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Betsys Brief. Marianne Storberg
Читать онлайн.Название Betsys Brief
Год выпуска 0
isbn 9788711446959
Автор произведения Marianne Storberg
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Möglicherweise hatte er seine Worte etwas zu brutal formuliert. Hans hatte ja keine Ahnung, was Halfdan selbst für Betsy empfand. Es wäre schwierig, dies jetzt zu erörtern.
Mehrmals hämmert er kräftig an die Tür. Die Minuten vergehen. Es ist kalt, seine Jacke ist viel zu dünn. Als er packte, hatte er sich vorgestellt, dass es viel wärmer sein würde, dass er dem Frühling begegnen und den langen norwegischen Winter hinter sich lassen könnte. Doch der Winter ist zäh und streng, er dringt erbarmungslos durch alles, was er an sich trägt.
Noch während er auf der Treppe steht und die ersten Regentropfen spürt, hört er eine bekannte Stimme, die drüben an der Straßenecke seinen Namen ruft. Es ist Hans Gude. Groß und kräftig – viel größer als Halfdan ihn in Erinnerung hat. Hans kommt ihm langsam entgegen, fast so, als sträubte er sich, als könnte er jeden Moment innehalten, ihm den Rücken zuwenden und in die entgegengesetzte Richtung davoneilen. Hans, der Halfdan immer so stürmisch entgegenkam, so enthusiastisch, der immer so viel zu erzählen hatte, so einfach mit Menschen bekannt wurde und immer neue Ideen hatte.
Jetzt steht Hans vor ihm und reicht ihm die Hand. Reflexartig weicht Halfdan einen Schritt zurück. Aber schon ist Hans da und drückt ihm fest die Hand, fast schmerzt es ein wenig. Plötzlich fühlt sich Halfdan klein, beklommen und beinahe verängstigt angesichts Hans’ überlegener physischer Kraft. Als sie sich im letzten Herbst in Christiania trennten, war Hans so lebensfroh und überschwänglich wie ein Kind, aber er ist ja auch viele Jahre jünger als Halfdan.
Fünf Monate sind vergangen. Nun steht der Freund vor ihm und ist ein erwachsener Mann geworden. Hans überragt ihn um einen halben Kopf, ein Riese mit langen Haaren und rötlichem Bart in einem großen, abgetragenen Ledermantel. Sogar seine Stimme hat einen männlichen Klang angenommen.
»Gut dich zu sehen, Halfdan.«
Die Worte sind in kühlem Ton gesagt, flach, wie ein schwungloser Vortrag. Sein Gesicht ist abgewandt und hinter dem buschigen Haar verborgen, Halfdan kann den Ausdruck nicht erkennen.
»Hjalmar hat in der letzten Zeit von nichts anderem als dir gesprochen«, fährt Hans fort.
Halfdan weiß nicht, was er eigentlich erwartet hat. Er hört sich selbst, wie er sich verlegen räuspert. Bevor er aufbrach, hatte seine Mutter ihn inständig gebeten, Hans dafür zu danken, dass er Hjalmar den ganzen langen Winter gepflegt hat, doch die Worte, die er sich so genau zurechtgelegt hat, wollen nicht recht heraus. Stattdessen steht er da und zupft nervös an seinen Kleidern.
Hans blickt ihn an, doch nicht mehr wie zuvor, etwas ist anders. Vergebens sucht Halfdan nach dem frohen, jungenhaften Ausdruck, der alle verzauberte.
»Bist du gerade angekommen? Hoffentlich musstest du nicht zu lange warten. Ich war in der Apotheke, um Hjalmars neue Medizin zu holen. Doktor Rittershausen war heute Morgen hier. Er glaubt, dass es einen neuen Versuch wert ist. Hjalmar hatte in den letzten Nächten starke Schmerzen, er ist in letzter Zeit viel kränker geworden.«
Halfdan kann nichts Rechtes erwidern und fragt sich, wie Hans dies wohl auffassen mag. Aber es wäre ja geradezu absurd, wenn bei diesem Wiedersehen mit dem jüngeren Bruder keine starken Gefühle auftauchten. Auch wenn er ungerührt erscheint, wird sich Hans nicht unbedingt darüber wundern.
»Lass uns hier nicht im Regen stehenbleiben. Du siehst ziemlich erschöpft aus«, fügt Hans hinzu, durchsucht die Taschen des großen Mantels und zieht den Schlüssel heraus. Zittern seine Hände? Er blickt rasch über die Schulter, ihre Blicke treffen sich für einen Moment, bevor sich die Tür schließlich öffnet. Hans schiebt ihn vor sich her in das Treppenhaus, holt den Koffer herein und schließt die Tür.
»Den lassen wir stehen, das Gepäck kann ich später holen. Komm.«
Die Luft im Treppenhaus ist unangenehm, es riecht, als hätte gerade jemand Fisch gebraten. Es ist dunkel, nur ein matter Lichtschein dringt durch das Fenster hoch oben in der Wand. Hans deutet auf die Tür hinter der Treppe und spricht leise.
»Dort wohnt unsere Wirtin, Frau Hoffmann. Wir können sie später begrüßen.«
Die Treppe ins erste Stockwerk knarrt. Hans geht voran, dann dreht er sich zu ihm um und flüstert beinahe:
»Der erste Eindruck ist vielleicht nicht überragend, aber wir können uns weder über die Wirtschaft noch über die Wohnung beklagen. Und ein besserer Preis war auch nicht zu bekommen. Du ahnst ja nicht, welche Erleichterung es war, hierher zu ziehen. Das letzte Zimmer war nahezu unbewohnbar. Hjalmar hätte es nicht besser treffen können, so wie die Dinge nun mal sind.«
Ist dieser Kommentar nicht ein wenig unpersönlich und bemüht? Die beiden Freunde stehen vor einer grün gestrichenen Tür ganz am Ende des Flurs. Im Halbdunkel wagt Halfdan einen verstohlenen Blick auf Hans. Sein Gesicht ist ausdruckslos, unmöglich zu deuten.
Hans zeigt auf die Tür, will, dass er sie öffnet, doch plötzlich verspürt Halfdan wieder den unerwarteten Drang zur Umkehr. So nah, und doch steht er jetzt wie gelähmt vor der Tür, außerstande den nächsten Schritt zu tun.
Er spürt Hans’ Hand auf der Schulter und erschaudert angesichts der sicher freundschaftlich gemeinten Geste. Eine wohlmeinende Aufmunterung für den, der an der Schwelle zur Trauer steht. Vorsichtig öffnet er die Tür, schaut prüfend umher und betritt die Welt, die bisher nur in Briefen existierte. Hans’ und Hjalmars Wohnung in Bonn. Nun ist es Wirklichkeit, und Hjalmars Krankheit kommt unversehens ein Stück näher. Dieser Fluch, mit dem seine Familie noch immer zu kämpfen hat.
Obwohl es draußen in Strömen regnet, wirken die Räume hell. Das kleine Zimmer muss die Stube sein, die Hans und sein Bruder bis ins kleinste Detail beschrieben haben. Dort sind die beiden Fenster zum Fluss. Er sieht die Häuserreihe am Ufer auf der anderen Seite. Das eine Fenster ist angelehnt, unten auf der Straße scheint jemand vorbeizugehen, er sieht den Baum und hört die kleinen Vögel zwitschern. Vor dem anderen Fenster steht ein einfacher Tisch mit zwei Stühlen und einer kleinen Petroleumleuchte.
Haben sie hier zusammen gegessen, wenn Hjalmar sich stark genug dafür fühlte? Hat Hans auf diesem Tisch eine Patience gelegt, um die langen Nachmittagsstunden zu verkürzen? Auf der Fensterbank stehen ein Federhalter und ein Tintenfass. War es diese Aussicht auf den Rhein, die Hans genießen konnte, als er träumte und sich für einen Augenblick einbildete, Betsy würde seine Liebe erwidern? Schrieb er hier den dummen Brief, in dem er sich so hemmungslos zu seinen Gefühlen bekannte und noch dazu Halfdan um Hilfe bat? Doch schon bald wird er sie vergessen haben. Er ist jung und unbeständig, alle Möglichkeiten liegen vor ihm, in kurzer Zeit wird Betsy nur eine wehmütige Erinnerung sein. Was Halfdan für sich selbst und Betsy plant, kann er jetzt nicht erzählen. Hans wird es früh genug herausfinden.
Dort steht der Diwan, darüber hängen zwei kleinere Landschaftsmalereien in billigen Holzrahmen. Es ist nicht schwer zu erkennen, dass es sich um zwei von Hans’ früheren Arbeiten handelt. Er erkennt die norwegische Gebirgslandschaft, das Licht am Himmel, die Wolkenformationen. Hans Gudes Werk, ohne Zweifel. Kein anderer kann mit solcher Leichtigkeit das Großartige, das Mächtige der Natur wiedergeben.
Da drüben steht das Klavier mit den Notenheften, die er im Winter geschickt hat. Auf dem Notenstativ sieht er ein Stück von Beethoven stehen. Die Barcarole. Abendstimmung. Hier muss Hans gesessen und gespielt haben, um Hjlamar zu unterhalten, so gut es eben ging.
Oben auf dem Klavier liegt ein Stapel deutscher Romane. Sind das die Bücher des Nachbarn, von dem Hjalmar erzählte? Der junge Professor, der regelmäßig vorbeischaut und die beiden mit Lesestoff versorgt? Obenauf liegt Die Leiden des jungen Werther, aber er sieht auch Titel von Novalis und Hölderlin.
Auf dem Regal über dem Klavier liegen zahlreiche Briefe, zu ordentlichen Stapeln sortiert. Einer davon wird von einem roten Seidenband zusammengehalten. Das müssen Johan Sebastian Welhavens Briefe sein, seine Handschrift ist leicht zu erkennen. Hjalmars Herzensfreund und hehrer Beschützer. So typisch für Hjalmar, diese Ordnung