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zögert. Dann kommt Hjalmar schließlich einen Schritt auf ihn zu und boxt ihm mit seiner kleinen Faust gegen die Schulter. Die brüderliche Freundschaftsgeste, behutsam und ungefährlich, sie sagt alles.

      Ja, wieso steht er hier eigentlich und trödelt herum? Er folgt Hjalmar die Treppe hinunter in das Gewirr aus Stimmen, Gelächter und klirrenden Gläsern, derweil der Großvater im Gartenzimmer die Stimme erhebt.

      »Liebe Freunde, meine Damen und Herren.«

      Der Großvater heißt alle zum Hauskonzert der Familie Lasson willkommen, welch eine Freude, dass so viele dem Wetter getrotzt und sich auf den Weg hinaus nach Grini gemacht haben. Und er könne garantieren, dass sie eine unvergessliche Vorstellung erwarte, es gäbe Einiges, worauf die Gäste sich freuen dürften.

      Halfdan stellt sich an die Wand, verbirgt sich halbwegs hinter dem großen Piedestal mit der palmenartigen Pflanze. Hjalmar steht neben ihm, an die gelb gestreifte Tapete gelehnt. Das Herz klopft, es fühlt sich an, als wollte es gleich zerspringen, Halfdan schlottern die Knie. Er sieht zu Hjalmar hinüber, der strahlt und sich freut. Hjalmar glaubt an ihn, hält ihn für den Besten von allen.

      Er wirft einen Blick auf die Versammlung, entdeckt bekannte und unbekannte Gesichter. Onkel Peder nickt ihm feierlich zu, doch deswegen fühlt er sich auch nicht besser.

      Die Mutter ist nicht wieder erschienen. Aber der Großvater nimmt alles in die Hand. Mit einem breiten Lächeln kann er alle beruhigen, seine Älteste, Elisabeth, wurde von einem plötzlichen Unwohlsein befallen, nichts Ernstes, sie braucht nur ein wenig Ruhe. Und ausdrücklich habe sie darum gebeten, das Hauskonzert beginnen zu lassen.

      Tante Kaja und Tante Otilie vom Munkedamm beginnen mit einer Arie aus »Die Puppe, die auch was mitbringt« und ernten stürmischen Applaus.

      Dann ist er an der Reihe. Auf geradezu mysteriöse Art gelingt es ihm, jedwede Nervosität abzuwerfen. Mit dem Rücken zum Publikum präsentiert er seine neuen Kompositionen für Klavier. Als säße er allein zu Haus und übte, nur mit Hjalmar als Zuschauer. Als gäbe es sonst nicht anderes. Nur ihn und die Musik. Keinerlei Zögern.

      Erst als der letzte Ton verklingt, wird ihm bewusst, dass er ihnen fast den Atem geraubt hat, so begeistert ist das Publikum über seine Leistung. Die Gesellschaft erhebt sich applaudierend. Er schiebt den Klavierhocker zurück, stellt sich davor, die Erleichterung durchströmt jede Pore. Er hört Onkel Peder »Bravo!« rufen. Der Großvater nickt anerkennend und sonnt sich unverhohlen im Glanz der Vorstellung.

      Halfdan tritt einen Schritt vor und verbeugt sich tief.

      Und da ist Hjalmar. Niemand ist jetzt glücklicher als er. Der stolze Gesichtsausdruck, die leuchtenden Augen. Halfdan sieht seinen jüngeren Bruder an und verspürt ein tiefes Gefühl der Zärtlichkeit für ihn, er weiß nur zu gut, dass er hier nicht stehen würde, wenn es Hjalmar nicht gäbe.

      Hans

      Bonn, 21. März 1847

      »Halfdan, Halfdan!«

      Hjalmars Ruf ertönt aus dem Schlafzimmer. In jähem Erschrecken zuckt Hans zusammen, der Bleistift rutscht über das Papier und hinterlässt einen langen Strich. Er springt auf, stößt dabei den Stuhl um und eilt zu Hjalmar hinein, der im Bett sitzt, nach Luft ringt und verängstigt umherblickt.

      »Hab ich geträumt? Hans, war das ein Traum? Sag, dass ich nicht geträumt habe!«

      »Aber nein. Beruhige dich, Hjalmar.«

      »Wo ist Halfdan? Er war doch eben noch hier. Wo ist er?«

      Hjalmar krallt sich an Hans’ Arm fest, schüttelt ihn, wie um die Antwort aus ihm herauszuzwingen.

      »Leg dich wieder hin, Hjalmar. Alles ist in Ordnung. Dein Bruder ist hier, er ist nur schnell zur Apotheke gelaufen. Er ist schon bald wieder zurück.«

      Hjalmars Gesicht ist ängstlich verzerrt, sein Blick ist fieberglänzend. Der Kopfkissenbezug muss gewechselt werden, er ist ganz feucht und gelblich verfärbt, Hjalmar hatte wohl wieder einen dieser Schweißausbrüche.

      »Jetzt trink etwas.«

      Zitternd leert Hjalmar das Wasserglas.

      »Bist du sicher, dass Halfdan zurückkommt, Hans? Das sagst du doch wohl nicht nur so?«

      »Ganz sicher. Ich bleibe jetzt ein Weilchen bei dir sitzen.«

      Hjalmar legt sich zurück und wirkt beruhigt. Draußen hat der Wind wieder aufgefrischt. Heulend streicht er durchs Zimmer. Es herrscht Durchzug. Hans schließt das Fenster und befestigt den Haken.

      »Was für ein Tag ist heute?«

      »Mittwoch.«

      »Ist er gestern gekommen?«

      »Ja, er ist gestern Mittag angekommen.«

      Hans war an der Tür stehen geblieben und hatte Halfdans unsichere Schritte in Hjalmars Zimmer hinein beobachtet. Einen Augenblick hatte es so ausgesehen, als wollte Halfdan nicht weitergehen, ein paar Sekunden stand er nur da und nahm das halbdunkle Schlafzimmer in sich auf. Die Vorhänge waren zugezogen, und die Luft war wie üblich feucht und stickig. Hans war ja an den Anblick gewöhnt, nun aber blickte Halfdan in das spärlich möblierte Zimmer, eine Kommode aus Walnussholz mit einer Waschschüssel, Garderobenhaken mit Kleidung. Ein Nachttisch mit einem in die Jahre gekommenen Flickenteppich auf dem Boden davor. Ganz hinten an der Wand das schmale Eisenbett. Hjalmars Gesicht zur Wand gedreht, von der Tür aus war nur sein schwarzes Haar auf dem weißen Kopfkissen erkennbar. Erst als sich der ältere Bruder auf die Bettkante setzte, drehte sich Hjalmar verwundert um, so als könnte er gar nicht glauben, dass Halfdan wirklich gekommen war.

      Hans hatte still dagestanden und zugesehen, wie Hjalmar dem Bruder die schmalen Hände entgegenstreckte, eine langsame Bewegung. Stumme Tränen.

      Halfdan zog ein weiches Päckchen hervor, das mit einem Bindfaden verschnürt war. Das Seidenpapier war zerdrückt und hatte an der Ecke einen Riss. Mit zitternden Händen öffnete Hjalmar das Geschenk. Es war eine gehäkelte Decke aus weißer Wolle.

      »Die ist von Mutter«, sagte Halfdan leise. »Den ganzen Winter über hat sie daran gearbeitet, erst kurz bevor ich losfuhr, wurde sie fertig.«

      Hjalmar hielt sich die Decke dicht vors Gesicht und schloss die Augen.

      Nach einer Weile hatte sich Hans an den Tisch in der Stube gesetzt, die beiden Brüder führten im Schlafzimmer eine leise Unterhaltung. Er hörte, wie Hjalmar nach der Mutter und den Brüdern fragte, und Halfdan erzählte, die Mutter leide unter der Situation, sei aber tapfer. Sie habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sich Hjalmar im Laufe des Frühlings erholen würde, sie vermisse ihn ganz schrecklich, aber das wisse er ja wohl, so oft, wie sie ihm geschrieben habe. Nun jedoch erfreue sich die Mutter an dem Gedanken, dass Halfdan bei ihm sei. Zwar plage sie die Gicht, doch darüber hinaus sei sie bei guter Gesundheit und habe die Umwälzungen überraschend gefasst ertragen. Obwohl erst wenige Monate vergangen seien, erscheine es ihnen doch so, als wären sie schon vor langer Zeit aus Bakkehus fortgezogen. In gewisser Weise hätten sich alle an die Wohnung in der Sverdfegergate gewöhnt, das Wohnzimmer sei hell und angenehm. Aber natürlich sei das kein Ort, an dem man Besuch empfangen könne, im Allgemeinen hätten sie viel weniger gesellschaftlichen Umgang als zuvor. Hans hatte Hjalmar seufzen hören, ein paar Mal hatte er wiederholt, er könne sich gar nicht an den Gedanken gewöhnen, dass die Mutter und die Brüder nun in einer kümmerlichen Wohnung in Christiania lebten.

      Halfdan hatte erwidert, er solle sich keine Gedanken machen, das Einzige, woran ihnen nun gelegen sei, das sei er, Hjalmar. Alles andere seien nur Bagatellen. Dann hatte er Grüße von den Brüdern ausgerichtet. Axel, der Jurist war, habe endlich eine Anstellung gefunden, es gehe ihm gut. Theodor habe die letzten Prüfungen mit Bravour bestanden und sei nun dabei, eine geologische Feldarbeit vorzubereiten. Die Mutter freue sich darauf, ihn bald in fester Stellung zu wissen, so müsse sie ihn nicht mehr durchfüttern. Ja, überhaupt sei sie froh, dass Theodor das Elternhaus bald verlassen würde. Noch dazu sei er gerade sehr verliebt, was das Zusammenleben mit ihm nicht einfacher mache. Hans hatte Hjalmar

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