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aber am ganzen Leibe zitterte; ,nun habe ich ihn ja doch angezogen! Schließlich habe ich ihn ja doch angezogen!‘ Aber das Lachen ging sofort in Verzweiflung über. ,Nein, das geht über meine Kraft . . .‘, dachte er. Die Beine zitterten ihm. ,Vor Angst‘, murmelte er vor sich hin. Der Kopf war ihm schwindlig und tat ihm weh von der Fieberhitze. ,Das ist eine List! Sie wollen mich durch diese List hinlocken und mich dann plötzlich überrumpeln‘, redete er zu sich weiter, als er auf die Treppe hinaustrat. ,Recht verdrießlich ist, daß ich fast im Fieber rede; wie leicht kann ich da irgendeine Dummheit sagen!‘

      Auf der Treppe fiel ihm ein, daß er all die Wertsachen so mangelhaft verwahrt in der Höhlung hinter der Tapete zurückgelassen hatte. ,Und vielleicht benutzen sie gerade meine Abwesenheit zu einer Haussuchung‘, überlegte er und blieb stehen. Aber eine solche Verzweiflung, ja, man möchte sagen, eine solche herausfordernde Dreistigkeit seinem eigenen Verderben gegenüber hatte in seiner Seele Platz gegriffen, daß er mit der Hand eine Gebärde machte, als sei dies ja alles völlig gleichgültig, und weiterging.

      ,Nur schnell, so schnell wie möglich!‘

      Auf der Straße herrschte wieder eine unerträgliche Hitze; diese ganzen Tage her war kein Tropfen Regen gefallen. Wieder Staub, Ziegel, Kalkdunst; wieder der üble Geruch aus den Kramläden und Kneipen, wieder auf Schritt und Tritt Betrunkene, finnische Hausierer und invalide Droschken. Die Sonne schien ihm blendend in die Augen, so daß ihm das Sehen Schmerz machte und der Kopf ihm ganz benommen war — die gewöhnliche Empfindung eines Fieberkranken, der plötzlich auf die Straße in den hellen Sonnenschein hinaustritt.

      Als er an die Ecke kam, wo die „gestrige“ Straße einmündete, warf er in qualvoller Unruhe einen Blick hinein, nach „jenem“ Hause; . . . aber er wendete sofort die Augen wieder weg.

      ,Wenn sie mich danach fragen sollten, sage ich vielleicht einfach alles‘, dachte er, als er sich dem Polizeibureau näherte.

      Das Bureau war von seiner Wohnung nur etwa fünf Minuten entfernt. Es hatte eben erst neue Räume bezogen, die im dritten Stock eines neuen Hauses lagen. In den alten Diensträumen war er einmal auf einen Augenblick gewesen; aber das war schon sehr lange her. Als er in den Torweg trat, sah er rechts eine Treppe, auf der ein ärmlich gekleideter Mann mit einem Büchelchen in der Hand herunterkam. ,Ein Hausknecht‘, sagte sich Raskolnikow, ,also ist hier das Polizeibureau.‘ Er ging aufs Geratewohl die Treppe hinauf. Sich bei jemand zu erkundigen, dazu hatte er keine Neigung.

      ,Ich werde hineingehen, mich auf die Knie werfen und alles erzählen‘, dachte er, als er zum dritten Stockwerk gelangte.

      Die Treppe war schmal, steil und ganz mit Spülicht begossen. Alle Küchen aller Wohnungen in allen vier Geschossen gingen auf diese Treppe hinaus und standen fast den ganzen Tag offen. Daher war dort eine gräßliche Luft. Herauf und herunter kamen und gingen Polizisten, Hausknechte mit Büchern unter dem Arm und allerlei andre Leute beiderlei Geschlechts, die auf dem Bureau etwas zu erledigen hatten. Die Tür zu dem Bureau selbst stand gleichfalls sperrangelweit offen. Er ging hinein und blieb im Vorzimmer stehen, wo eine Menge einfacher Leute stand und wartete. Auch hier war eine furchtbar stickige Luft, und außerdem verbreitete der frische, noch nicht ordentlich trockene Anstrich der Zimmer mit unreinem Firnis einen Geruch, von dem einem übel werden konnte. Nachdem er ein Weilchen gewartet hatte, entschloß er sich, noch weiter, ins nächste Zimmer, zu gehen. Es waren lauter kleine, niedrige Räume. Eine schreckliche Ungeduld trieb ihn immer weiter. Niemand beachtete ihn. In dem zweiten Zimmer saßen, mit Schreiben beschäftigt, einige Schreiber, dem Äußeren nach eine sonderbare Gesellschaft, obwohl sie ein wenig besser gekleidet waren als er. Er wendete sich an einen von ihnen.

      „Was willst du?“

      Er zeigte die Vorladung, die ihm vom Bureau zugegangen war.

      „Sie sind Student?“ fragte der Schreiber nach einem Blick in die Vorladung.

      „Ja, gewesener Student.“

      Der Schreiber musterte ihn, jedoch ohne alle Neugier. Es war ein Mensch mit auffällig unordentlichem Haar und mit einem eigentümlich starren Blick.

      ,Von dem wird nichts zu erfahren sein; dem ist ja alles gleichgültig!‘ dachte Raskolnikow.

      „Gehen Sie dorthin, zum Sekretär!“ sagte der Schreiber und wies mit dem ausgestreckten Finger nach dem letzten Zimmer.

      Er ging in dieses Zimmer hinein, das vierte in der Reihe; es war nur klein und gedrängt voll von Menschen; das Publikum war hier etwas besser gekleidet als in den andern Zimmern. Darunter befanden sich auch zwei Damen. Die eine, in ärmlicher Trauerkleidung, saß an einem Tische dem Sekretär gegenüber und schrieb etwas, was ihr dieser diktierte. Die andre Dame, eine sehr volle, stattliche Figur, im Gesichte purpurrot mit noch dunkleren Flecken, luxuriös gekleidet, am Halse eine Brosche in der Größe einer Untertasse, stand etwas abseits und wartete. Raskolnikow schob dem Sekretär seine Vorladung hin. Dieser sah sie flüchtig an und sagte: „Warten Sie ein wenig!“ Dann fuhr er fort, sich mit der Dame in Trauer zu beschäftigen.

      Raskolnikow atmete nun freier und leichter. ,Es ist sicher etwas anderes!‘ Er faßte allmählich Mut; mit aller Macht ermahnte er sich selbst, Mut zu haben und nicht den Kopf zu verlieren.

      ,Irgendeine Dummheit, irgendeine noch so geringe Unvorsichtigkeit, und ich kann mich ganz und gar verraten! Hm! . . . Schlimm, daß hier keine frische Luft ist‘, dachte er weiter. ,Eine schreckliche Atmosphäre . . . Der Kopf schwindelt mir noch mehr davon . . . und der Verstand auch . . .‘

      Er fühlte, daß bei ihm Körper und Geist in arger Unordnung waren, und fürchtete, er werde sich nicht in der Gewalt haben. Er gab sich alle Mühe, sich mit seinen Gedanken an irgend etwas anzuklammern, an etwas ganz Nebensächliches zu denken; aber das wollte ihm schlechterdings nicht gelingen. Doch den Sekretär betrachtete er sehr angelegentlich; gern hätte er aus seiner Miene Schlüsse gezogen, seine Absichten erraten. Es war ein noch sehr junger Mann von etwa zweiundzwanzig Jahren, mit einem gebräunten, lebhaften Gesichte, das ihn älter erscheinen ließ, als er wirklich war; gekleidet war er modisch und stutzerhaft; dazu war er sorgsam frisiert, mit Nackenscheitel, und pomadisiert; an den weißen Fingern mit den sauber gebürsteten Nägeln trug er eine Menge von Ringen, auf der Weste eine goldene Uhrkette. Mit einem anwesenden Ausländer sprach er sogar ein paar Worte Französisch, und zwar nicht schlecht.

      „Setzen Sie sich doch, Luisa Iwanowna“, sagte er lässig zu der geputzten Dame mit dem roten Gesichte, die immer noch stand, als wage sie sich nicht hinzusetzen, obgleich ein Stuhl neben ihr stand.

      „Ich danke“, sagte sie auf deutsch und ließ sich sachte mit leisem Seidengeknister auf dem Stuhle nieder. Ihr hellblaues, mit weißen Spitzen besetztes Kleid umgab den Stuhl wie ein Luftballon und nahm fast das halbe Zimmer ein. Eine Wolke von Parfümduft verbreitete sich. Aber die Dame genierte sich offenbar, weil sie so viel Platz einnahm und so stark duftete; sie lächelte zwar in einer zugleich ängstlichen und unverschämten Art; jedoch ihre Unruhe war unverkennbar.

      Die Dame in Trauer war endlich fertig und stand auf. Da trat geräuschvoll, mit sehr forschem Wesen und jeden Schritt mit eigentümlichen Schulterdrehungen begleitend, ein Polizeioffizier ein, warf seine kokardengeschmückte Uniformmütze auf den Tisch und setzte sich in einen Lehnstuhl. Als die geputzte Dame ihn erblickte, sprang sie hurtig von ihrem Platze auf und machte ihm mit besonderer Liebenswürdigkeit eine Anzahl von Knicksen; aber der Polizeioffizier schenkte ihr nicht die geringste Beachtung, und sie getraute sich nun nicht mehr, in seiner Anwesenheit wieder Platz zu nehmen. Es war der Stellvertreter des Revieraufsehers; sein rötlicher Schnurrbart war horizontal nach beiden Seiten lang ausgezogen; sein auffällig kleines Gesicht drückte außer einer gewissen Frechheit nichts Besonderes aus. Er sah Raskolnikow von der Seite einigermaßen mißbilligend an: der Anzug dieses Menschen war doch gar zu schäbig, und sein Benehmen schien mit diesem armseligen Äußern nicht recht im Einklang zu stehen. Raskolnikow hatte nämlich die Unvorsichtigkeit begangen, ihn zu lange und zu scharf anzustarren, so daß der so Fixierte ordentlich ärgerlich wurde.

      „Was willst du?“ schrie er; er mochte wohl erstaunt darüber sein, daß ein solcher Lumpenkerl überhaupt nicht daran dachte, unter seinen blitzenden Blicken in sich zusammenzukriechen.

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