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Betsys Brief. Marianne Storberg
Читать онлайн.Название Betsys Brief
Год выпуска 0
isbn 9788711446959
Автор произведения Marianne Storberg
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Oft hat er drinnen bei ihr gesessen und mit ihr geplaudert. Die kleinen Brüder waren viel zu wild, doch er durfte an ihrem Bett sitzen und ihr vorlesen, Gedichte oder Bruchstücke von Romanen, an denen er seine Freude gehabt hatte und die sie, wie er wusste, mögen würde. Manchmal lag sie auch zu Hause auf der Chaiselongue im Wohnzimmer, dort, wo das Klavier stand. Er spielte ihr vor, so lange, bis er jedes Zeitverständnis verlor, aber immer wieder warf er einen Blick über die Schulter und sah, dass sie mit geschlossenen Augen dalag. Sie schlief nicht, sie lauschte, und wenn er aufhörte, bat sie ihn weiterzuspielen.
Ida kam wieder zu Kräften, das Fieber sank, der Husten verschwand und die Nächte wurden ruhiger. Solche Phasen haben sie mehrmals erlebt, das letzte Mal im Frühjahr, als sie so viel Zeit brauchte, um eine gewöhnliche Erkältung zu überstehen. Doch dann, im Mai, ja, am selben Tag, als Axel und Theoder mit dem ersten Strauß aus Buschwindröschen hereingestürmt kamen, erholte Ida sich wundersamerweise. Jetzt schaut er sie an, wie sie dort voller Erwartung steht, als versuche sie, alles nachzuholen. Begierig nimmt sie alles auf, als hätte sie schon erfahren, dass man keine Zeit verschwenden darf, dass jeder einzelne Tag, jede Stunde, die einem gegeben wird, ein Geschenk ist.
Mit den Händen vor dem Gesicht dreht er sich zur Zimmerecke und zählt, hört pfeilschnelle Schritte zur Tür hinaus.
»Neunundneunzig, hundert!«
Dann beginnt er zu suchen. Im Treppenhaus ist niemand, doch die Tür zum Keller steht einen Spaltbreit offen. Ist einer von ihnen dort verschwunden? Vorsichtig schleicht er die Stufen hinunter. Es riecht nach Feuchtigkeit, nach eingekellerten Kartoffeln mit langen Keimen, nach Spinnweben. Er erschrickt, als er gegen einen Zinkeimer stößt, der laut über den Steinboden schabt. Er hält inne, glaubt plötzlich, eine Ratte über den Boden huschen zu sehen, aber das ist vielleicht nur Einbildung. Die Kellerräume liegen im Dunkeln, aber Streifen aus Sonnenlicht dringen durch die Abzüge herein. Seine Augen gewöhnen sich schrittweise an die dunkle Umgebung, doch sein Puls pocht in den Schläfen.
Er ist in Großvaters Weinkeller, schleicht an der Wand mit Jahrgangsweinen vorbei, an unzähligen Brettern mit eingemachten Pflaumen und Apfelmost. Geräte, Töpfe und Rechen. Nein, hier unten ist niemand. Er zwingt sich, denselben Weg ganz ruhig zurückzugehen, auf die Treppe zu, dort, wo von oben das Licht hereindringt.
Er steigt die Treppe hinauf, nimmt mehrere Stufen auf einmal, sein Herz pocht im Hals, unsichtbare Hände, die gleich nach seinen Knöcheln fassen werden, dann richtet er sich auf und entkommt der Dunkelheit.
Aus dem Salon hört er laute Stimmen und Möbel, die herumgeschoben werden. Er stellt sich die Mutter vor, bestimmt ist sie hektisch und hellauf begeistert. Sie liebt solche Veranstaltungen. Liebt die Aufmerksamkeit. Besonders dann, wenn sie Halfdan präsentieren kann, den Ältesten, der so unglaublich musikalisch ist, spreizt sie die Federn.
Halfdan erklimmt die breite Treppe in den ersten Stock, kommt an dem Zimmer vorbei, in dem sein Vater ruht, und bleibt einen Augenblick vor der Tür stehen. Er hört ihn schwach husten, durch das Schlüsselloch sieht er, dass die Vorhänge zugezogen sind. Er geht weiter, vorbei an den Familienporträts in schweren Goldrahmen, Vorfahren mütterlicherseits, weiße Gesichter und hervorstehende Augen, tiefe Ausschnitte und bunte Uniformen. Hier fühlt er sich stets beobachtet. Strenge Blicke ziehen ihn zur Verantwortung, erwarten etwas von ihm. Halfdan Kjerulf. Was soll aus dir werden?
Am Ende des Korridors fährt er zusammen. Ein plötzlicher Luftzug hat anscheinend die Tür zum Dachboden zufallen lassen. Dort oben müssen sie sein, obwohl ihnen streng untersagt wurde, dort jemals zu spielen. Der sicherste Weg, um sich Ärger einzuhandeln. In regelmäßigen Abständen erinnert sie der Großvater daran, und da es keinen Mangel an Orten gibt, wo man sich austoben kann, hat keiner von ihnen den Drang verspürt, dem Verbot zu trotzen. Bis jetzt. Die Tür ist angelehnt, mit einem Mal wird er von Neugier übermannt. Es ist sicher kein Vergehen, solange sie vorsichtig sind. Und offensichtlich bekommen die Erwachsenen nichts mit.
Die Treppe ist eng, fast wie eine Leiter, grau und verschmutzt. Oben angekommen, muss er sich ducken, um nicht mit dem Kopf an einen niedrigen Balken zu stoßen.
Sobald er die groben Dielenbretter betritt, hört er jemanden kichern. Irgendjemand sagt pst. Aber er kann den Ursprung der Laute nicht genau orten, der Regen prasselt allzu heftig auf das Dach gleich über ihm. Durch eine kleine Scheibe dringt Licht ein, aber die Wolfspelze, die hier den Sommer über hängen, werfen lange Schatten in das unübersichtliche Halbdunkel. Als er an einem von ihnen vorbeikommt, muss er niesen von all dem Staub.
Hört er da nicht jemanden flüstern? Es ist ganz in der Nähe, jemand atmet. Die Augen gewöhnen sich an das Dunkel, dann sieht er vier gespannte Gesichter hinter einem Schrank, alle sind am selben Ort.
Regnald kommt freudig hervorgesprungen.
»Hab ich’s nicht gesagt, ich wusste, dass er uns nicht so leicht finden würde«, ruft er und dreht sich zu den anderen.
Hjalmar, Axel und Ida kommen ebenfalls hervorgekrochen.
Ida streicht sich das Kleid glatt und kichert. Aus einem großen Korb nimmt sie einen altmodischen, samtenen Damenhut, schüttelt ihn durch, sodass eine Staubwolke aufwirbelt, setzt ihn auf und stellt sich vor den Spiegel.
»Bin ich nicht schön?«, sagt sie lächelnd und posiert übertrieben.
»Ja, aber es ist wohl besser, wenn wir wieder runter gehen. Wir dürfen hier oben nicht sein«, sagt Halfdan.
»Merkt doch sowieso keiner«, kommt es von Regnald.
Halfdan und Hjalmar bilden die Nachhut, sie schlängeln sich an Möbeln, Kisten und Körben vorbei, die anderen sind schon fast wieder unten.
Hjalmar geht voran, plötzlich hat er es eilig und läuft zur Treppe vor.
»Komm schon, Halfdan, beeil dich!«, ruft er mit ängstlicher Stimme.
Im selben Moment hört Halfdan ein klägliches Piepsen aus der dunkelsten Ecke. Er muss nachsehen, kriecht auf allen Vieren auf eine kleine Öffnung im Gebälk zu.
Hjalmar bleibt stehen. Durch das Dachfenster fällt Licht auf ihn.
»Lass uns runtergehen«, drängelt er.
»Warte. Hier ist ein Schwalbennest, Hjalmar. Mit Jungen!«
Vier graue, flauschige Federknäuel piepen hungrig und warten auf Fütterung, anscheinend völlig unberührt von der Anwesenheit der Zuschauer. Halfdan bleibt einen Augenblick sitzen, beobachtet sie und bemerkt zunächst gar nicht, dass Hjalmar schon die Stufen hinabsteigt.
Wie ein Donner ertönt plötzlich die Stimme des Großvaters. Halfdan weiß gar nicht, ob er zuerst sie oder zuerst die stapfenden Schritte hört. Jetzt steht der Großvater an der Treppe zum Dachboden und brüllt hinauf. Er muss die geöffnete Tür entdeckt haben.
In der dunklen Ecke mit dem Schwalbennest hockend, glaubt Halfdan ein Wimmern zu hören, bildet sich ein, dass Hjalmar dort zitternd auf den schmalen Stufen steht. Aber vielleicht war es nur eines der Vogelkinder, das ihn aus dem weichen Nest heraus anblickte. Wie versteinert sitzt er da, außerstande sich zu rühren, hält den Atem an und lauscht.
»Hjalmar Kjerulf. Was hast du hier zu suchen?«
Oben auf dem Dachboden schließt Halfdan die Augen, bereitet sich auf das Kommende vor, was immer es auch sein möge. Höchstwahrscheinlich ein Klatschen, wenn die Hand des Großvaters die sonnengebräunte Jungenwange trifft, spontan, denn der Anblick der ängstlichen Augen könnte ihn zögern lassen, könnte Nachgiebigkeit hervorrufen, wo doch eine feste Hand gebraucht wird. Kein harter Schlag, doch kräftig genug, damit er sich nicht noch einmal wiederholen muss. Haltet euch fern vom Dachboden.
»Bist du allein?«
Halfdan hört keine Antwort und vermutet, dass Hjalmar nickt, denn als der Großvater fragt, wo die anderen sind, bringt Hjalmar stammelnd hervor, sie seien unten. Niemand sonst