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bestätigen konnte.

      Hjalmar hat seine Hand noch nicht wieder losgelassen, er hat die Augen geschlossen, schläft aber nicht. Dann plötzlich dreht er sich um und sieht ihn an.

      »Du musst jetzt fahren, Hans.«

      »Wovon redest du?«

      Hjalmar blickt ihn an, insistierend.

      »Ich meine, dass du nach Düsseldorf zurückfahren sollst, jetzt, nachdem Halfdan gekommen ist.«

      Wegfahren? Hjalmar verlassen? Durchaus ist ihm der Gedanke schon einmal gekommen, aber bis jetzt hat er es kaum für möglich gehalten. Und dennoch begreift er, dass der Drang zu reisen schon eine Weile zu spüren ist, er ihm aber nicht nachzugeben wagte. Die Monate sind vergangen, ohne dass er arbeiten konnte, vielleicht war das Opfer doch größer als zunächst vermutet.

      Als er in der Frühe die Kirchenglocken hörte und das Morgengrauen durch die Vorhänge dringen sah, hatte es sich angefühlt, als hätte er überhaupt nicht geschlafen. Den Diwan hatte er Halfdan überlassen, der von der Reise erschöpft war. Er selbst hatte mit einer alte Rosshaarmatratze vorlieb genommen, die er aus dem Kämmerchen im Flur geholt hatte. Nachdem sie das Essen bereitet und Hjalmar die Medizin verabreicht hatten, wollte Halfdan sich hinlegen, und so hatten sie sich auf ein frühes Zubettgehen geeinigt. Dagegen hatte Hans nichts einzuwenden.

      Als er die Kerzen im Halter über dem Klavier ausblies und alles dunkel wurde, erschien es ihm zunächst wie eine Erleichterung. Doch die hielt nicht lange an. Die Matratze hatte er in die andere Ecke des Zimmers gelegt, so weit weg wie möglich, und ganz nah an das Klavier herangeschoben. Dennoch spürte er Halfdans Anwesenheit so deutlich, dass es ihn schauderte. Schon bevor Halfdan angekommen war, hatte Hans sich gegen eine offene Konfrontation entschieden, angesichts von Hjalmars Zustand wäre das schlichtweg unwürdig gewesen. Aber nach Halfdans Dolchstoß spürt er noch immer den Schmerz.

      Jäh und unerklärlich hatte Halfdan ihn verraten. Zu Beginn des Winters hatte er Halfdan einen Brief geschrieben, in dem er ihm anvertraute, dass er Betsy liebte, dass er einzig an sie denken konnte, dass er noch niemals so für einen Menschen empfunden hatte und dass sogar die Kunst begann, ihre Bedeutung für ihn zu verlieren. Er hatte Halfdan erzählt, dass er den General um ihre Hand bitten wolle, was immer auch geschehen möge, dass er jedoch Hilfe brauchte. Könnte Halfdan nicht vielleicht für Hans ein gutes Wort bei ihrer Familie einlegen?

      Hans glaubte hören zu können, wie Halfdan dort drüben in der Dunkelheit die Augen zusammenkniff, schluckte, schmatzte, winzige Geräusche, die verrieten, dass auch er nicht schlafen konnte. Im Laufe der Nacht mussten sie drei Mal zu Hjalmar hinein, er brauchte sie, gegen Mitternacht war der Husten ganz schrecklich, doch glücklicherweise sank das Fieber im Morgengrauen. In den Ruhepausen lag er da und starrte ins Nichts, versuchte, die Gefühle zu sortieren. Liebste Betsy. Wo war sie jetzt wohl? Lag sie womöglich auch wach? Hans wälzte sich auf der harten Matratze, sah Betsys Lächeln vor sich, die zarte Gestalt, so voller Leben, den wachen und strahlenden Blick, so als wollte sie sich nichts entgehen lassen. Plötzlich war ihm, als könnte er ihr klingendes Lachen hören. Er stand im Dunkeln auf und schämte sich. Lachte sie ihn etwa aus?

      Als Halfdan ihn im Stich gelassen und seine Liebesträume zerstört hatte, konnte er nichts anderes tun, als Betsy selbst zu schreiben und ihr zu sagen, dass er sie liebte wie noch nie zuvor ein Mann eine Frau geliebt hatte. Er konnte sie nicht einfach aufgeben, musste zunächst in Erfahrung bringen, was sie für ihn empfand.

      Schon längst musste sie seinen Brief erhalten haben. Vielleicht hatte sie ihm schon eine Antwort geschickt? Gut möglich, dass ein Brief schon mit der Post auf dem Weg war. Fast gelang es ihm, zur Ruhe zu kommen. Doch dann hörte er das Knirschen des Diwans und Halfdan, der sich die Nase schnäuzte. So ging es dann die ganze Nacht. Die erste Nacht mit Halfdan.

      Hjalmars dünne Finger umklammern sein Handgelenk.

      »Du musst da weitermachen, wo du aufgehört hast, Hans. Du hast schon zu viel wertvolle Zeit vergeudet. Nur meinetwegen hast du so viel geopfert.«

      »Ich habe die Wahl getroffen, die getroffen werden musste.«

      Hjalmar antwortet nicht.

      Wahl, wie gut das klingt. Aber wohl kaum zutreffend für die Situation. Die Wahrheit ist, dass er keine Alternative hatte. Er schuldete Hjalmar so viel. Und das hier war sein kaum hinreichender Beitrag zur Wiedergutmachung. Der Freund hatte Hilfe und Pflege benötigt.

      Als er im Herbst angekommen war, ahnte er nicht, was ihn erwarten würde. Wie krank, verzweifelt und einsam Hjalmar war und wie schnell sich die Krankheit in die falsche Richtung entwickelte.

      Als sich der erste Schock gelegt hatte, kam eins zum anderen. Plötzlich war er so involviert, dass nicht die Rede davon sein konnte, wie geplant nach Düsseldorf zu fahren. Kurz danach war die Nachricht eingetroffen, auf die er gewartet hatte, nun musste er Ritter und Schirmer mitteilen, dass er nicht zurückkommen könnte. Dass er gezwungen war, sich von dem ganzen Projekt zurückzuziehen, dem gewonnenen Wettbewerb, einem prestigeträchtigen Auftrag, der die Ausschmückung eines Rathaussaals beinhaltete. Als er den Brief schrieb, konnte er die ungläubigen Blicke seiner beiden Professoren förmlich vor sich sehen. Wie würde sich die Neuigkeit an der Akademie herumsprechen? Hans Gude stünde nicht zur Verfügung. Gerüchte würden sich verbreiten über den jungen norwegischen Kunststudenten, der sich wider besseres Wissen eine unfassbare Chance entgehen ließ. Wegen eines kranken Freundes. Das Ganze musste einen ordentlichen Wirbel verursacht haben, sie mussten glauben, er sei verrückt geworden.

      Drei Wochen nachdem er zu Hjalmar gekommen war, hatte er seine Absage geschickt. Er hatte Hjalmars Blick gespürt, als er den Brief eilig in den Umschlag steckte und versiegelte. Hjalmar hatte er gesagt, er müsse nur schnell etwas erledigen. Er wollte gar nicht weiter darüber nachdenken, es nur hinter sich bringen, zum Postamt laufen und den Brief abschicken. Hjalmar fragte nicht nach, doch Hans hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass er den Inhalt kannte. Als er kurz danach wieder nach Hause kam, war Hjalmar wach. Danke, sagte er nur. Nie wieder wurde darüber gesprochen.

      Eine Weile hat Hans in Gedanken versunken neben Hjalmar gesessen, der wohl von Fieberfantasien geplagt wird. Doch da räuspert sich Hjalmar und blickt ihn an.

      »Ich bitte dich, Hans.«

      »Was?«

      »Hörst du nicht? Ich bitte dich abzureisen. Fahr los! Ich kann nicht noch mehr deiner Zeit auf dem Gewissen haben.«

      Er wirkt fast zornig. Wo nimmt er nur die Kräfte her?

      »Seit November hast du keinen Pinsel mehr angerührt. Du hast doch eine Zukunft, Hans. Und mit jeder weiteren Woche verspielst du nur noch mehr deiner Möglichkeiten. Du bist dabei, dir einen Namen zu machen. Zerstör dich nicht selbst.«

      Das Leben in Düsseldorf, das ganze Milieu an der Akademie, das alles ist in die Ferne gerückt. Zu Beginn kamen noch Briefe von Kommilitonen, Grüße und Sympathiebekundungen. Er und Hjalmar würden vermisst, Hjalmar solle doch bald wieder gesund werden.

      Im Laufe des Winters wurde es still. In jedem Jahr strömen neue talentierte Künstler aus ganz Europa nach Düsseldorf, jung und voller Hoffnung. Ritter und Schirmer haben sich sicher schon neue Favoriten erkoren.

      Es sieht aus, als sei Hjalmar wieder eingeschlafen. Um ihn nicht zu wecken, befreit Hans sich vorsichtig aus seinem Griff und legt Hjalmars Arm auf die Decke zurück.

      Er setzt sich an den Tisch am Fenster, holt die Geldkassette hervor und zählt den Inhalt noch einmal durch. Das ist schnell getan. Er ist fast mittellos, und wenngleich sein Vater Verständnis aufgebracht hätte, wollte er doch so lange wie möglich warten, bevor er schriftlich um Geld bat. Ohne andere Einkünfte war der großzügige Beitrag des Vaters nie dazu gedacht gewesen, bis zum Sommer auszureichen, geplant war doch, dass er selbst etwas verdienen sollte. Dazu allerdings hatte es keine Gelegenheit gegeben, und diese Wohnung kostete auch mehr, als sie sich streng genommen leisten konnten, doch sie teilen sich ja alle Ausgaben, und eine andere Wahl hatten sie nicht. Noch wesentlich ärmlicher konnten sie einfach nicht wohnen. Das kleine Zimmer, das sie sich bis kurz vor Weihnachten geteilt hatten, war unerträglich, sogar seine eigene Gesundheit

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