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zu und arbeitete mit sparsamer Gestik. Als die Sprache auf die Symptome der Altersdemenz kam und er die Probleme der richtigen Auswahl passender Pflegekräfte anschnitt, erlaubte sie sich den Anflug eines Lächelns, während er seine Anekdoten ausbreitete wie eine Auswahl missglückter Manöver. Mit der Autorität einer Fachkraft, aber im Tonfall wahren Mitgefühls versicherte sie ihm, dass er die Pflege seiner Mutter ausgezeichnet organisiere und die anale Fixierung der tüchtigen Polin kein Grund zur Beunruhigung sei. Mit nach oben gedrehten Augäpfeln tat sie so, als rufe sie sich wissenschaftlich fundierte Werte ins Gedächtnis zurück und dozierte mit weicher Stimme, dass erfahrene Pflegekräfte häufig einen für andere ungesunden Hang zu Desinfektionsmitteln, Hauterkrankungen und Hygieneproblemen im weitesten Sinne hätten.

      „Berufskrankheit, eine geradezu zwangsläufige Obsession bei wirklich guten Kräften“, sagte sie voller Überzeugung.

      „Interessanter Aspekt – daran hatte ich noch gar nicht gedacht“, erwiderte der üppige Mund unter den blonden Haaren und wiederholte ‚Berufskrankheit‘, als wolle er sich den Begriff für alle Zukunft einprägen. Dabei saugte sich sein Blick an ihren Händen fest, die ihre madonnenhafte Erscheinung in der losen Anstaltskleidung konterkarierten und mehr von ihr preisgaben, als sie offenbaren wollte. Seine Stimme wurde leise und unsicher, obwohl er sich über die besondere Art des Eiskonfekts ausließ, das er für sie mitgebracht hatte. Sie rückte ihren Oberkörper nach vorne und brachte ihre Brüste als Ablenkung ins Spiel, aber sein Blick hing noch immer an den roten verhärmten Händen mit den prominenten Venenkanälen, die die rissige Haut mit einem bläulichen Netz unterspülten.

      In drängenderem Ton forderte sie ihn auf, bei Aromen, Pulvern und Kakaomasse mehr ins Detail zu gehen, aber seine Stimme verharrte in der Tonlage relativer Interessenlosigkeit, während er Fakten herunterspulte wie in einem Schulreferat. Er geriet mehrfach ins Stocken, wenn sie ihm die Hände entzog, sie ineinanderschob und schließlich in ihrem Schoß vergrub. Erst dann klärte sich sein Blick langsam wieder auf und sein Stimmvolumen nahm an Lebendigkeit zu.

      Es dauerte eine ganze Weile, bis sie begriff, dass er von ihren Händen nicht abgestoßen war, sondern ihre Gesellschaft schätzte. Veränderungen hingegen schätzte er nicht und nahm die zaghaften Versuche zur Verbesserung der Handoptik durch das Anstecken eines Bernsteinrings in der Farbe ihrer Haare mit einer Serie skeptischer Blicke zur Kenntnis. Sie benötigten keine weit ausholende Konversation, um zu einer stillen Übereinkunft zu kommen, sondern lediglich einen beiläufigen Blickkontakt, der dazu führte, dass sie ihre geröteten Hände mit Zuversicht präsentierte.

      Auf ihr Betreiben hin plauderte er amüsant über sein Berufsleben als freier Handelsvertreter, der sich auf Süßigkeiten aller Art spezialisiert hatte. Es gefiel ihr, dass er die Eigenschaft geschmolzenen Zuckers beim Fertigungsprozess der verschiedensten Bonbons aus erster Hand beschreiben konnte und ehrfürchtig davon berichtete, dass entgegen seiner Prognose Erdbeerbrause mit einer Beimischung von Minze der Renner der Saison war. Er zeichnete mit lebhaften Gesten die Versuchsküchen der Hersteller in die abgestandene Luft und philosophierte über exotische Geschmäcker mit Kombinationen von Ingwer, Basilikum und Curry. Er bewies Hochachtung vor der Fähigkeit, mit einer Unzahl von Billigartikeln riesige Umsätze zu generieren und die Herzen von Menschen zu erobern, die den bunten Verpackungen und dem zarten Schmelz verfallen waren. Die Varianten waren schier unerschöpflich und malten ein Bild von einer heilen Welt. Wenn sie ihm zuhörte, drehte sie die Handflächen ihrer Hände nach oben und neigte sich nach vorne, um sein unschuldiges Lächeln genau in Augenschein zu nehmen.

      Im Gegenzug offerierte sie ihm einen nüchternen Blick in ihren Alltag. Sie klagte nicht, sprach nicht über die Einsamkeit und Monotonie oder das gelegentliche Mobbing, das man als Strafgefangener zu erdulden hatte. Hinter ihrer Schilderung der strukturierten Abläufe konnte der aufmerksame Zuhörer die nutzlos verrinnende Zeit, den seelenlosen Widerhall in den Korridoren und die stupiden Beschäftigungen ausmachen. Die Vergangenheit berührte sie mit keinem Wort. Man sprach nur indirekt darüber, wenn man sich mit bekräftigendem Kopfnicken einigte, dass die Dokumentation eine gelungene Situationsanalyse war. Janina hatte den Zusammenschnitt nie zu sehen bekommen.

      Für heute hatten sie sich vorgenommen, über die Zukunft zu sprechen. Natürlich war die Zukunft auch schon vorher in ihrer Korrespondenz angeklungen. Auf zwei parallel verlaufenden Schienen hatten ihre Gedanken einen intimeren Verlauf genommen, bis die Zensur dicke schwarze Balken auf das Papier schmierte und sabotierte, dass sich mehr als eine vage Kumpanei entwickelte. Sie hatten gelernt in Andeutungen zu schwelgen und hoben sich das wirklich Wichtige für ihre Blicke auf, die sie sich über den grauen Tisch zuwarfen. Die Aufsichtsperson stand mit verschränkten Armen und einer betont desinteressierten Miene abseits, um die Indiskretion als Unaufmerksamkeit zu tarnen. Bei jeder Änderung der Körperhaltung allerdings spannten sich die Muskeln der Aufsicht und strenge Blicke fixierten die ungehorsame Extremität, die es gewagt hatte, die Ordnung des Strafvollzugs zu verletzen.

      Derart gemaßregelt vollzogen sich die Rituale einsilbig und von intensiven Blicken begleitet. Zigaretten der beliebtesten Tauschmarke wurden schweigend überreicht und die kurze Begrüßungsformel hing isoliert im Raum, bevor sie in die allgemeine Sprachlosigkeit tropfte. Mark wirkte wie immer nervös und überspielte die peinlichen Pausen mit einem Stakkato witzig perlender Bemerkungen, die den Gesundheitszustand seiner Mutter einschlossen wie ein angenehm verpacktes Bulletin. Er erzählte seine Anekdoten den gefalteten Händen der Frau, die ihn mit ruhigem Interesse ansah.

      Die Hände amüsierten sich über sein ernsthaftes Bemühen zu erläutern, dass sich das Verkosten von Schokoladenpudding blond anhöre und ein knackiger Keks im Rachenraum eindeutig maskulin wirke. Die bei den Kiosk Kids so beliebten Apfelkracher seien schrill und verdrängten die Orangenaromen eines Weichgummis in die Seniorenecke, wo der Geschmack als wohlklingende Sinfonie wahrgenommen werde. Mithilfe besonders geschmacksbegabter Individuen sortiere man die muffig–schlammigen Untertöne aus den Neukreationen aus und lege zunehmend mehr Gewicht auf die akustische Korrektheit der Süßigkeit, die von einem Gefühl der Omnipotenz bis zu einer glucksenden Babyseligkeit eine revolutionäre Generation des Hörschmeckens entstehen lasse.

      Die Frau hinter den Händen streute einige wenige Bemerkungen ein, während ihre Augen ruhelos durch den kargen Raum wanderten. Sie entschied, dass der richtige Zeitpunkt gekommen war und wandte sich zu der blassen Frau in Uniform. Unter normalen Umständen hätte sie einem solchen Experiment nie zugestimmt, aber sie hatte zu viel zu gewinnen. Sie nickte der Beamtin zu. Ein streng nach hinten gebundener Pferdeschwanz und ein freudloser Mund nickten zurück. Noch ein mahnender Blick zur Uhr, das Klirren eines Schlüsselbundes und die beiden waren allein. Die verhärmten Hände der Frau schossen nach vorne und klammerten sich an die Unterarme des Mannes.

      Aus unterschiedlichen Gründen hatten sie auf diesen Moment gewartet.

      VIII.

      Die erste direkte Annäherung erfolgte in der freundlich ausgestatteten Bastelecke, wo die beschädigte Würde der Gefangenen einen Überzug aus Häkeldeckchen und jahreszeitlichen Strohfiguren erhielt. Es war eine angenehme Abwechslung von der Last der Erinnerungen und der Eintönigkeit der hauswirtschaftlichen Pflichten. Zwei Katzen stolzierten in ihrem eigenen Takt durch den ganztätig offenen Arbeitsraum mit der Sitzgarnitur, die in ihrer platten Normalität irreführend wirkte.

      Beschaffungskriminalität gesellte sich zu der Minderheit der Gewaltdelikte und Vermögensstraftaten strichen beruhigend über gekrümmte Katzenrücken. Nur wenige der Frauen hatten keine zu Tränen rührende Leidensgeschichte zu erzählen, die sich zu je einem Drittel aus Unterwerfung, Gewalt und sozialem Elend komponierte. Janina galt als traumatisiert und ungefährlich. Sie war eine Langzeitinsassin und als solche in der ungeschriebenen Hierarchie unantastbar. Das Bild der Frauengruppe war friedlich. Die Wortdolche und Gemeinheiten wirkten im Verborgenen und erzeugten Wunden, die sich in gelegentlichen Attacken Platz schufen. Dann waren die Uniformen gefragt.

      Die rothaarige Aufseherin wurde, anders als der Rest der Vollzugsbeamtinnen, nicht mit der geringschätzigen Verniedlichung ‚Wachtel‘ bedacht. Sie war anders und man erkannte es auf den ersten Blick. Ihr Übergewicht trug sie direkt über der Gürtelschließe. Der kompakte Oberkörper ragte wie eine wuchtige Tonne gerade aus ihrem massiven Gesäß, das die Nähte der Uniformhosen

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