ТОП просматриваемых книг сайта:
Verbrechen und Strafe. Fjodor Dostojewski
Читать онлайн.Название Verbrechen und Strafe
Год выпуска 0
isbn 9788726372038
Автор произведения Fjodor Dostojewski
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
,Ach was, hol der Teufel die ganze Geschichte!‘ dachte er plötzlich in einem Anfalle maßloser Wut. ,Na, da es nun einmal angefangen hat, ist nichts weiter zu machen; hol der Teufel das neue Leben! O Gott! wie dumm das alles ist! Und wieviel habe ich heute schon gelogen, und wie unwürdig habe ich mich benommen! In wie gemeiner Weise habe ich vorhin vor diesem garstigen Ilja Petrowitsch geliebedienert und zu ihm freundlich getan! Übrigens ist auch das eine Dummheit, daß ich mich darüber ärgere. Ganz egal sollten sie mir alle sein, und ganz egal sollte es mir auch sein, daß ich geliebedienert und freundlich getan habe. Es handelt sich um anderes, um ganz anderes.‘
Plötzlich blieb er stehen; eine ganz unerwartet auftauchende, überaus einfache Frage versetzte ihn in Verwirrung und peinliches Staunen:
,Wenn du wirklich diese ganze Tat als denkender Mensch und nicht als Narr ausgeführt hast, wenn du wirklich ein bestimmtes, festes Ziel hattest, warum hast du denn dann bis jetzt nicht einmal in den Beutel hineingeblickt und weißt gar nicht, was dir in die Hände gefallen ist und weswegen du alle diese Qualen auf dich genommen und dich auf eine so gemeine, garstige, niedrige Tat mit vollem Bewußtsein eingelassen hast? Du wolltest ihn ja noch soeben ins Wasser werfen, diesen Beutel, mitsamt all den andern Sachen, die du auch noch nicht angesehen hattest. Wie geht denn das zu?‘
Ja, das war richtig, ganz richtig. Übrigens war er sich dieses Widerspruchs schon früher bewußt geworden, und diese Frage war für ihn keineswegs neu. Dieser Gedanke war ihm schon in der Nacht gekommen, als er sich ohne alles Schwanken und Widerstreben dafür entschieden hatte, sich der Sachen zu entäußern, wie wenn das so sein müßte und gar nicht anders sein könnte. Ja, er wußte das alles und erinnerte sich daran; ja, er hatte sich beinahe gestern schon dafür entschieden, in dem Augenblicke, wo er neben der Truhe saß und die Etuis hervorholte . . . Jawohl, so war es! . . .
,Das kommt alles nur daher, weil ich sehr krank bin‘, sagte er sich schließlich ingrimmig; ,ich habe mich selbst gepeinigt und gemartert und weiß gar nicht mehr, was ich tue. Auch gestern und vorgestern und diese ganze Zeit her habe ich mich gepeinigt . . . Ich werde wieder gesund werden, und dann werde ich mit dieser Selbstquälerei aufhören . . . Aber wenn ich nun gar nicht wieder gesund werde? O Gott, wie mir das alles zum Ekel geworden ist! . . .‘ Er ging weiter, ohne nur einmal stehenzubleiben. Er hätte sich sehr gern irgendeine Zerstreuung verschafft; aber er wußte nicht, was er zu diesem Zwecke tun und beginnen sollte. Eine neue, unbezwingbare Empfindung gewann in ihm mit jedem Augenblick immer mehr die Herrschaft: es war ein grenzenloser, beinahe physischer Ekel gegen alles, was ihm entgegentrat und ihn umgab, ein heftiger, mit Grimm und Haß gepaarter Ekel. Widerwärtig waren ihm alle Begegnenden, ihre Gesichter, ihr Gang, ihre Bewegungen. Hätte ihn jemand angeredet, er hätte ihn geradezu angespien, wohl gar gebissen.
Er blieb stehen, als er zu der Uferstraße an der Kleinen Newa, auf der Wassilij-Insel nahe bei der Brücke, gelangt war. ,Hier wohnt er ja, hier, in diesem Hause‘, dachte er. ,Wie kommt das, ich bin doch nicht mit Absicht zu Rasumichin gegangen! Wieder dieselbe Geschichte wie damals . . . Es wäre mir doch interessant, zu wissen: bin ich mit Absicht hergegangen, oder bin ich nur einfach so gegangen und hierher geraten? Aber das ist schließlich gleichgültig; ich habe mir vorgestern vorgenommen, am Tage nach der betreffenden Sache zu ihm hinzugehen. Nun gut, da gehe ich eben zu ihm hin! Warum sollte ich ihn jetzt nicht besuchen können?‘
Er stieg zu Rasumichin nach dem vierten Stockwerke hinauf.
Dieser war zu Hause, in seinem Kämmerchen, er hatte gerade eine Arbeit vor: er schrieb. Die Tür öffnete er ihm selbst. Seit etwa vier Monaten hatten sie einander nicht gesehen. Rasumichin trug einen völlig zerlumpten Schlafrock, hatte Pantoffeln an den bloßen Füßen und war ungekämmt, unrasiert und ungewaschen. Auf seinem Gesichte malte sich das lebhafteste Erstaunen.
„Was ist denn mit dir los?“ rief er und betrachtete den eintretenden Kommilitonen vom Kopf bis zu den Füßen. Dann schwieg er und pfiff leise vor sich hin.
„Geht es dir wirklich schon so schlecht, Bruder? Du hast wahrhaftig sogar unsereinen übertrumpft“, fügte er mit einem Blick auf Raskolnikows Lumpen hinzu. „Aber setze dich, du wirst wohl müde sein.“
Als dieser sich auf das mit Wachstuch bezogene Schlafsofa fallenließ, das noch schlechter war als sein eigenes, merkte Rasumichin auf einmal, daß sein Gast krank war.
„Aber du bist ja ernstlich krank; weißt du das?“
Er wollte ihm den Puls fühlen, aber Raskolnikow riß ihm seine Hand weg.
„Wozu das?“ sagte er. „Ich bin gekommen . . . der Grund ist der: ich habe keine Privatstunden . . . ich würde gern . . . übrigens, ich brauche gar keine Stunden . . .“
„Weißt du was? Du redest ja im Fieber!“ bemerkte Rasumichin, der ihn aufmerksam beobachtete.
„Nein, ich rede nicht im Fieber . . .“
Raskolnikow stand vom Sofa auf. Als er zu Rasumichin hinaufgestiegen war, hatte er nicht daran gedacht, daß er ihm werde Auge in Auge gegenübertreten müssen. Erst jetzt beim Versuche wurde er sich sofort darüber klar, daß er in diesem Augenblicke schlechterdings nicht fähig sei, irgend jemandem in der ganzen Welt so gegenüberzutreten. Die Galle stieg ihm auf. Er erstickte fast vor Ärger über sich selbst, darüber, daß er überhaupt Rasumichins Schwelle überschritten hatte.
„Leb wohl!“ sagte er ganz unvermittelt und ging zur Tür.
„Aber so warte doch, warte, du schnurriger Kerl!“
„Wozu?“ antwortete dieser wie vorhin und riß wieder seine Hand los, die jener ergriffen hatte.
„Zum Kuckuck, warum bist du denn dann gekommen? Du bist wohl verrückt geworden, was? Das nehme ich dir aber übel. Ich lasse dich so nicht weg.“
„Nun, dann höre: ich bin zu dir gekommen, weil ich außer dir niemand kenne, der mir helfen könnte . . . einen neuen Anfang zu machen; denn du bist besser, ich meine klüger, als die andern alle und kannst beurteilen . . . Aber jetzt sehe ich, daß ich gar nichts nötig habe, hörst du, absolut nichts, niemandes Gefälligkeiten und niemandes Teilnahme. Ich kann selbst . . . ganz allein . . . Na, damit genug! Laßt mich alle in Ruhe!“
„So warte doch noch einen Augenblick, du Schornsteinfeger! Ganz verrückt ist der Mensch! Meinetwegen kannst du ja tun, was du willst. Siehst du, Stunden habe auch ich keine, und das ist mir auch ganz egal. Aber auf dem Trödelmarkt wohnt ein Buchhändler Cheruwimow, von dem kann man ebensogut leben wie von einer Privatstunde. Ich möchte ihn jetzt nicht für fünf fette Privatstunden in Kaufmannsfamilien hingeben. Der hat so einen kleinen Verlag und läßt naturwissenschaftliche Büchelchen erscheinen; die werden horrende gekauft. Schon allein die Titel sind das Geld wert. Sieh mal, du hast immer behauptet, ich wäre dumm; aber, weiß Gott, Bruder, es gibt noch dümmere, als ich bin! Jetzt hat er sich auf die neuere Richtung eingelassen; was Sachkenntnis anlangt, ist er das reine Hornvieh; nun, da bin ich es natürlich, der ihn zu diesem und jenem anregt. Sieh mal her, hier sind mehr als zwei Bogen deutscher Text — meiner Ansicht nach das dümmste Geschwätz; den Inhalt bildet, kurz gesagt, die Erörterung der Frage, ob die Frau ein Mensch ist oder nicht. Es wird natürlich pomphaft bewiesen, daß sie ein Mensch ist. Cheruwimow bringt das als einen Beitrag zur Frauenfrage heraus; ich übersetze es; er streckt diese dritthalb Bogen so, daß es sechse werden; wir erfinden dazu einen grandiosen Titel, der eine halbe Seite füllt, und setzen den Preis des Exemplares auf einen halben Rubel fest. Das Buch wird vorzüglichen Absatz finden! Für die Übersetzung bekomme ich sechs Rubel je Bogen; also kommen für das Ganze gegen fünfzehn Rubel heraus; davon habe ich schon sechs Rubel als Vorschuß erhalten. Wenn ich damit fertig bin, übersetze ich etwas über die Walfische. Ferner haben wir bereits aus dem zweiten Teile der Confessions einige langweilige Klatschgeschichten notiert; die übersetze ich auch. Cheruwimow hat von jemandem gehört, Rousseau wäre so eine Art Radischtschew 4 gewesen. Selbstverständlich fällt es mir nicht ein, ihm zu widersprechen. Na, willst du den zweiten Bogen von ,Ist die Frau ein Mensch?‘ übersetzen? Wenn du Lust dazu hast, so nimm dir gleich den Text mit, auch Federn und Papier — das wird alles