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formulieren wir selbst«, und er strich die Headline, die Wolff nicht weniger beschäftigt hatte. Ja, es war so, und es stimmte auch: Beginne einfach zu schreiben, auch wenn du noch nicht weißt, wie du anfangen sollst. Nach 10 Zeilen weißt du es. Ist dein Text gut, dann schreib weiter. Ist er nicht gut, dann weißt du, wie du ihn jetzt schreiben musst. Wolff hatte diesen Rat beherzigt, sich an ihm in vielen Jahren abgearbeitet, jetzt aber war ihm das schnelle Schreiben zur Routine geworden.

      »Fang an!«, flüsterte er vor sich hin. Und er fing an. Zwei Voraussetzungen aber mussten erfüllt sein: die Tür zum Vorzimmer schließen und eine Zigarette anzünden. Noch war das Rauchen im Funkhausareal erlaubt, aber Wolff hatte sich schon auf den drohenden Verzicht eingestellt, den ein hausinternes Rundschreiben angekündigt hatte. Vielleicht auch würde er mit dem Rauchen aufhören. Jetzt aber konnten die Rauchringe über dem Keyboard seines Computers noch sanft aufsteigen. Alles stimmte jetzt, und der Nachruf würde bald geschrieben sein.

      Wolff würde sein Arbeitsverhältnis zu Steiger als ein Nicht-Verhältnis beschreiben. Sie beide waren sich mit Misstrauen, lauernd, einander taxierend begegnend, in den Konferenzen immer wieder im verbalen Clinch ineinander verhakt, und dafür gab es viele Gründe.

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      Ich – Steiger.

      Es ist doch nicht in Ordnung, wie die Alt-68er sich in ihren Redaktionen aufführen. Sie sind vielleicht hochintelligent, das mag ja sein, aber sie betreiben völlig einseitig ihren Betroffenheitsjournalismus. Einseitig, verstehen Sie? Da kommen im Programm nur ihre ideologisch gleichgeschalteten sogenannten Experten zu Wort, sogenannte Schriftsteller, sogenannte Multiplikatoren, die nicht in der Lage sind, andere Meinungen zu akzeptieren.

      Was hilft es denn, dass – der Parteienlandschaft im Freistaat entsprechend – die Führungsjobs mit Männern und Frauen besetzt sind, die der richtigen Partei angehören oder ihr sehr nahestehen? Die Programme werden in der Praxis von den Leuten an der Basis gemacht, nicht von denen, die in der Hierarchie aufgestiegen sind. Schon wie sie sich anziehen, diese Hascher: schwarzes Anarchisten-Outfit, Turnschuhe, keine Krawatten, keine Trachtenjanker, die Frauen in wallenden bodenlangen Kleidern oder in Jeans. Grauenvoll. Sie machen – das muss ich objektiv feststellen – spannende und glänzend gebaute Sendungen, aber sie sind einem Missionsjournalismus verpflichtet, den sie ganz raffiniert tarnen. Ich kenne ihre Absichten.

      Letzte Woche gab es wieder ein Palaver mit den Salonlinken. Ich hätte in einem Kommentar die neue Partei der CSU-Rechtsabspaltung »Die Republikaner« ohne das Attribut »rechtsradikal« erwähnt, den Parteichef, übrigens einen früheren Fernsehkollegen, gar hoffähig gemacht. Völliger Unsinn. Der Mann kam aus der Partei des Ministerpräsidenten. Bei regelmäßigen Zusammentreffen mit dem Ministerpräsidenten und wenigen anderen Vertrauten, wo dann viel getrunken und Deutschland neu geordnet wurde, von Grund auf, weil es endlich Ordnung geben musste im Land, wurde entschieden, dass – so betrüblich der Fakt der Abspaltung war – einer neuen Partei auch eine Chance gegeben werden musste. Es ist ja nicht alles unvernünftig, was sie fordert. Ich habe in der Redaktionskonferenz eine dringende Empfehlung ausgesprochen, diese Partei und ihren Vorsitzenden nicht mit dem Begriff »rechtsradikal« zu diffamieren und im Klartext hinzugefügt, dass ich dringend rate, sich an diese Empfehlung zu halten. Da haben sie alle ganz dumm geschaut.

       Diese Neolinken, die so wenig Geschichtsbewusstsein haben, dass sie nicht einmal das Kapital von Karl Marx gelesen haben, rannten dann gleich zu ihren Gesinnungsfreunden in den Zeitungsredaktionen, die mir sofort einen Skandal anhängen wollten, weil meine Empfehlung als Anweisung für die Nachrichtenredaktion verstanden wurde. Mein Gott, diese dünnheutigen Gutmenschen!

      Dumm war die Angelegenheit nur, weil sich der Innenminister als Mitglied des Rundfunkrats einschaltete, zudem auch noch sein Generalsekretär. Beide erklärten, sie verstünden nicht, weshalb auf eine das Publikum über die Republikaner informierende Sprache verzichtet werden solle. Der Verfassungsschutz war bereits tätig, aber als die sogenannte Affäre durch die Printmedien ging, fanden Innenminister wie Generalsekretär die Empfehlung des Chefredakteurs »deplatziert und fatal«. Und der Chefredakteur war ich, schon damals. Da verstehe einer noch einmal die Politik.

      Wie aufgescheuchte Hühner rannten die Neo-Linken durch das Haus. Ein freier Mitarbeiter protestierte gegen die Anweisung seiner Redaktion, den Begriff »rechtsradikal« in seiner Berichterstattung zu unterlassen, wenn er weiter beschäftigt werden wolle.

      Ich habe dann öffentlich erklärt, dass wir die Empfehlung nur ausgesprochen hätten, weil wir die übrigen Parteien ja auch nicht kommentieren. Die Hörerinnen und Hörer wüssten ohnehin, was hinter den Republikanern steckt.

      Das ist jetzt lange her. Aber die Sache ärgert mich bis heute. Nach links sind sie blind, diese ideologisch Verblendeten, und nach rechts schauen sie mit einem schärferen Blick als ein Steinadler.

      Nur der Wolff hat damals in der Konferenz zu mir gesagt: Sie haben mir keine Anweisungen zu geben. Ganz ruhig, ohne jeden frechen Unterton.

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      Das Nichtverhältnis zu Gerald Steiger bedeutete für Al Wolff nicht, dass er nicht immer wieder die Nähe zum Chefredakteur gesucht hatte. Gerieten sie sich in den Konferenzen heftig in die Wolle, dann suchte Wolff am Nachmittag den Kontakt. In der Kantine setzte er sich zu ihm und sie redeten miteinander, als habe es den Vormittag nicht gegeben. Wolff war es wichtig, dass keine Verletzungen entstanden.

      Bei einem Gangfest, einer jener legendären Geburtstags- oder Abschiedsfeiern im Flur und in den Räumen der jeweils einladenden Redaktion, als die ersten beiden Kollegen in den Stapel der Bierkästen gefallen waren, nicht mehr tritt- und sprachsicher, war Steiger auf Wolff zugekommen. Er hatte sich mit seinem Bierglas in der Hand dicht vor ihm aufgebaut. Er schwankte etwas, nahm einen langen und tiefen Zug aus seiner Zigarre und blies ihm den Rauch ins Gesicht: »Ich verstehe euer Programm zwar nicht, aber ihr seid schneidig!« Wolff hatte den Begriff »schneidig« seit Jahrzehnten nicht mehr gehört. Er begriff, dass ihm Steiger ein Kompliment machen wollte. »Vielen Dank«, gab Wolff zurück. Steiger legte seinen Arm um Wolffs Schulter und sagte: »Ich bin der Gerald«. Wolff zögerte. Dann stieß er mit seinem Bierseidel an und sagte: »Ich bin der Al!« Der Chefredakteur trank auf Bruderschaft, Wolff auf Kollegialität, ohne darüber zu reden. Am nächsten Vormittag diskutierten sie wieder kontrovers und leidenschaftlich, wobei erwähnt werden muss, dass Steiger immer dann, wenn die argumentative Schärfe kaum noch zu steigern war, die Waffen streckte und der Debatte mit einem »Unglaublich!« auswich.

      Es dauerte Wochen, bis sich Wolff und Steiger auch öffentlich duzten. Wolff, der sich jetzt besonders darum bemühte, sympathische Eigenschaften bei seinem Chefredakteur zu entdecken, war es anfangs etwas peinlich. Denn jeder und jede in den Redaktionen wussten, dass sich die beiden Kontrahenten grundsätzlich unterschieden: in ihrem Verhalten, in ihrer Bildung, in ihrem Denken, in ihrer Kleidung, in ihrer Wortwahl und in ihren fachlichen Interessen. Aber Wolff spürte, dass der Chefredakteur, hinter seiner Grobheit versteckt, durchaus ein Faible für ihn hatte, und er empfand, wenn er sich anstrengte, ebenfalls ganz kleine Anfänge einer Sympathie. Das konnten manche nicht verstehen.

      Wolff aber wusste, dass in einem Funkhaus nicht eine Versammlung grundsympathischer Menschen anzutreffen war, Freundschaften waren selten, Kollegialität war ausgeprägt, Flügelbildung logisch. Er wollte Menschen nicht verändern, das konnte er nicht und das stünde ihm auch nicht zu, aber er wollte kollegial gerade mit jenen Journalistinnen und Journalisten im Haus zusammenarbeiten, die sich wie er für das Medium Rundfunk begeisterten. Einige sagten von Wolff, er sei diplomatisch begabt. Fair und in seiner Haltung stark.

      Dabei war Wolff immer schon ein Zweifler gewesen, ein Skeptiker, auch sich selbst gegenüber. Kam er aus einer Livesendung, die er moderierte, in den Regieraum, hätte er am liebsten die Sendung völlig neugestaltet. Er wusste in den ersten Jahren nicht, ob es gut war, was in den letzten beiden Stunden gesendet worden war. Aber wenn ihm andere gratulierten, nahm er die Komplimente gerne an. Am wichtigsten waren ihm die Rückmeldungen von den Studiotechnikern der Sendung. Dann empfand

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