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flehentlichen Bitten der Alten, ihre Wahnvorstellungen und Erpressungsversuche Teil eines normalen Ablaufes waren, dem man mit Nachsicht und einer gnädigen Ignoranz begegnete.

      Sämtliche Klagen über Misshandlungen und Vernachlässigungen seien widerlegbar. Dabei pflegte sie gewichtig auf das Pflegehandbuch zu klopfen, dessen Standards peinlich genau eingehalten würden. Allein die Wahrung der Würde der ihnen Anvertrauten sei entscheidend, weshalb man den Pfleglingen so viel Freiraum gewähre wie nur irgend möglich. Mit einem peinlich berührten Gesichtsausdruck räumte sie dann ein, dass diese Zugeständnisse auch zu Gefährdungen führen können. Friedliches Spiel könne zu kreischendem Zank ausarten. Manche Bewohner nutzten unbewachte Augenblicke, um sich in fremde Zimmer zu stehlen und Gegenstände zu entwenden. Bei einem alten Mann, der seinen Bewegungsdrang auf dem kahlen Stationsflur in langen Märschen auslebte, habe man eines Tages in einem getarnten Schrankwinkel einen Vorrat an Klistieren und Nierenbecken entdeckt, die schon lange als Totalverlust abgeschrieben worden waren.

      Zumeist tauchten Wertgegenstände wieder auf, beruhigte sie die Aufgebrachten mit einem Augenzwinkern. Dennoch häuften sich Nerven zehrende Beschwerden, die sie unsicher werden ließen und ihren Spielraum einengten.

      Sie wollte die Brosche bei einem Juwelier in einer Nachbarstadt schätzen lassen. Selbstbewusst hatte sie das Schmuckstück als Familienerbstück deklariert und war von dem Stirnrunzeln des glattgesichtigen Juweliers überrascht worden. Mit höflicher Skepsis stellte er Fragen nach der genauen Herkunft der seltenen Preziose, ignorierte mit einem wissenden Hüsteln ihre gestammelten Erklärungen und gab die Kostbarkeit der errötenden Frau ohne weitere Erläuterung zum Wert der Brosche zurück. Mit formvollendeter Geste komplimentierte er sie aus der Enge seines Geschäftes hinaus und gab der schlanken Gestalt den unerwünschten Rat mit auf den Weg, sich doch zuerst über die Eigentumsverhältnisse klar zu werden, bevor sie zu einem Verkauf schritte. Die albernen Glöckchen des Türsignals klingelten noch lange in ihren Ohren und sie musste sich zusammenreißen, um nicht fluchtartig davon zu stürzen.

      Mithilfe einer abgewandelten Medikamentengabe vermochte sie es, die Halluzinationen der Heimbewohnerin, die weder ihren umständlichen Sohn noch die Brosche vermisste, zu verstärken und die lauernden Schatten aus den Zimmerecken und Gangkrümmungen zu beschwören, sich mit der weißhaarigen Alten zu befassen, die die Schattenrissdämonen auf sich zukriechen sah und ihre gefesselten Arme vergeblich zu ihrem Schutz nach oben schlagen wollte, bis ihr Herz stehen blieb.

      Der Todesengel fand für jeden Patienten die eigene ihm angemessene Behandlung und mehrte mit Disziplin und Fleiß ihre Bargeldbestände und barg herrenlosen Schmuck in einem hübschen Kästchen.

      Es waren nicht die Tode der alten Menschen gewesen, die die Untersuchungen auslösten, sondern eben dieses Kästchen und ihre Hände, die sie nicht mehr von ihrem Tun abhalten konnte, nachdem sie einmal von dem Plan erfahren hatten. Ihre Erinnerung an den Vorfall war erstaunlich verschwommen. Sie war nach Hause gekommen wie immer, war übel gelaunt und erschöpft die Treppe zu der Eigentumswohnung hinauf gegangen und hatte den Geruch nach fettigem Essen gegen den Gestank nach gealtertem, lebendem Fleisch eingetauscht. Sie hatte sich unter die Dusche gestellt und sich gewünscht, dass hinter der braunen Tür am Ende des Flurs der geräuschvoll schlafende Männerkörper verschwunden sein möge, der so viel Abscheu in ihr auslöste. Wie immer zögerte sie den Augenblick des Zusammentreffens hinaus und schrie auf, als ihr der Mann, der ihr fremd geworden war, anklagend das geöffnete Kästchen entgegen hielt. Sein irritierter Blick und die fordernde Haltung warteten auf eine Erklärung für den Fund. Er hatte das Geheimfach in dem von den Großeltern vererbten Sekretär entdeckt und bei einer seiner Schnüffelaktionen den Mechanismus ausgelöst, der ihm den Schatz in die Hände spülte. Er hatte Unterschlagung vermutet und Mord gefunden.

      Alles an ihm wirkte anklagend: die geschürzten Lippen, die haselnussbraunen, um den Schlaf betrogenen Augen, die unattraktive Schlafanzugshose mit dem verwaschenen Streifenmuster und die Lederpantoffeln, die seine Schritte unhörbar gemacht hatten.

      Sie hatte sich sorgfältig abgetrocknet und geschminkt. Mit einem hohen Geräusch im Kopf, das von Schläfe zu Schläfe reichte und ihre Empfindungen betäubte, war sie stumm durch die Wohnung gewandert, den Kästchenmann an ihrer Seite. Ihr Zeigefinger auf den Lippen verhinderte, dass er das Wort an sie richtete. Sie würde ihm ihr Geheimnis offenbaren, aber dazu bedurfte es einiger Vorbereitung. Wie eine Schlafwandlerin regelte sie die Beleuchtung und warf Licht und Schatten über die akkurate Anordnung fantasieloser Qualitätsmöbel. Alles war an seinem Platz. Alles, bis auf das Kästchen und den stumm geschalteten Mann.

      Als sie im Schlafzimmer das Kästchen seinen Händen entwand und ihn sanft auf das Laken drückte, war sie sich nicht im Klaren, was sie als Nächstes tun würde. Früher, so erinnerte sie sich mit einem Schaudern, hatte seine dichte Körperbehaarung eine wohlige Faszination bei ihr ausgeübt. Geistesabwesend fuhr sie ihm mit spitzen Nägeln über die Brust. Er hatte die Augen geschlossen.

      Sie nestelte an seiner Hose. Wahrscheinlich war es sein sonnengebräunter Optimismus, sein ungestümes Verlangen und seine Leichtigkeit gewesen, die sie in seinen Bann gezogen hatten. Aber unter der Oberfläche des Eroberers hatte sich der Mann mit den markanten Gesichtszügen als flach und ambitionslos erwiesen. Er war mit seinem Leben und der Frau an seiner Seite zufrieden, aß, arbeitete und sah fern, reihte Ignoranz an Bedürfnislosigkeit und ersäufte sie in einem Meer ehelicher Gleichförmigkeit, die nur von gelegentlichen Eifersuchtsszenen unterbrochen wurde. Ihm fehlte das Streben, der Ehrgeiz etwas Besonderes erreichen zu wollen, der Antrieb zu anderen Ufern aufzubrechen. Seine Zuneigung war zunehmend erstickend wie ein Schlinggewächs, das sich auf die Sinne legte und jede Wachheit erdrosselte. Sie nahm ihn hin wie eine Last, deren man sich nicht entledigen konnte, bis er das Kästchen auf sie richtete.

      Mit dem Zeigefinger auf den Lippen war sie in den Abstellraum gehuscht und hatte gefunden, was sie suchte. Schon lange hatte sie sich ihm nicht mehr genähert. Er dünstete seine Dankbarkeit förmlich aus, als sie begann ihn zu kneten. Ihre sexuellen Erfahrungen erschöpften sich in den verschiedenen Spielarten des Koitus, die man voller Erwartung ausführt, ohne die erhoffte Belohnung zu erfahren. Der gebräunte Bauch zitterte unter ihrer Berührung. Er war ihr erster und einziger Mann gewesen und hatte sie gelehrt, dass der Geschlechtsverkehr ein weit überschätzter, gänzlich unzulänglicher, roher und schwächlicher Vorgang war, bei dem sich Körper ungelenk und stets am Rande von Muskelkrämpfen aneinander rieben und in lächerlichen Posen verharrten, um verbissen fortzufahren bis zu einem fadenscheinigen Erguss, der im schlimmsten Fall zur jahrzehntelangen Alimentierung eines undankbaren Balges führte.

      Sie war bei seinem Schamhaar angelangt und knetete sein pralles Glied mit der Inbrunst, von der sie hoffte, dass sie ihn von dem durchdringenden Spiritusgeruch ablenken würde. Ihre Finger arbeiteten die Paste ein, die sie sich in die Handflächen gedrückt hatte. Er hielt den Atem an. Gleich würde er einen leisen, jammernden Ton der Befriedigung von sich geben, den sie schon zu Beginn ihrer Beziehung gehasst hatte. Es wurde Zeit. Sie führte seine Hände zu seinem Glied, wo sie sofort ihre Arbeit aufnahmen. Er hatte den Kopf zur Seite geworfen. Sein Körper war angespannt. Er schwitzte.

      Das Sturmfeuerzeug setzte zuerst sein Schamhaar in Brand. Zuerst züngelte es dürftig, fraß sich dann rasend weiter und erfasste die Hautpartien und den Penis wie einen Flächenbrand. Entflammte Männerhände schwenkten die brennende Männlichkeit wie ein Opfertier. Die Frau hatte sich bis zur Wand des Zimmers zurückgezogen und wischte ihre Hände an ihrem Bademantel ab. Sie fühlte sich nicht verantwortlich für das Schauspiel.

      Der Mann wälzte sich, schrie mit hervortretenden Adern, schrie mit sehnigem Hals, schrie mit überschnappender Stimme, schrie mit verbranntem Unterleib, auf den er mit einem Bettlaken fortwährend einschlug. Dann hörte er auf zu schreien. Glotzend wie ein Frosch kollabierte er und beschmutzte den rohweißen Hirtenteppich. Rosa Schaum quoll aus seinem Mund. Er hatte sich in dem vergeblichen Versuch, die Schmerzen zu kontrollieren, auf die Zunge gebissen.

      Mit distanziertem Interesse sah sie auf ihn herab. Der Klang in ihrem Kopf war dumpfer geworden, nicht mehr so drängend. Sie hatte den ersten Schritt unternommen. Sie hoffte, dass er die Botschaft verstanden hatte. Es war ganz alleine ihr Kästchen und ihr Leben. An der Seite des Lakens machte sie eine feuchte Stelle aus. Sie zerrieb einen Überrest Sperma zwischen

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