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Verbrechen und Strafe. Fjodor Dostojewski
Читать онлайн.Название Verbrechen und Strafe
Год выпуска 0
isbn 9788726372038
Автор произведения Fjodor Dostojewski
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Raskolnikow fiel kraftlos auf das Sofa zurück; aber er konnte die Augen nicht mehr schließen; etwa eine halbe Stunde lang lag er so da, in einem so qualvollen Zustande und in einem so unerträglichen Gefühle grenzenloser Angst, wie er das noch niemals durchgemacht hatte. Auf einmal erhellte ein greller Lichtschein sein Zimmer: Nastasja kam mit einem Lichte und mit einem Teller Suppe herein. Sie blickte ihn aufmerksam an, und als sie sah, daß er nicht schlief, stellte sie das Licht auf den Tisch und ordnete daneben, was sie mitgebracht hatte: Brot, Salz, einen Teller und einen Löffel.
„Du hast gewiß seit gestern nichts gegessen. Treibst dich den ganzen Tag herum, wo du doch Fieber hast!“
„Nastasja, warum hat die Wirtin Schläge bekommen?“
Sie sah ihn mit einem prüfenden Blicke an.
„Wer hat denn die Wirtin geschlagen?“
„Jetzt eben, . . . vor einer halben Stunde, hat es Ilja Petrowitsch getan, der Stellvertreter des Revieraufsehers, auf der Treppe . . . Warum hat er sie so geschlagen, und warum ist er überhaupt hergekommen?“
Nastasja betrachtete ihn schweigend und mit gerunzelter Stirn; so sah sie ihn lange an. Ihm wurde ihr forschender Blick unangenehm, ja geradezu beängstigend.
„Nastasja, warum antwortest du nicht?“ fragte er zuletzt schüchtern und mit schwacher Stimme.
„Das kommt vom Blute“, erwiderte sie endlich leise, wie wenn sie zu sich selbst spräche.
„Blut? . . . Was für Blut?“ murmelte er. Er wurde ganz blaß und rückte an die Wand.
Nastasja blickte ihn immer noch schweigend an.
„Niemand hat die Wirtin geschlagen“, antwortete sie dann in scharfem, entschiedenem Tone.
Er sah sie an und konnte kaum Atem holen.
„Ich habe es doch mit eigenen Ohren gehört, . . . ich habe nicht geschlafen, . . . ich habe aufrecht gesessen“, entgegnete er noch schüchterner. „Ich habe es lange mit angehört. Der Stellverteter des Revieraufsehers war gekommen. Es war ein großer Auflauf auf der Treppe, die Leute aus allen Wohnungen . . .“
„Kein Mensch ist hergekommen. Das ist das Blut, das in dir herumtobt. Wenn das keinen Ausweg hat und zu Klumpen gerinnt, davon kommt dann solch unsinniges Gerede . . . Willst du nicht etwas essen?“
Er antwortete nicht. Nastasja stand noch immer neben ihm, blickte ihn unverwandt an und ging nicht weg.
„Gib mir zu trinken, liebe Nastasjuschka!“
Sie ging nach unten und kam nach zwei Minuten mit Wasser in einem weißen Tonkruge zurück; aber was weiter vorging, daran konnte er sich später nicht mehr erinnern. Er erinnerte sich nur, wie er einen Schluck kaltes Wasser aus dem Kruge geschlürft und sich dabei die Brust begossen hatte. Dann hatte er die Besinnung verloren.
III
Indessen war er nicht während der ganzen Dauer seiner Krankheit völlig besinnungslos: er befand sich in einem fieberhaften Zustande mit Irrereden und halbem Bewußtsein. An vieles vermochte er sich später zu erinnern. Bald schien es ihm, als ob sich viele Menschen um ihn versammelten und ihn nehmen und irgendwohin wegtragen wollten und sich um ihn heftig stritten und zankten. Bald war er auf einmal allein im Zimmer; alle waren hinausgegangen und fürchteten sich vor ihm, und nur ab und zu öffneten sie die Tür ein wenig, um nach ihm zu sehen, drohten ihm, besprachen etwas untereinander, lachten und neckten ihn. Er erinnerte sich, daß er Nastasja oft neben sich gesehen hatte; er hatte auch noch einen Menschen bemerkt, der ihm sehr bekannt vorkam; aber wer es eigentlich war, darüber konnte er schlechterdings nicht ins klare kommen, und das war ihm ein peinigendes Gefühl, er weinte sogar darüber. Manchmal schien es ihm, als liege er schon einen Monat, ein andermal, als sei es immer noch der nämliche Tag. Aber jene Sache — jene Sache hatte er vollständig vergessen; dagegen kam ihm alle Augenblicke der Gedanke, er habe etwas vergessen, was er nicht hätte vergessen dürfen; er quälte und marterte sich mit dem Versuche, es sich ins Gedächtnis zurückzurufen, er stöhnte, er geriet in Wut oder in eine entsetzliche, unerträgliche Angst. Dann sprang er auf und wollte davonlaufen; aber immer hielt ihn jemand mit Gewalt zurück, und er sank wieder in Schwäche und Bewußtlosigkeit zurück. Endlich kam er wieder ganz zu sich.
Dies geschah eines Morgens um zehn Uhr. Um diese Stunde wanderte an heiteren Tagen immer ein langer Streifen Sonnenschein über die rechte Wand seines Zimmers und beleuchtete die Ecke neben der Tür. An seinem Bette stand Nastasja und außerdem noch ein Mann, der ihn mit lebhaftem Interesse betrachtete und ihm ganz unbekannt war. Es war ein junger Mensch im langschößigen Rock, mit kleinem Barte; er machte etwa den Eindruck eines Kontoristen. Durch die halbgeöffnete Tür blickte die Wirtin herein. Raskolnikow richtete sich auf.
„Wer ist das, Nastasja?“ fragte er, indem er auf den jungen Mann zeigte.
„Na, nun sieh mal! Er ist wieder zu sich gekommen!“ rief sie.
„Der Herr ist wieder zu sich gekommen“, wiederholte der Kontorist.
Sowie sie vernahm, daß er wieder bei Bewußtsein war, machte die Wirtin, die verstohlen durch die Tür hereingeguckt hatte, diese zu und verschwand. Sie war auch sonst immer sehr schüchtern und verlegen und ließ sich nur ungern auf Gespräche und Erörterungen ein; sie mochte etwa vierzig Jahre alt sein, hatte schwarze Augenbrauen und schwarze Augen, war dick und fett und infolge dieser Beleibtheit sowie auch aus Trägheit sehr gutmütig. Sie machte in ihrer äußeren Erscheinung einen ganz netten Eindruck, benahm sich aber überaus zimperlich.
„Wer sind Sie?“ fragte Raskolnikow wieder, sich diesmal an den Kontoristen selbst wendend.
In diesem Augenblicke wurde die Tür wieder, und zwar sperrangelweit, geöffnet, und wegen seiner hohen Statur etwas gebückt, trat Rasumichin ein.
„Na, so eine Schiffskajüte!“ rief er beim Eintreten. „Jedesmal stoße ich mit der Stirn an; und so etwas nennt sich Wohnung! Na, und du, Bruder, bist wieder zu dir gekommen? Ich habe es eben von Paschenjka gehört.“
„Eben ist er wieder zu sich gekommen“, sagte Nastasja.
„Eben ist der Herr wieder zu sich gekommen“, wiederholte liebenswürdig der Kontorist mit leisem Lächeln.
„Nun, und wer sind Sie denn?“ fragte Rasumichin, sich zu ihm wendend. „Mein Name ist — Sie gestatten — Wrasumichin, nicht Rasumichin, wie man mich immer nennt, sondern Wrasumichin, Student, Sohn eines Edelmannes, und der hier ist mein Freund. Nun also, und was sind Sie für einer?“
„Ich bin Kontorist im Geschäft von Schelopajew und bin in einer Geschäftssache hier.“
„Bitte, nehmen Sie auf diesem Stuhle Platz!“ Rasumichin selbst setzte sich auf einen andern, an der andern Seite des Tischchens. „Das ist recht von dir, Bruder, daß du wieder zu dir gekommen bist“, fuhr er, zu Raskolnikow gewendet, fort. „Seit mehr als drei Tagen hast du so gut wie nichts gegessen und getrunken; nur ein bißchen Tee haben wir dir eingelöffelt. Zweimal habe ich Sossimow mit zu dir hergebracht. Erinnerst du dich noch an Sossimow? Er hat dich sorgfältig untersucht und sagte gleich, die Sache habe nichts zu bedeuten; es wäre wohl etwas mit dem Kopfe passiert. Irgend so ein Quatsch mit den Nerven, dazu mangelhafte Ernährung, sagte er; du hättest zu wenig Bier und Meerrettich