter entschlossen hatte, die Familienplanung ihres Sohnes auf den Weg zu bringen, suchte er noch immer nach dem Auslöser jener adoleszenten Erregung, die bei seinen Altersgenossen zu einem lächerlichen Balzverhalten, zu öffentlich ausgefochtenen Prahlritualen und einem unseligen Hang zu möglichst eng geschnittenen Hosen führte.

      Er wusste es zu schätzen, dass seine besorgte Mutter ihm eine schreiend gelbe Badehose bereitlegte, die mit optimistischem Tangaschnitt seine Geschlechtsorgane hob und nach vorne presste und einen gockelhaft stolzierenden Gang erzwang, der in der Badeanstalt eine gewisse Unruhe unter den weiblichen Gästen hervorrief. Sie schien unter dem Eindruck zu stehen, dass das offenkundige Defizit in der Entwicklung eines gesunden jungen Mannes von Erziehungsfehlern herrührte. In vorsichtigen Gesprächsansätzen versuchte sie herauszufinden, ob die mütterliche Besorgtheit als übermäßige Strenge wahrgenommen worden war, sodass für den Sohn eine Annäherung an das weibliche Geschlecht als eine Art Vergehen gewertet würde. Ziemlich direkt, so wie es ihre Art war, sprach sie das Problem der Homosexualität an und erntete nach ungläubigen Blicken ein prustendes Lachen, das sie mehr erleichterte als sie zugeben wollte.

      Als Ergebnis blieb nur die Vermutung, dass der weitgehend vaterlos aufgewachsene Junge ein wie auch immer geartetes Defizit mit sich herumschleppte, das sich mit zunehmendem Alter selbst regulieren würde. Der Sohn hatte es stets vermieden, den Kummer der Mutter dadurch zu verstärken, dass er sein Wissen um den Tod des Vaters preisgab. Der verständnisvolle Blick des Hausarztes sprach Bände, als er nach flüchtigem Betasten einen Herzstillstand attestierte und so den Vergiftungstod des Haustyrannen kaschierte. Er war es, der die Verletzungen der Mutter nach den Prügelorgien des Vaters mit finsterer Miene versorgte und die Ausbrüche häuslicher Gewalt unter der Decke hielt, weil ihn ein bittendes Gesicht darum bat. Er war es, der sich nach einer angemessenen Trauerphase mit der Mutter in das elterliche Schlafzimmer zurückzog.

      Der Sohn konnte nur spekulieren, glaubte aber dem Kern der Wahrheit nahe gekommen zu sein, wenn er den Arzt als Lieferanten der vielen kleinen Dosen Arsen ausmachte, die den Kaffee des Vaters bereicherten, wenn er nach seinen Seitensprüngen mit Damen zweifelhaften Rufs in den Schoß der Familie zurückkehrte und seinem schlechten Gewissen in gewalttätigen Eruptionen Platz verschaffte. Er pflegte mit der offenen Hand zuzuschlagen, denn als religiöser Mensch unterschied er zwischen gerechter und gottgefälliger Züchtigung und nicht zu rechtfertigenden Prügeln, zu denen nur die unbeherrschten Seelen griffen, deren Platz im Himmel schon zu Lebzeiten verwirkt war. Seine Arme drehten sich wie Dreschflegel im immer gleichen Takt und verwandelten die Mutter in ein wimmerndes Bündel. Das Arsen hatte die erhoffte besänftigende Wirkung auf ihn, und er verlangte nicht mehr den ersehnten Respekt, den er in seine Frau einzubläuen versuchte.

      Der Sohn war vor jeder dieser ‚Sitzungen‘ der Eltern auf sein Zimmer geschickt worden, wo er mit untergeschlagenen Beinen tränenüberströmt auf dem Bett saß und sich große, eingespeichelte Stücke von Papiertaschentüchern in die Ohren stopfte, um den Geräuschen zu entgehen, die sich in sein Herz krallten und ihn folterten. Mehrere Male war der Vater nach Sitzungsende in sein Zimmer gekommen und hatte ihn schweigend angesehen, als suche er Bestätigung. Der Junge konnte dem Blick des sehnigen Mannes mit dem erstaunlich vollen Gesicht nicht standhalten. Mit zittrigen Fingern hielt er ein Teppichmesser in den Händen und schob die schiefe Klinge aus dem Futteral. Es war mehr eine Geste der Hilflosigkeit als eine Drohung, aber sie genügte, um dem Vater die gewünschte Botschaft zukommen zu lassen.

      Skrupel erwuchsen aus den lange zurückliegenden Vorkommnissen keine und der Junge vermisste weder eine Vaterfigur in seinem Leben, noch machte er seine Mutter für mögliche Defizite in seiner Entwicklung verantwortlich. Das Einzige, was er sich aus dieser Zeit behielt, war die Gewissheit der Nützlichkeit eines Teppichmessers.

      Das Schlüsselerlebnis war die Frucht eines schwülen Herbsttages, den er mit Freunden im Schwimmbad verbracht hatte. Kichernde Mädchen in knappen Bikinis vollführten beim Minigolf unbeholfene Verrenkungen, um den Jungmännern Gelegenheit zur körperintensiven Hilfestellung zu geben. Haare wurden zurückgestrichen und Hüften kokett verdreht, während Schminkspiegel ihren Einsatz hatten, um die Wirkung der Bemühungen zu kontrollieren. Mark war von den Ritualen ermüdet. Er hatte einen weiteren Versuch unternommen sich das Feuer des Begehrens anzuerziehen, indem er sich auf ein hübsches Lippenpaar konzentrierte und Bilder heraufbeschwor, die er in einem einschlägigen Magazin gesehen hatte. Tatsächlich vermochte er eine gewisse sehnsüchtige Erwartung zu erzeugen, die halbherzig seine Lenden erreichte und sich sofort verflüchtigte, als der Mund mit breitem Dialekt nichts­sagende Sätze von sich gab. Von dem Ergebnis entmutigt machte sich Mark von dannen.

      Er genoss das Alleinsein, wenn er durch die Straßen streifte und beim Anblick der Häuserfronten, der Geschäfte und Fabriken an deren Innenleben dachte, das faszinierend und fremd sein musste, weil es sich vor Blicken schützte. Ohne zu zögern, war er der kleinwüchsigen Frau nachgegangen, deren Gesicht seltsam faltig und greisenhaft war. Sie mochte ihm bis knapp über die Hüfte reichen und ging mit einem militärisch zackigen, stampfenden Schritt, als wolle sie alle die warnen, die in ihr eine leicht zu überwältigende Beute sahen. Beim Gehen waren ihre gedrungenen Gliedmaßen in ständiger Bewegung und langes schwarzes Haar hing über das rote Kleid. Sie hatte keine nennenswert weibliche Figur, sondern bestand aus einer Ansammlung gedrungener Wölbungen, die durch Gelenke zusammengehalten waren. Die Zwergin wirkte wie ein ungesund geschwollenes, vorzeitig gealtertes Kind, das einer schrecklichen Krankheit zum Opfer gefallen war.

      Zielstrebig war sie in einem Haus mit einem schmucken Vorgarten verschwunden. Mark hatte sich zurückfallen lassen und die Szene genossen. Er war eifersüchtig auf die braunen Fensterläden, die mehr von der Zwergin wissen mochten als er. Mit schmalen Augen musterte er die Haustür, die mit ihrem abweisenden Gehabe seine Neugierde nur noch stärker anstachelte. Ohne über die möglichen Folgen nachzudenken, umrundete er das Haus und kletterte auf einen Stapel von sauber geschichtetem Brennholz, bis er ein Fenster erreichte, das ihm einen Einblick gewährte. Es war ein verlassenes Badezimmer, schlicht und unspektakulär wie Tausende andere. Die Holzkloben hatten dünne Splitter in seinen Händen hinterlassen. Zwei Fliegen paarten sich auf seinem Handrücken und betupften ohne jede Scham nach vollbrachtem Akt den Schweißfilm auf seiner Haut. Er hatte Durst.

      Als der weißhaarige Mann das Badezimmer betrat, wirkte er neben der Zwergin wie ein Riese. Mit winzigen Händen verknotete die Frau die Stricke, die sich um seine Handgelenke und Fußknöchel wanden. Beide wirkten konzentriert und wie ein eingespieltes Team, das darauf achtete, schnell und effektiv zu arbeiten. Mit einem Badetuch unter dem Arm führte die Kleinwüchsige den Gefesselten hinter sich her, wie ein willenloses schlurfendes Bündel. Die Badezimmertür blieb offen und gestattete den Blick in einen weitläufigen Raum mit einer Sitzgruppe. Die untere Hälfte des Mannes wurde durch den Türrahmen

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