Скачать книгу

Tüten voller Kressesaat enthielten, trug den gleichen griesgrämigen Ausdruck zur Schau wie immer. Unter den Haken der schmiedeeisernen Garderobe hatten sich Flaschenbatterien versammelt, die ein gelbliches Schaffell fast verdrängten. Der Alkoholgeruch, der aus den Flaschenhälsen entwich, mischte sich mit dem hartnäckigen Aroma von nassem Hund. Der Besucher wandte sich ab. Die Rezeptionszone seiner Nase war der sensorischen Invasion schlechter Gerüche bereits mit der bekannten Abstumpfungsreaktion begegnet. Nach dem Passieren der Badezimmertür würde es erträglicher werden. Er hatte nicht vor, die Nasszelle mit ihren verschimmelten Gummierungen erneut zu betreten.

      Der Wohnbereich des winzigen Appartements wirkte trist und unwirklich. Die klapprige Küchenzeile führte einen verzweifelten Abwehrkampf gegen noch mehr Flaschen und einige Stapel Wäsche in verschiedenen Verschmutzungsgraden. Ein Tisch auf rachitischen Zahnstocherbeinen und einer Gefolgschaft sperriger Stühle spreizte sich neben einem Schränklein, das mit seinem unschuldigen Buchengesicht mehr als unpraktisch wirkte. Die Schlafcouch war ein Monstrum an gequollenen Kissen und Lehnen, aufgetrieben von altmodischen Sprungfedern und aus voller Seele ächzend, wenn jemand es wagte, sich auf ihr niederzulassen. Sie nahm die gesamte Fensterfront ein und lehnte ihren fleischigen Rücken gegen die Fensterbank. Ein dichter Kattunvorhang in einem einstmals mutigen Design aus braunen und orangen Würfeln schlug dichte Falten und wies das Sonnenlicht zurück. Auf der Fensterbank ruhte ein Stapel Bücher und etwas Geschirr, das den Weg nicht zu der Küchenzeile zurückgefunden hatte. Der Besucher war sicher, dass sich die Titel und Sortierung der Bücher seit seiner letzten Anwesenheit nicht verändert hatten.

      Die ingenieurwissenschaftlichen Werke waren Schatten der Vergangenheit, ebenso wie das mit Filzstift durchkreuzte Bild einer jungen Frau, die mit gespannter Miene in die Kamera blinzelte. Sie war gegangen, eine junge Frau mit Sommersprossen und Pagenkopf und jetzt war sie durchkreuzt, weil der Bärtige ihr im Rausch nichts weiter antun konnte als ihre Präsenz mit fahrigen schwarzen Strichen auszutilgen. Das Bild hatte der Besucher in einem der Bücher gefunden und es still zurückgelegt. Es war unerträglich stickig in dem Raum, der weniger heruntergekommen war, als man befürchten musste. Selbst die abgetretene Teppichware war den Umständen entsprechend reinlich. Der Besucher öffnet die Balkontür. Der Hebel quietschte unerträglich. Vorsorglich hatte der Besucher ein kleines Fläschchen Kriechöl eingesteckt. Auch bei einem Betrunkenen konnte er sich ein solches Geräusch nicht leisten. Er tröpfelte das Öl in das Scharnier und drückte den Hebel mehrfach nach unten, bis er mit dem Ergebnis zufrieden war.

      Geduckt trat er auf den Balkon hinaus. Es war ein rohes Betonrechteck mit einem verschrammten Eisengitter, an dem Wellblechmatten als Sichtschutz verdrahtet waren. Ein dichter Kiefernwald rann in der Ferne zur Stadt hinab. Die Brise war beinahe unerträglich frisch und spülte die Klumpen abgestandener Luft mit jedem Atemzug aus den Lungen. Der Besucher wählte aus einem Sortiment Bonbons sorgfältig den passenden Geschmack und begann gedankenverloren zu lutschen. Von hier aus konnte er die Annäherung des Bärtigen nicht verfolgen. Er war zur Untätigkeit verdammt. Damit hatte er noch nie richtig umgehen können.

      Über ihm wurde die Balkontür mit einem vernehmlichen Knarren geöffnet. Schwere Schritte gingen zur Balkonbrüstung, dann rann Wasser in dünnen Fäden herab und tropfte auf die moosigen Verfärbungen des Betons. Der Rauch einer Zigarette wurde von einer plötzlichen Böe nach unten gedrückt und kitzelte die Nase des Wartenden. Der Besucher hatte sich unter das Fenster gehockt und die Beine angewinkelt. Er umfasste seine Knie mit gefalteten Händen. Vor ihm thronte auf dem schäbigen Campingstuhl sein wichtigstes Beweismittel. Zur Besänftigung der stetig nagenden Nervosität und als Ausdruck der Vorfreude hatte er die Klarsichthülle mit den Zipp Lock Verschluss bereits zurechtgelegt. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Das Bonbon schmeckte wohltuend nach Salbei und Honig.

      Um nicht gegen die Spielregeln zu verstoßen, hatte er sich auf seine Hände gesetzt, die langsam abstarben. Er durfte das Usambaraveilchen nicht berühren, bevor die Aufgabe begonnen hatte. Sicher gab es Wettbewerber, die mit den Aufnahmen und Schnappschüssen schon begannen, bevor das Kräftemessen angefangen hatte. Sie stellten ihre Dokumentationen mit aufgeblasenem Stolz vor und meinten, dass ihre Manipulationen unentdeckt blieben. Ihre Performance ähnelte reibungslosen Choreografien, in die man mit künstlichen Effekten Spannung hineinlegen musste. Die wirklichen Könner bedachten diese glatten Versuche mit mitleidiger Herablassung. Sie wussten, dass man wahre Meisterschaft nicht mit unlauteren Mitteln erreichen konnte. Gestohlene Triumphe waren schal und unmaßgeblich.

      Er sah auf die Uhr und veränderte seine Sitzposition. Der Blouson raschelte. Er hielt den Atem an und biss sich auf die Lippen. Man konnte nicht sagen, dass er es sich leicht gemacht hatte. Als er das Foto der Beute in seinem Mail Account fand, war er skeptisch gewesen. Die angegebenen fünf Kilometer im Umkreis um den in seiner Eingabe definierten Ausgangsort schienen ihn in einen aussichtslosen Suchmarathon zu katapultieren, der ihn in konzentrischen Kreisen von Irrtum zu Irrtum führen würde, bevor er in der blamablen Frustration einer offiziellen Aufgabe endete. Doch es war anders gekommen. Es war ihm gelungen, das Subjekt korrekt zu kategorisieren. Er hatte von Anfang an auf die richtigen Plätze gesetzt und die Reihenhaussiedlung, den Gewerbebereich und die Sportanlagen ausgenommen, sodass sich das Gebiet dramatisch verkleinerte. Seine Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf die verstreut dahin vegetierenden Parkbänke, die Kioske und Supermärkte und den Penner-Treffpunkt in der Unterführung.

      Man konnte den Initiatoren vorwerfen, dass sie nicht redlich mit ihm umgegangen waren, denn das Gesicht des Gesuchten auf dem Foto war noch ein gutes Stück von dem Stadium des Verfalls entfernt, das sich jetzt auf ihm abzeichnete. Andererseits hatte er sich um eine Höchstbewertung von 8 – 9 beworben und musste mit hohen Hürden rechnen. Letztlich hatten sich seine Analysetechnik und seine Menschenkenntnis ausgezahlt. Es waren die toten Augen und die aufgeschwemmten Wangen über dem struppigen Bart gewesen, die ihn auf die richtige Fährte setzten.

      Besonders stolz war er auf die Strategie, die er sich für den Erschwernisfaktor ‚Hund‘ hatte einfallen lassen. Als er die beiden auf der Parkbank neben dem Kreditinstitut entdeckte, war ihm sofort klar gewesen, wie er den Hund ausschalten konnte. Das Tier war offensichtlich ein harmloser Krawallmacher, ein Angstkläffer mit einem hohen Störpotenzial, das jede unbemerkte Annäherung zunichtemachen würde. Nur einmal hatte er nach dem Teppichmesser getastet und in Betracht gezogen, den Hund mit einem gezielten Schnitt mundtot zu machen. Stattdessen hatte er sich in einem Spezialmarkt mit einer Auswahl an Trockennahrung, Snacks und Leckereien bewaffnet und das Tier vor dem Supermarkt angefüttert, wenn es vor Erregung zitternd an der Leine zog und schwanzwedelnd seinen Besitzer herbeisehnte.

      Es waren unscheinbare Malzdrops, die die Wende zum Guten brachten und aus einem bellenden Köter einen zutraulichen Schoßhund machten, der sein Vertrauen an den verschenkte, der mit den Drops daherkam. So geschah es, dass die beiden eine heimliche Symbiose bildeten, die sich in einem verstohlenen Fütterungsritual und einem hechelnden Stillhalten erschöpfte, bevor man sich wieder trennte. Der Besucher hatte damit begonnen, seine Kleidung und das Liegefell des Hundes in der Wohnung mit den Malzdrops einzureiben. Der Geruch wirkte unmittelbar befriedend und besänftigte den Argwohn des Tieres.

      Alles würde davon abhängen, ob der akribisch zu Recht gelegte Fahrplan funktionierte. Das Eindringen bei Tage brachte wichtige Bewertungspunkte, die relative Ausgesetztheit seiner Position einen Abwägungsbonus und die Eleganz der Ausführung eine Aufwertung. Er holte tief Luft und lauschte. Als er das gedämpfte Hundegekläff hörte, fröstelte es ihn. Er zog den Blouson enger um den Oberkörper und richtete die Augen nach oben. Die Dämmerung würde noch auf sich warten lassen. Er hatte keinen anderen Verbündeten als seine Zuversicht.

      Die Eingangstür flog mit brachialer Gewalt auf. Das Winseln des Hundes und das Klirren von Flaschen übertönten einen dumpfen Fall. Unverständliche Worte, guttural und abgeschliffen wie Kieselsteine quollen in das Zimmer. Wieder ein Rutschen, dann ein zorniges Murmeln. Aus der unteren Etage eine keifende Frauenstimme, die eine Serie jugendgefährdender Flüche nach oben schleuderte. Das eifrige Scharren von Krallen. Ein anschwellendes Jaulen. Ein Zustoßen der Tür in mühsamen Etappen. Die Balkontür klapperte. Nur ein Teppichwulst hinderte sie am Aufspringen. Eine Hand näherte sich sachte und krallte ihre Finger in den unteren Rahmen. Wenn jemand die Tür verriegelte oder den Balkon betrat, war es aus.

      Das Adrenalin verdrängte die Vernunft

Скачать книгу