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Intellektualität entfernt. Zudem war der Chefredakteur ein meisterhafter Netzwerker und Mitglied der »einzig-richtigen Partei in Bayern«, was ihn nicht hinderte, bei öffentlichen Auftritten über das Verfassungsgebot der Staats- und Parteienferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu schwadronieren und die Unabhängigkeit seines Senders gegenüber jeglichem Versuch einer Einflussnahme, komme sie von Parteien oder Interessensgruppen, heldenhaft zu verteidigen. Zu Wochenbeginn saß er aber wieder in der Parteizentrale. Man hatte sich dort ja viel zu sagen. Was spricht denn gegen einen Gedankenaustausch?

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      Ich – Steiger.

      Ich weiß doch genau, dass die wichtigen Entscheidungen in der Rundfunkgebührenfrage und bei Personalbesetzungen für Führungsämter nicht im eigenen Haus, sondern in der Parteizentrale, in der Staatskanzlei und im Landtag getroffen werden. Da ist es doch völlig logisch, dass ich da lieber dabei bin, statt von außerhalb zuzusehen, was sich ereignen wird.

      Mich nervt das Geschwätz von Parteiunabhängigkeit. Die Kolleginnen und Kollegen, die sich einer Parteimitgliedschaft verweigern, weil sie diese für Mitarbeitende im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ablehnen, sind die schlimmsten. Sie sind Partei, sie sind knallharte Opposition in der Fraktion der Parteilosen. Da ist mir sogar ein Sozialdemokrat lieber, weil der berechenbar ist. Weil er verlässlich ist in seiner Ohnmacht. Es sind ja nicht die Dümmsten, die das Parteibuch der SPD besitzen.

      Ich halte viel davon, große Projekte mit der Politik abzustimmen. Wir sind für Bayern da, nicht gegen das Land. Wir stehen doch glänzend da im Freistaat. Das soll uns erst einmal jemand nachmachen. Es gibt allerdings schon ein wirkliches Problem: Ich bin nicht der einzige, der sich der einzig-richtigen Partei zugehörigfühlt. Auf meiner Ebene gibt es noch zwei andere, die ständig um den Ministerpräsidenten und sein Kabinett herumschwänzeln – bei Parteitagen, bei Pressekonferenzen, an denen sie teilnehmen, ohne selbst zu berichten. Da muss man aufpassen. Aber ich glaube, dass ich die besseren Connections habe. Kopf einziehen und abwarten. Ihr werdet schon sehen, wo Ihr bleibt.

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      Im letzten Jahr hatte der Ministerpräsident zugesagt, sich in der Redaktionskonferenz den Fragen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus fast allen Redaktionen zu stellen. Die Tür des überfüllten Sitzungsraumes wurde geöffnet, und die Delegation trat ein. An der Spitze der Hörfunkdirektor, hinter ihm die massige Gestalt des Ministerpräsidenten, begleitet von seinem Persönlichen Referenten, der schwer an einem schwarzen Aktenkoffer trug. Neben ihm der Leiter der Pressestelle in der Staatskanzlei, blauer Zweireiher mit Weste, schließlich Chefredakteur Steiger. Heute hatte er sich für seinen Trachtenjanker entschieden, links unter dem Hirschhornemblem hatte er sich die Rosette des Bayerischen Verdienstordens eingeknöpft. Ihre weiß-blaue Auffächelung kontrastierte schroff mit den Grün-Rot-Leisten auf dem Stehkragen des hellgrauen Jankers, wies immerhin aber signifikant die Bedeutung des Chefredakteurs aus, der das Redaktionsgespräch moderieren sollte. Die Ordensrosette war weniger als optisches Signal für die Konferenz bestimmt als vielmehr für den Ministerpräsidenten und seine beiden Begleiter. Man war ja fast unter sich. Das galt es auch zu zeigen. Steiger knöpfte an jedem Morgen die Rosette des Verdienstordens in das Revers seines Tagessakkos, auch in karierte Jacken. Wenn für den Abend ein Empfang im Terminkalender vermerkt war, steckte der Chefredakteur die Rosette in den dunkelblauen Blazer. Der Orden war schließlich kein unverdientes Geschenk, sondern Ausweis für herausragende Leistungen, die er für den Staat und die Gesellschaft erbracht hatte.

      Steiger zog seinen Kopf noch tiefer zwischen die Schultern, begrüßte die Gäste, verzichtete aber darauf, die anderen Führungskräfte des Hauses vorzustellen. Wer für ihn und die einzig-richtige Partei wichtig war, den hatte der Ministerpräsident schon in der Runde entdeckt und ihm oder ihr kaum merklich zugenickt. Wer auf der Fensterbank saß, musste noch enger zwischen seinen Nachbarn zusammenrutschen, weil Nachzügler kamen, für die es zunächst keinen Platz mehr zu geben schien. Die Luft im Sitzungszimmer wurde stickig, aber die Fenster durften nicht geöffnet werden. Darauf hatten die Sicherheitsbeamten, die vor der Tür warteten, zuvor ausdrücklich hingewiesen.

      Die erste Frage in der Redaktionskonferenz stellte selbstverständlich der Chefredakteur. Der Hörfunkdirektor lehnte sich zurück, als ginge ihn die Veranstaltung nichts an. »Herr Ministerpräsident«, sagte Steiger, »können Sie zu Beginn, bevor wir die Fragerunde für die Redakteurinnen und Redakteure unseres Hauses eröffnen, vielleicht kurz ihren außenpolitischen Ansatz skizzieren? Sie sind ja bekannt dafür, einen anderen Weg zu verfolgen als die Bundesregierung …«

      Der Ministerpräsident, dessen mächtiger Kopf direkt den Schultern zu entwachsen schien, pumpte sich auf, und er begann, seinen außenpolitischen Ansatz zu skizzieren, der ihn nachweislich von der völlig unfähigen Außenpolitik der Bundesregierung unterschied. Er dozierte, ohne eine Zwischenfrage zuzulassen, fast eine Stunde. Sein Ton wechselte zwischen einer sarkastischen, süffisanten und nicht frei von Selbstironie kolorierten Sprache und einem Stil der unterschwelligen Bedrohung und Einschüchterung, die all jenen galt, deren – falls überhaupt vorhandene – Intelligenz die Welterfahrung des Regierungschefs infrage stellen könnte.

      Wir werden auf jeden Fall!

      Sie sollen es bald begreifen!

      Dann merkt es der letzte Depp im Land!

      Wir in Bayern!

      Geisteszwerge!

      Ideologen und Verblendete!

      Erkenntniskrüppel!

      Verkümmerte Akademiker!

      Kein Geschichtsbewusstsein!

      Das Land säubern!

      Zunehmend wurde die Unruhe in der Konferenz spürbar. Oskar Kokoschkas Lithographien an den Wänden des Sitzungszimmers boten kaum Ablenkung, es wurde Zeit, in die Redaktionen zurückzukehren, um die Mittagssendungen und die Produktionen des Nachmittags in den Studios vorzubereiten. Der Persönliche Referent des Ministerpräsidenten suchte in seinem Aktenkoffer einen Terminkalender. Er räusperte sich leise und flüsterte dem Regierungschef zu, möglichst zum Ende zu kommen. Die heutigen Termine in München und auch außerhalb der Landeshauptstadt waren bis weit in die Nacht hinein geplant, es wurde wirklich Zeit.

      Steiger bedankte sich beinahe devot für das intensive Gespräch in der Redaktionskonferenz seines, nein: unseres Senders, erklärte, dass seine Kolleginnen und Kollegen endlich ihrer Arbeit nachkommen sollten, stand auf und rückte den Sessel des Ministerpräsidenten zurück, damit dieser seinen Platz verlassen konnte.

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      Ich – Steiger.

      Ich fand es prima, als der Ministerpräsident seinen Persönlichen Referenten zusammenstauchte: Die Termine mache ich! Nicht Sie! Und zu mir sagte er: Ich komme noch mit in Ihr Büro. Ich muss mit Ihnen noch ein paar Personalien besprechen.

      Ich bewundere heute noch den Ministerpräsidenten dafür, dass er über allen Terminen sein Lebensgefühl nicht vergaß. Wenn es ihm gefiel, dann saß er, und wenn er saß, dann saß er lang. Ich glaube, dass wir drei Flaschen Wein zusammen tranken. Es wurde 15 Uhr, es wurde 16 Uhr. Immer wieder steckte sein Persönlicher Referent den Kopf zur Tür herein und der Ministerpräsident verscheuchte ihn sofort: Absagen! Alles absagen! Da kann ein anderer hinfahren. Jetzt stören Sie nicht alle paar Minuten.

       Wir waren uns in fast allem einig. Der Ministerpräsident war ausgezeichnet informiert über unser Haus und seine Führungskräfte, und ich schwöre, dass er dies alles wusste, bevor ich mich dazu äußerte. Irgendwann musste er doch ein wichtiges Telefongespräch führen, deshalb bot ich ihm den Sessel hinter meinem Schreibtisch an. Es war die Gelegenheit, endlich zur Toilette am Ende des Gangs zu eilen, dort aber standen die Männer seiner Sicherheitsgruppe und sagten: Die Toilette ist gesperrt: für den Ministerpräsidenten. Da musste ich denen erklären, dass ich als Chefredakteur sein Gastgeber sei, und dass ich auch sofort die Toilette wieder verlassen würde. Das akzeptierten

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