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gutaussehender Mann in den besten Jahren, blass im Gesicht. Hatte er, später als die anderen zur Konferenz gekommen, seine Themen für die Abendsendungen vorgestellt, eilte er auch schon wieder davon. Das griechische Regime hatte in ihm einen Feind erkannt, den es zu bekämpfen galt. Er war in höchstem Maß gefährdet. Nicht allen Beobachtern in Bayern gefiel, wie der Grieche ein Oppositionsradio gegen das Militärregime im öffentlich-rechtlichen Rundfunk betrieb. So hatte er an vielen Fronten gekämpft, gelegentlich auch im eigenen Sender: nicht militärisch gedacht, sondern im Sinn einer zivilen Courage. Wolff und der Grieche hatten sich immer sehr geschätzt, sie hatten ihren Draht zueinander gefunden, auch wenn sie sich meist nur flüchtig im Funkhaus begegnet waren. Er hatte doch tatsächlich dessen Namen vergessen.

      Wolff wusste nicht, weshalb ihm gerade jetzt diese Geschichten einfielen.

      Viele Jahre später, längst war der Spuk des Militärregimes beendet und sein Kollege wieder zurück in Griechenland, war er an einem Morgen vor seiner Haustüre in Athen erschossen worden. Wolff hatte diese Nachricht wie ein Blitz getroffen.

      Er holte sich im Vorzimmer eine frische Tasse Kaffee.

      Er erinnerte sich an andere Ereignisse in der Redaktionskonferenz. Damals hatte es eine sehr eigenartige, wenig praktizierte Tradition gegeben: Wenn ein besonderes Bonmot von einem der Teilnehmer in die Runde geschleudert wurde, reaktionsschnell und treffsicher, legte jeder einen Pfennig auf den Tisch vor dem Urheber: eine ehrenvolle Anerkennung seiner Schlagfertigkeit. Als er die Themen seiner Jugendredaktion vorgetragen hatte und sie gegen Einwände aus der Runde verteidigte, zischte der Chefredakteur ihm ein »Ihren Kopf möchte ich nicht haben!« entgegen, woraufhin Wolff wie aus der Pistole geschossen, ohne eine Sekunde nachzudenken, zurückgab: »Mut zur Schlichtheit, Herr Kollege!«. Das hatte ihm 34 Pfennige eingebracht.

      Als unter dem Vorgänger des Chefredakteurs ein Disput mit dem Hörfunkdirektor darüber entstanden war, ob unter die deutsche Vergangenheit ein Schlussstrich gezogen werden müsse, um nicht ewig über die deutsche Schuld zu lamentieren, entwickelte sich daraus ein heftiger Streit am runden Tisch. Und als sich Direktor und Chefredakteur in immer eisigerem Ton ineinander verhakten, sagte der Chefredakteur plötzlich ganz leise: »Sie waren damals in der Legion Condor, ich in London im Widerstand.« Das war alles. Die Diskussion erstarb. Er stand auf, und mit ihm erhoben sich alle Kolleginnen und Kollegen und verließen den Raum.

      Oder als ein freiberuflich tätiger Musikmoderator der Jugendredaktion in seiner Clubsendung einen Musiker mit seinem neuen Song »I am drinking my own sperm« vorstellte und ihn fragte »You did it?« und der ihm geantwortet hatte »I did it, truely!« war am Tag nach der Sendung die Hölle los gewesen in der Redaktionskonferenz. Alle diskutierten über Pornographie und Ethik, die Verantwortungslosigkeit der Redaktion und ihren öffentlich-rechtlichen Programmauftrag, bis der Chefredakteur ganz lakonisch in die Runde blickte: »Wer noch nie onaniert hat, hebe bitte seinen Arm.« Die Diskussion war beendet.

      Niemand wusste, was sich in einer kommenden Redaktionskonferenz ereignen würde. Wolff bereitete sich deshalb immer sorgfältig auf diese halbe Stunde vor und überlegte sich, welche Widerstände gegen sensible Themen aus den von ihm geleiteten Redaktionen kommen könnten und wie er den Vorbehalten begegnen konnte. Fiel ihm kein gutes Argument ein, bat er die Redaktion, das Thema noch zurückzustellen.

      Sein Telefon mit der verdeckten Nummer klingelte. Hörfunkdirektion. Guten Morgen Al, ich verbinde dich mit dem Chef: »Wir sitzen gerade zusammen«, teilte der Chef ihm mit leicht zitternder Stimme mit, wir haben eben beschlossen, dass du den Nachruf verfassen wirst. Du kanntest ihn gut, und du schaffst es, den Beitrag schnell bis zur Mittagssendung zu schreiben.

      »Worum geht es?«, fragte Wolff. »Wovon sprichst du?«.

      »Steiger ist tot.«

      »Steiger? Was?«

      »Ja! Er wurde heute Morgen tot in Salzburg vor seiner Zweitwohnung aufgefunden.«

      »Mehr ist nicht bekannt?«

      »Nein. Bis jetzt nicht. Also. Du schreibst? Okay? Ich lese dein Manuskript nachher dann gegen. Um 11.50 Uhr musst du den Nachruf sprechen. Du kannst ihn aber auch live in der Sendung lesen.«

      »Okay!«, sagte Wolff, »ich schaue mal, wie ich klarkomme«. Er legte auf.

      Innerhalb weniger Sekunden war seine Tagesplanung weggefegt. Steiger? Undenkbar. Das kann nicht wahr sein. Die Nachrichten haben nichts gemeldet.

      Mich hat vorher auch niemand zu erreichen versucht. Steiger? Wahnsinn. Wolff schaute aus dem Fenster. Aber er konnte nichts erkennen. Ein paar Minuten saß er so, und er sah nicht, dass ein großer Raubvogel und eine Krähe einen Luftkampf in großer Höhe führten. Immer wieder stieß die Krähe von unten gegen den größeren Gegner vor, umkreiste ihn, stürzte sich auf ihn, bis der Raubvogel erst zögernd, dann endgültig abdrehte. Aber Wolff sah nichts. Er sah auch nicht, dass weit oberhalb des Zweikampfs der beiden Vögel ein vereinzelter Mauersegler in Ellipsen den Fönhimmel über München durchschnitt. Endlich, endlich war ein Mauersegler zurückgekommen. Anfang August würde er wieder in den Süden Europas aufbrechen oder nach Afrika.

       3

      Ich – Steiger.

      Ich bin ein Mensch, der einen guten Job macht.

      Nein, ich glaube das nicht, ich weiß es.

      Chefredakteure müssen über ein eindeutiges Wertesystem verfügen, ohne Ideologie, ohne den Gedankenkrampf der linken Spinner, der Cannabis-Raucher, der Weltverbesserer, der mutlosen liberalen Romantiker, der Alt-68er und der Neu-68er.

      Hinzu kommen die Gewerkschafter. Ich kann längst darauf wetten, wer von Ihnen als erster seinen Arm hebt, um die ewig-gleiche Negation gegenüber den von mir vertretenen Programmrichtlinien aufzusagen. In solchen Versammlungen kommt Todessehnsucht auf.

      Wir sollten endlich darauf verzichten, in unseren Programmen Musik zu spielen, die meinen Hund zum Jaulen bringt. Weshalb auch so viele Neutöner in unserem Klassikprogramm statt Barockmusik oder auch – in Gottes Namen – Musik der Romantik, wobei ich die privat nicht hören will. Aber keiner hat den Mumm, diese Affenmusik zu stoppen.

      Es ist schon notwendig, gelegentlich etwas grob mit den Woodstock-Haschern und den jungen Naiven umzugehen, damit sie endlich kapieren, dass ihnen der Rundfunk nicht gehört. Wir leben in Bayern, und in Bayern gibt es klare Regeln. Wir senden nicht, was uns gefällt: Wir senden, was dem Publikum gefällt.

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      Endlich war Steiger Chefredakteur und Leiter des Programmbereichs Politik, Wirtschaft und Aktuelles geworden. Das tat ihm gut. Nun könnte er eigentlich im aufrechten Gang durch die Flure im Funkhaus, im Bayerischen Parlament, in den Parteizentralen und in den Bierzelten gehen, aber er zog seinen Kopf immer noch zwischen seine Schultern, ganz so, als erwarte er einen Hieb auf sein kahlköpfiges Haupt. Der will geprügelt werden, hatte schon früher ein Kollege in einer Sitzung seiner Nachbarin zugeflüstert, der hat eine masochistische Prägung. Tatsächlich wurde Steiger in den Redaktionskonferenzen der Chefredaktion wie auch in den allgemeinen Konferenzen in den Debatten gröber, lauter, direkter attackiert als andere. Er rechnete sich dem um den Ministerpräsidenten gegründeten Verein für deutliche Aussprache zu.

      Spitzte sich der Streit über Themen, Programmplätze für Sendungen und politische Entwicklungen im Freistaat Bayern zu, lebte Steiger auf. Er zog dann seinen Kopf noch tiefer ein – wie eine uralte Schildkröte, die mit wachen Augen aus einer halben Sicherheitsposition das Geschehen beobachtet, listig, misstrauisch, auf der Hut, aber ganz anders als junge Schildkröten, die vor jeder Gefahr ihren Kopf blitzschnell komplett in ihren Schutzpanzer zurückziehen.

      Steiger fürchtete sich aber nicht. Er ging in Lauerstellung. Hatten sich in der Debatte sichtbare Lager gebildet und sich ineinander verhakt, bellte er dann meist zurück. Teilte aus. Stieß auch mal tumbe Parolen hervor. Er argumentierte selten, er behauptete. Die Welt ist kompliziert. Da bedarf sie solcher Klartext-Denker.

      Dabei

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