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warf der Sekretär eilig dazwischen, indem er von dem Schriftstücke, mit dem er beschäftigt war, aufblickte. „Er ist Student, und es soll von ihm Geld beigetrieben werden.“ Er wandte sich an Raskolnikow: „Hier, lesen Sie das durch!“ sagte er, indem er ihm in einem Aktenhefte eine Stelle zeigte und es ihm dann herüberwarf.

      ,Geld? Was für Geld?‘ dachte Raskolnikow. ,Also ist es jedenfalls nicht die andre Sache!‘ Er fuhr vor Freude zusammen. Es wurde ihm auf einmal unsagbar leicht ums Herz; er fühlte sich von einer schweren Last befreit.

      „Und auf welche Stunde sind Sie vorgeladen, mein Herr?“ schrie der Polizeileutnant, der ohne eigentlichen Grund immer mehr in seinen Ärger hineingeriet. „Sie sind auf neun Uhr herbestellt, und jetzt ist es schon weit nach elf Uhr!“

      „Die Vorladung ist mir erst vor einer Viertelstunde gebracht worden“, entgegnete Raskolnikow laut und über die Achsel weg. Auch er fing nun an, ärgerlich zu werden, und fand sogar ein gewisses Vergnügen darin. „Es ist schon viel von mir, daß ich überhaupt gekommen bin; denn ich bin fieberkrank.“

      „Schreien Sie nicht so!“

      „Ich schreie nicht, ich rede ganz ruhig; aber Sie schreien mich an. Ich bin Student und lasse mich nicht so anschreien.“

      Der Polizeileutnant wurde so wütend, daß er im ersten Augenblicke überhaupt kein Wort herausbringen konnte, sondern nur ein paar zischende Töne hervorsprudelte. Er sprang von seinem Platze auf.

      „Schweigen Sie! Sie befinden sich hier in Amtsräumen! Ich verbitte mir Ihre Grobheiten, Herr!“

      „Sie befinden sich doch auch in Amtsräumen“, rief Raskolnikow. „Aber trotzdem schreien Sie nicht nur, sondern Sie rauchen sogar eine Zigarette; eine Rücksichtslosigkeit gegen uns alle.“

      Es war ihm ein wahrer Genuß, dem Polizeileutnant dies zu sagen.

      Der Sekretär sah die beiden lächelnd an. Der hitzige Polizeileutnant war offenbar ganz verblüfft.

      „Das geht Sie gar nichts an!“ schrie er endlich überlaut. „Geben Sie lieber die Auskunft, die von Ihnen verlangt wird! Zeigen Sie ihm doch einmal die Sache, Alexander Grigorjewitsch! Es ist eine Klage gegen Sie eingegangen. Sie bezahlen Ihre Schulden nicht. Sie scheinen ja ein nobler Patron zu sein!“

      Aber Raskolnikow hörte nicht mehr auf ihn, sondern griff begierig nach dem Schriftstück, um möglichst bald ins klare zu kommen. Er las es einmal, zweimal durch, ohne es zu verstehen.

      „Was steht denn eigentlich darin?“ fragte er den Sekretär.

      „Man verlangt von Ihnen Zahlung auf Grund eines Schuldscheines. Sie müssen entweder den Betrag einschließlich aller Gebühren, Strafgelder usw. entrichten oder eine schriftliche Erklärung darüber abgeben, wann Sie voraussichtlich imstande sein werden zu zahlen, und sich zugleich verpflichten, vor Zahlung sich nicht aus der Stadt zu entfernen und von Ihrer Habe nichts zu verkaufen oder zu verbergen. Der Gläubiger aber ist bei Nichtzahlung berechtigt, Ihre Habe zu verkaufen und mit Ihnen nach Maßgabe der Gesetze zu verfahren.“

      „Aber . . . aber ich bin niemandem etwas schuldig.“

      „Das ist nicht unsre Sache. Uns ist hier ein verfallener und in gesetzlicher Form protestierter Schuldschein über einhundertundfünfzehn Rubel zur Beitreibung zugegangen, den Sie der verwitweten Frau Kollegienassessor Sarnizyna vor neun Monaten ausgestellt haben und der von der verwitweten Frau Sarnizyna durch Kauf an den Hofrat Tschebarow übergegangen ist; wir fordern Sie deshalb auf, sich darüber zu erklären.“

      „Aber das ist ja meine Wirtin!“

      „Nun, was tut das zur Sache, daß sie Ihre Wirtin ist?“

      Der Sekretär sah ihn mit einem herablassenden Lächeln an, in welchem einerseits Mitleid und Bedauern, andrerseits aber auch ein gewisses Gefühl des Triumphes zum Ausdruck kam, wie über einen Neuling, der zum ersten Male in die Lehre genommen wird. ,Nun‘, sagte sein Lächeln, ,wie ist dir jetzt zumute?‘

      Aber was machte Raskolnikow sich jetzt aus einem Schuldscheine und aus der Beitreibung einer Forderung! Um so etwas brauchte er sich jetzt nicht zu beunruhigen; das verdiente überhaupt keine Beachtung. Er stand da, las, hörte, antwortete, stellte sogar selbst Fragen, aber alles rein mechanisch. Das Gefühl des Triumphes darüber, daß er vor dem Untergange bewahrt blieb, die Freude über seine Rettung aus der Gefahr, die ihn bedroht hatte, das erfüllte in diesem Augenblicke sein ganzes Wesen. Alles andre hatte den Platz räumen müssen: die Vorausberechnung der Zukunft, die Zergliederung der eigenen Empfindungen, das Aufgeben und Lösen von Rätseln, die quälenden Zweifel und die immer aufs neue auftauchenden Fragen. Dies war ein Augenblick ganz unmittelbar wirkender, rein animalischer Freude. Aber in ebendiesem Augenblicke spielte sich im Bureau eine Art von Gewitter mit Blitz und Donner ab. Der Polizeileutnant, der über Raskolnikows respektloses Benehmen immer noch sehr erregt und aufgebracht war und offenbar seine erschütterte Autorität wieder zu festigen wünschte, schüttete seinen ganzen Grimm über die unglückliche geputzte Dame aus, die ihn seit seinem Eintritte unausgesetzt mit einem außerordentlich dummen Lächeln angeblickt hatte.

      „Ach du, du Person du, na ja, du bist die Richtige!“ schrie er plötzlich aus vollem Halse (die Dame in Trauer war bereits weggegangen). „Was ist da bei dir in der vorigen Nacht passiert? Die Schweinerei und Liederlichkeit war ja wieder mal auf der ganzen Straße zu hören! Wieder mal Prügelei und Besoffenheit! Du spekulierst wohl aufs Arbeitshaus? Ich habe es dir ja doch gesagt, zehnmal habe ich es dir ja schon angekündigt, daß ich dich beim elften Male nicht wieder durchlassen werde! Aber du — immer und immer wieder! Du abscheuliches Frauenzimmer, du nichtsnutzige Person du!“

      Raskolnikow ließ erstaunt das Schriftstück aus den Händen fallen und blickte ganz entsetzt die geputzte Dame an, mit der so wenig Umstände gemacht wurden. Aber bald begriff er, worum es sich handelte, und sofort fing diese ganze Geschichte an, ihm viel Spaß zu machen. Er hörte mit Vergnügen zu, so daß er sogar Lust bekam zu lachen, einmal über das andre Mal zu lachen . . . Es kitzelte ihn an allen Nerven.

      „Aber Ilja Petrowitsch!“ begann der Sekretär in beschwichtigendem Tone, hielt dann aber inne, um den richtigen Augenblick abzuwarten; denn wenn der Polizeileutnant einmal in Wut geraten war, konnte man ihn nur zurückhalten, wenn man ihn fest an den Händen packte; das wußte der Sekretär aus eigener Erfahrung.

      Was die geputzte Dame anlangt, so zitterte und bebte sie anfangs bei dem gewaltigen Unwetter, das über sie herniederging; aber merkwürdig! je zahlreicher und kräftiger die Schimpfwörter wurden, um so liebenswürdiger wurde ihre Miene, um so bezaubernder ihr Lächeln dem grimmigen Polizeileutnant gegenüber. Sie trippelte an derselben Stelle umher, knickste ohne Unterlaß und wartete ungeduldig darauf, daß ihr endlich erlaubt würde, selbst ein Wort dazwischen zu reden. Und dieser Zeitpunkt kam.

      „Lärm und Schlägerei haben bei mir ganz und gar nicht stattgefunden, Herr Hauptmann“, schwadronierte sie auf einmal los, so daß es klang, als ob Erbsen ausgeschüttet würden. Sie sprach das Russische zwar mit stark deutschem Akzent, aber doch fließend. „Gar kein Skandal ist bei mir gewesen, aber auch gar keiner, und sie waren schon betrunken, als sie zu mir kamen, und ich will alles erzählen, wie es war, Herr Hauptmann, und ich habe gar keine Schuld . . . Mein Haus ist ein durchaus anständiges, Herr Hauptmann, und es herrscht ein anständiger Ton darin, Herr Hauptmann, und ich bin immer, immer bemüht gewesen, daß kein Skandal entstände. Sie kamen aber schon ganz betrunken an und ließen sich dann noch drei Flaschen geben, und dann hob einer die Beine in die Höhe und fing an, mit den Füßen Klavier zu spielen, und das ist doch ganz und gar nicht schön in einem anständigen Hause, und er hat das ganze Klavier entzwei gemacht, und das ist doch ganz und gar keine Manier, und das habe ich ihm auch gesagt. Aber er ergriff eine Flasche und fing an, alle von hinten mit der Flasche zu stoßen. Und da habe ich schnell den Hausknecht gerufen, und Karl kam, und da hat er Karl ins Auge geschlagen, und Henriette hat er auch ins Auge geschlagen, und mich hat er fünfmal auf die Backe geschlagen. Und das ist doch kein taktvolles Benehmen in einem anständigen Hause, Herr Hauptmann, und ich habe geschrien. Und er hat ein Fenster nach dem Kanal zu aufgemacht und hat aus dem Fenster hinaus wie ein kleines Schwein gequiekt; das ist doch eine

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