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größere Holzkisten scheinen all das zu beinhalten, was die beiden Künstler an Pinseln, Blei- und Kohlestiften, Zeichenblöcken und zusammengerollten Leinwänden besitzen. Zwei zusammengeklappte Staffeleien sind an die Wand gelehnt. Auf der einen steht der Name seines Bruders. Hier ist alles vereint, alle zerstörten Träume Hjalmars.

      Lautlos zieht Halfdan die Jacke aus und legt sie auf den Diwan. Warum zögert er, wieso stürzt er nicht zu Hjalmar hinein? Was hält ihn zurück? Womöglich hat Hjalmar schon die Stimme und die Schritte des Bruders erkannt und wundert sich, wieso zum Teufel er nicht längst die Tür geöffnet hat, ihn umarmt und Grüße bestellt von all den Daheimgebliebenen, nach denen er sich den ganzen Winter über buchstäblich zu Tode gesehnt hat.

      Einen Moment lang bleibt Halfdan vor der Schlafzimmertür stehen. Er wiederholt in seinem Innern die Sätze, die er sich so oft schon vorgesagt hat. Wenn auch die Hoffnung stirbt, ist alles verloren. Er, Halfdan, muss festen Glaubens sein, denn wenn überhaupt etwas zu einem Wunder führen kann, dann nur dies. Seine Anwesenheit.

      »Er liegt da drinnen, du brauchst nur hineinzugehen.«

      Er dreht sich zu Hans um, der ihn mit festem Blick ansieht. Plötzlich wird ihm klar, dass Hans echtes Mitgefühl zeigt. Natürlich, Hans ist ein guter Mensch, warm und großzügig.

      Halfdan schämt sich. Wie kleinlich er gewesen ist. Wie konnte er einem wie Hans nur misstrauen? Jetzt weiß er es. Hans ist zur Vernunft gekommen. Nichts Schlimmes ist geschehen. Wieder einmal hat er sich grundlos Sorgen gemacht. Dass er nie etwas lernt! Die Briefe, die sich Halfdan und Hans im Winter geschrieben haben, müssen vergessen sein.

      Das hätte auch noch gefehlt! Der pure Wahnsinn. Hans Gude und Betsy Anker, ein völlig absurder Gedanke, komisch geradezu. Die schöne Betsy mit einem mittellosen und indiskutablen Künstler. Vielleicht hat Hans ja selbst eingesehen, wie unpassend die Verbindung wäre?

      Der arme Hans. Es muss wohl nur ein Einfall gewesen sein, den er schon längst wieder vergessen hat, das sähe ihm ähnlich. Halfdan entspannt die Schultern und holt tief Luft. Mit der Gewissheit, dass Hans noch immer sein guter Freund ist, stößt er vorsichtig die Tür auf.

      Halfdan

      Grini in Bærum, Juni 1830

      »Halfdan! So warte doch! Du gehst so schnell. Glaubst du, wir haben uns verlaufen?«

      Halfdan hört die Stimme seines jüngeren Bruders hinter sich, er klingt, als ob er langsam unruhig wird, er ist außer Atem.

      Er selbst ahnt nicht, wie lange sie schon so umhergewandert sind. Eine halbe Ewigkeit haben sie sich durch Farnkraut und dichten Fichtenwald gekämpft, doch plötzlich öffnet sich eine Wiese vor ihnen mit Hummeln in der warmen, schwirrenden Luft über Glockenblumen und Rotklee. Freitagnachmittag, Sommer im Wald und einer der hellsten Tage des Jahres.

      Halfdan bleibt stehen, legt die Angelrute beiseite und blickt umher, wischt sich mit dem aufgerollten Hemdsärmel den Schweiß von der Stirn und verscheucht einen aufdringlichen Mückenschwarm.

      »Komm, es muss da unten liegen, hier entlang.«

      »Bist du sicher?«

      Hjalmar ist neun Jahre alt und bemüht sich, Schritt zu halten.

      »Ja, sieh nur, die Sonne, es muss diese Richtung sein.«

      Sie nähern sich dem Waldrand auf der anderen Seite der Wiese, abermals eine undurchdringliche Wand aus Dunkelheit und abweisendem Fichtengehölz. Auch hier kein Pfad. Hjalmar läuft ein Stück nach rechts und stöbert umher.

      »Hier, Halfdan!«

      Seine Stimme klingt ein wenig stolz. Hjalmar hat einen kleinen Weg gefunden, eine Öffnung zwischen den Bäumen. Sie folgen ihm, es ist ein unwegsamer Trampelpfad. Der Wald wird lichter, Laubbäume filtern das Sonnenlicht durch üppiges Blattwerk. Es geht steil nach unten. Sie müssen einen kleinen Sumpf durchqueren, überall ist es feucht, Spuren von Tieren im Schlamm. Auf Stöcke gestützt, müssen sie die schlimmsten Stellen überspringen, sie machen ein Spiel daraus, bei dem es gilt, das Gleichgewicht zu halten.

      »Gib acht! Du trittst in einen Kuhfladen!«

      Halfdan springt zur Seite, rettet sich in letzter Sekunde, und Hjalmar lacht.

      Sie müssen sich doch der Ortschaft nähern? Einem der Höfe vielleicht? Auf der anderen Seite des Birkendickichts stoßen sie auf einen Lattenzaun, erspähen torfbedeckte Dächer, aus einem der Schornsteine kommt Rauch.

      Der Schweiß tropft. Die kühle Erfrischung beim Bad im Østernvann ist nur noch eine ferne Erinnerung. Sie teilen sich den Rest aus der Wasserflasche, und Halfdan bereut, sie nicht aufgefüllt zu haben, als sie vor einiger Zeit den Bach kreuzten. Er blickt auf seinen kleinen Bruder hinunter, der darauf wartet, dass er einen Vorschlag macht.

      »Wir müssen hier rüber, Hjalmar. Der Fluss ist gleich da unten.«

      Jetzt weiß er, wo er ist, an dieser Kate ist er schon einmal mit seinem Großvater vorbeigeritten.

      »Hier rüber?«, fragt Hjalmar unsicher, der Lattenzaun erscheint ihm wohl recht hoch. »Sollen wir etwa direkt über die Weide gehen?«

      »Doch sicher, das ist der schnellste Weg. Jetzt beeil dich!«

      Unten auf dem Gut ist bald Essenszeit. Das ist Hjalmar anscheinend nicht bewusst, umso besser, denn sonst würde er sich nur ängstigen. Hjalmar tut, was er kann, um Streit zu vermeiden. Er weiß sehr gut, wie wütend der Großvater werden kann.

      Gleich nach dem Frühstück sind sie in den Wald gezogen, um zu baden und zu angeln, Hjalmar hat seine Malsachen im Rucksack mitgenommen. Zu Hause glauben sie jetzt wohl, dass die Jungen schon längst zurückgekommen sind.

      »Komm, ich helfe dir. Fass die Latte an, da oben.«

      Er hievt den zart gebauten Bruder hinauf. Hjalmars Leinenhemd ist aufgekrempelt und entblößt die sonnengebräunten Arme, die von einem Dutzend Mückenstichen übersät sind. Halfdan packt den Fuß des Bruders und entdeckt eine Schürfwunde am Knie, die schon dabei ist, wieder zu heilen. Jetzt hat Hjalmar Halt und kann sich auf der anderen Seite hinunterlassen. Nach einer weichen Landung bleibt er auf einem Bett aus Margeriten sitzen. Mit einem Grashalm zwischen den Daumen versucht er zu pfeifen. Halfdan hat es ihm viele Male gezeigt, aber Hjalmar will es nicht recht gelingen.

      Er wirft ihre Sachen über den Zaun und springt hinterher. Die Kühe grasen unbeirrt weiter und scheinen sie dort am Rande der Weide gar nicht wahrzunehmen. Unten auf dem kleinen Bauernhof sind Menschen. Sie hören Stimmen zwischen den niedrigen Blockhäusern und bemerken einen Jungen in Hjalmars Alter, der an einer Hausecke steht. Er ist der Sohn eines der Männer, die dem Großvater im Frühjahr beim Bestellen der Felder geholfen haben.

      Doch niemand sieht sie. Lassons Enkel. Feine Leute aus Grini, die ungefragt hier herumschleichen, das schickt sich nicht. Da gilt es fortzukommen. Ein Hofhund bellt, doch sie laufen einfach weiter, klettern über die Mauer auf den Weg und gehen weiter durch den Wald auf den Fluss zu.

      Ja, hier kennt er sich aus. Dort glitzert der Fluss zwischen den Bäumen. Das Wasser steht höher als gewöhnlich, es war ein regenreicher Frühsommer. Sie finden die Stelle, wo der Fluss am schmalsten ist.

      »Wir müssen hinüberwaten.«

      Hjalmar schaut zweifelnd umher.

      »Nun komm schon! Nimm die Angel und den Rucksack, dann kannst du auf meinem Rücken sitzen.«

      Halfdan krempelt sich die Hosenbeine auf, beugt sich hinunter und spürt Hjalmars Gewicht, als er die dünnen Jungenbeine umfasst. Besser ist es wohl, dass nur er nass wird, dass er es ist, der den Ärger über sich ergehen lässt, wenn sie heimkommen. Irgendeine Erklärung wird ihm schon einfallen. Dann stapft er ins Wasser, eiskalt fühlt es sich auf der sonnengewärmten Haut an. Um ihn herum gluckst es, vorsichtig bewegt er sich weiter, bahnt sich den Weg an großen Steinen vorbei und sucht Halt, sobald es glatt wird. An einigen Stellen ist das Wasser tiefer, als es aussieht, aber dann, endlich hat er wieder festen Boden unter den Füßen.

      Da

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