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was Sie wünschen? Denk nur, Rodja, es ist schon zum zweiten Male jemand aus der Bank hier; nur war vorher ein anderer gekommen, mit dem habe ich mich unterhalten. Wer war das, der vor Ihnen hier war?“

      „Wohl vorgestern, ganz recht; das war Alexej Semjonowitsch; der ist auch bei uns im Geschäft.“

      „Der ist wohl viel gescheiter als Sie, meinen Sie nicht?“

      „Das mag schon sein; er ist auch schon älter.“

      „Sehr löblich geantwortet; na, dann tragen Sie Ihre Sache vor!“

      „Also“, begann der Kontorist, sich direkt an Raskolnikow wendend, „auf Wunsch Ihrer Frau Mutter hat der Kaufmann Afanassij Iwanowitsch Wachruschin, von dem Sie wohl schon öfters gehört haben, an unser Kontor eine Zahlungsanweisung für Sie gelangen lassen. Im Falle, daß Sie sich bei voller Besinnung befinden, soll ich Ihnen fünfunddreißig Rubel behändigen, den Betrag der Order, die unser Chef von Afanassij Iwanowitsch auf Wunsch Ihrer Frau Mutter erhalten hat. Kennen sie Afanassij Iwanowitsch?“

      „Ja . . . ich erinnere mich . . . Wachruschin . . .“, erwiderte Raskolnikow nachsinnend.

      „Hören Sie wohl? Er kennt den Kaufmann Wachruschin!“ rief Rasumichin. „Wie sollte er da nicht bei voller Besinnung sein? Übrigens merke ich jetzt, daß auch Sie ein sehr gescheiter Mensch sind. Es ist ein Vergnügen, so verständige Worte anzuhören.“

      „Jawohl, es stimmt, Wachruschin, Afanassij Iwanowitsch Wadiruschin; dieser Herr hat auf Wunsch Ihrer Frau Mutter, die Ihnen schon früher auf dieselbe Weise durch seine Vermittlung Geld geschickt hat, sich auch diesmal bereit finden lassen, an unsern Chef Order zu erteilen, daß Ihnen fünfunddreißig Rubel — in Hoffnung auf die Möglichkeit späterer höherer Zahlungen — ausgezahlt werden sollen.“

      „Sehen Sie mal, das haben Sie ja ganz besonders schön gesagt: ,in Hoffnung auf die Möglichkeit späterer höherer Zahlungen‘; nicht übel war auch das ,auf Wunsch Ihrer Frau Mutter‘. Nun also, wie denken Sie darüber: ist er bei voller Besinnung oder nicht?“

      „Ich habe keine Bedenken. Es ist nur wegen der Unterschrift.“

      „Die wird er schon hinkritzeln. Haben Sie ein Quittungsbuch bei sich?“

      „Jawohl, hier.“

      „Geben Sie her. Nun, Rodja, richte dich auf. Ich werde dich stützen; schreib mal recht schwungvoll ,Raskolnikow‘. Nimm die Feder, Bruder; denn Geld schmeckt uns jetzt noch besser als Honig.“

      „Will nicht, will nicht!“ sagte Raskolnikow und schob die Feder zurück.

      „Was denn: ,will nicht‘?“

      „Ich unterschreibe nicht.“

      „Aber Mensch! Ohne Unterschrift geht es doch nicht!“

      „Ich brauche das Geld nicht, brauche es nicht . . .“

      „Er braucht das Geld nicht! Nein, Bruder, da irrst du dich, das kann ich bezeugen! Bitte, machen Sie sich darüber keine Gedanken; das meint er nicht so, . . . er träumt wieder. Übrigens begegnet ihm so etwas auch im wachen Zustande . . . Sie sind ja ein verständiger Mann; wir wollen ihm behilflich sein, d. h. ihm einfach die Hand führen; dann wird er schon unterschreiben. Fassen Sie mal zu . . .“

      „Ich kann ja auch ein andermal wiederkommen.“

      „Nein, nein, wozu wollen Sie sich so viel Mühe machen. Sie sind ein verständiger Mann . . . Nun, Rodja, halte den Herrn nicht auf, . . . du siehst doch, daß er wartet.“ Damit schickte er sich allen Ernstes an, ihm die Hand zu führen.

      „Laß sein, ich will allein . . .“,sagte dieser, nahm die Feder und quittierte im Buche.

      Der Kontorist zählte das Geld auf und entfernte sich.

      „Bravo! Und jetzt, Bruder, willst du etwas essen?“

      „Ja“, antwortete Raskolnikow.

      „Habt ihr Suppe?“

      „Ja, von gestern“, antwortete Nastasja, die die ganze Zeit über dabeigestanden hatte.

      „Wohl mit Kartoffeln und Reismehl?“

      „Ja, mit Kartoffeln und Reismehl.“

      „Weiß ich auswendig. Hol die Suppe her und bring auch Tee.“

      „Schön!“

      Raskolnikow verfolgte das alles mit größtem Erstaunen und mit einer dumpfen, verständnislosen Angst. Er beschloß, zu schweigen und abzuwarten, was noch weiter kommen werde. ,Es scheint doch, daß ich nicht phantasiere‘, dachte er. ,Es scheint, daß das wirklich . . .‘

      Nach zwei Minuten kam Nastasja mit der Suppe zurück und erklärte, der Tee würde auch gleich da sein. Mit der Suppe zugleich erschienen zwei Löffel, zwei Teller und alles sonstige Zubehör: Salzfaß, Pfefferbüchse, Senf für das Rindfleisch usw., was früher so ordentlich schon lange nicht mehr auf dem Tische gestanden hatte. Auch ein sauberes Tischtuch war da.

      „Es wäre recht nett, Nastasjuschka, wenn Praskowja Pawlowna zwei Fläschchen Bier hier aufmarschieren ließe. Die würden wir mit Vergnügen trinken.“

      „Na, du bist der richtige Schwerenöter!“ murmelte Nastasja und ging, um den Auftrag auszuführen.

      Verstört beobachtete Raskolnikow noch immer mit angestrengter Aufmerksamkeit das, was vorging. Unterdessen hatte sich Rasumichin zu ihm auf das Sofa gesetzt; plump, wie ein Bär, faßte er mit der linken Hand Raskolnikows Kopf, obgleich dieser auch selbst imstande gewesen wäre sich aufzurichten, und mit der rechten Hand führte er ihm den Löffel mit Suppe an den Mund, nachdem er vorher ein paarmal darauf geblasen hatte, damit er sich nicht verbrenne. Indes war die Suppe nur eben warm. Raskolnikow verschlang gierig einen Löffel voll, dann den zweiten, den dritten. Aber nachdem er ihm so einige Löffel voll gereicht hatte, hielt Rasumichin auf einmal inne und erklärte, hinsichtlich einer weiteren Verabfolgung von Nahrung müsse er erst Sossimows Zustimmung einholen.

      Nastasja kam und brachte zwei Flaschen Bier.

      „Möchtest du Tee?“

      „Ja.“

      „Na, dann hol mal ganz schnell Tee, Nastasja; denn Tee kann man ihm auch wohl ohne das Gutachten der medizinischen Fakultät erlauben. Und da ist ja auch das Bier!“ Er setzte sich wieder auf seinen Stuhl, zog die Suppe und das Fleisch zu sich heran und begann mit solchem Appetite zu essen, als ob er drei Tage nichts genossen hätte.

      „Ich esse jetzt bei euch hier alle Tage so, Bruder Rodja“, murmelte er, soweit es ihm der mit Rindfleisch vollgestopfte Mund erlaubte, „und das spendiert alles Paschenjka, deine brave Wirtin; die hat mich sehr in ihr Herz geschlossen. Ich beanspruche das selbstverständlich nicht; na, aber ich protestiere auch nicht dagegen. Da ist ja auch schon Nastasja mit dem Tee. Ein flinkes Mädel! Nun, Nastenjka, möchtest du ein Gläschen Bier?“

      „Ach, geh! Was machst du für Witze!“

      „Na, aber ein bißchen Tee?“

      „Tee meinetwegen.“

      „Dann gieß dir ein. Warte, ich will dir selbst eingießen; setze dich an den Tisch.“

      Er stellte sofort alles ordentlich hin, goß eine, dann eine zweite Tasse ein, ließ sein Frühstück im Stich und setzte sich wieder herüber auf das Sofa. In derselben Weise wie vorher umfaßte er mit dem linken Arm den Kranken, richtete ihn etwas auf und gab ihm mit dem Teelöffel Tee ein, wobei er wieder fortwährend mit besonderem Eifer auf den Löffel blies, als ob diese Prozedur des Blasens den wichtigsten Heilfaktor bildete. Raskolnikow schwieg und sträubte sich nicht dagegen, obgleich er sich eigentlich völlig stark genug fühlte, um ohne jede fremde Hilfe sich aufzurichten, auf dem Sofa zu sitzen und nicht nur sich seiner Hände zum Halten des Löffels oder der Tasse zu bedienen, sondern vielleicht sogar umherzugehen. Aber eine sonderbare, sozusagen tierische Schlauheit veranlaßte ihn, seine Kräfte einstweilen noch zu verbergen, sich zu verstellen, nötigenfalls sogar so zu tun, als ob er das Gesagte nicht ganz

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