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er aber unter den Lumpen zu kramen begann, glitt auf einmal unter dem Pelze eine goldene Uhr heraus. Nun machte er sich daran, alles umzuwühlen. Wirklich, zwischen den Lumpen lagen Goldsachen versteckt, wahrscheinlich lauter Pfandstücke, verfallene und noch nicht verfallene: Armbänder, Ketten, Ohrringe, Busennadeln und dergleichen. Manche dieser Gegenstände befanden sich in Futteralen; andere waren einfach in Zeitungspapier gewickelt, aber sorgsam und ordentlich, in doppelte Bogen, und mit Band verschnürt. Ohne zu zaudern, stopfte er sie sich in die Hosentaschen und Paletottaschen; die Päckchen und Futterale zu öffnen und zu untersuchen, darauf ließ er sich nicht ein.

      Aber er hatte noch nicht viel eingesteckt, da hörte er plötzlich in dem Zimmer, wo die Alte lag, Schritte. Er hielt inne und horchte, still wie ein Toter. Aber es war alles ruhig; also war es doch wohl nur Einbildung gewesen. Da vernahm er ganz deutlich einen leichten Aufschrei, oder vielmehr: es war, wie wenn jemand ein leises, kurzes Stöhnen ausstieß und dann verstummte. Darauf herrschte wieder Totenstille, eine oder zwei Minuten lang. Er kauerte bei der Truhe und wartete, kaum atmend; aber dann sprang er hastig auf, ergriff das Beil und lief aus dem Schlafzimmer.

      Mitten im Zimmer stand Lisaweta, ein großes Bündel in der Hand, und blickte, starr vor Entsetzen, auf die ermordete Schwester hin. Sie war weiß wie Linnen und hatte, wie es schien, nicht die Kraft zu schreien. Als sie ihn hereinstürmen sah, zitterte sie, leise bebend, wie Espenlaub, und über ihr ganzes Gesicht lief ein krampfhaftes Zucken. Sie hob die eine Hand, öffnete den Mund ein wenig, schrie aber trotzdem nicht und begann langsam nach rückwärts vor ihm in eine Ecke zurückzuweichen. Dabei sah sie ihn starr und unverwandt an, schrie aber immer noch nicht, als wenn ihr dazu die Luft fehlte. Er stürzte mit dem Beile auf sie zu. Sie verzog die Lippen so kläglich, wie man es bei ganz kleinen Kindern sieht, wenn sie vor etwas erschrecken, den furchterregenden Gegenstand anstarren und eben losschreien wollen. Und diese unglückliche Lisaweta war nun einmal dermaßen einfältig, verprügelt und eingeschüchtert, daß sie selbst jetzt nicht die Hände aufhob, um ihr Gesicht zu schützen, was doch die natürlichste und notwendigste Bewegung in diesem Augenblicke gewesen wäre, da das Beil über ihrem Kopfe schwebte. Sie hob nur die freie linke Hand ein wenig in die Höhe, aber lange nicht bis zum Gesichte, und streckte sie langsam nach vorn gegen ihn aus, als wenn sie ihn von sich abhalten wollte. Der Schlag traf sie mitten auf den Schädel, mit der Schneide, und hieb mit einem Male den ganzen oberen Teil der Stirn fast bis zum Scheitel durch. Sie stürzte sofort zu Boden. Raskolnikow wußte einen Augenblick gar nicht recht, was er tat: er ergriff ihr Bündel und warf es wieder von sich; dann lief er ins Vorzimmer.

      Die Angst in ihm wuchs immer mehr, namentlich nach diesem zweiten, so völlig unerwarteten Morde. So schnell wie möglich wollte er von hier weg. Und wenn er in diesem Augenblicke fähig gewesen wäre, alles richtig zu sehen und zu beurteilen, wenn er sich auch nur von der ganzen Schwierigkeit seiner Lage, von ihrer Hoffnungslosigkeit, ihrer Gräßlichkeit und Absurdität hätte eine Vorstellung machen können, wenn er imstande gewesen wäre, zu begreifen, wie viele Hindernisse er noch werde überwinden, ja, wie viele Verbrechen er vielleicht noch werde begehen müssen, um von hier wegzukommen und nach Hause zu gelangen: so hätte er vielleicht alles stehen- und liegenlassen und wäre sofort hingegangen, um sich selbst anzuzeigen, und zwar nicht einmal aus Angst um sich selbst, sondern lediglich aus Entsetzen und Ekel über das. was er getan hatte. Namentlich der Ekel wurde in ihm von einem Augenblicke zum andern immer größer und heftiger. Um keinen Preis wäre er jetzt zu der Truhe oder auch nur in das Zimmer zurückgegangen.

      Aber allmählich überkam ihn eine gewisse Zerstreutheit, eine Art von Versonnenheit. Minutenlang vergaß er anscheinend sich und alles andre, oder richtiger gesagt: er vergaß die Hauptsache und haftete mit seinen Gedanken an Kleinigkeiten. Als er indessen zufällig einen Blick in die Küche warf und auf einer Bank einen halb mit Wasser gefüllten Eimer erblickte, fiel ihm ein, seine Hände und das Beil zu waschen. Seine Hände waren blutig und klebrig: Das Beil steckte er mit dem Eisen einfach ins Wasser; dann ergriff er ein Stückchen Seife, das auf dem Fensterbrett in einer zerbrochenen Untertasse lag, und wusch sich im Eimer die Hände. Als er damit fertig war, zog er auch das Beil heraus, spülte das Eisen ab und wusch lange, wohl drei Minuten lang, das Holz, wo es blutig geworden war; er versuchte sogar, die Blutflecke mit Seife zu entfernen. Dann trocknete er alles mit einigen Wäschestücken ab, die in der Küche an einer quer herübergezogenen Leine zum Trocknen aufgehängt waren, und besah lange und mit größter Aufmerksamkeit das Beil am Fenster. Blutspuren waren keine mehr vorhanden; nur war der Stiel noch feucht. Sorgfältig schob er dann das Beil in die Schlinge unter dem Paletot. Darauf besah er, soweit es bei dem schwachen Lichte in der halbdunklen Küche möglich war, den Paletot, die Hosen und die Stiefel. Äußerlich war auf den ersten Blick so gut wie nichts sichtbar; nur die Stiefel wiesen einige Flecke auf. Er befeuchtete einen Lappen und wischte die Stiefel ab. Er war sich übrigens bewußt, daß er bei der Untersuchung nicht gut hatte sehen können und daß ihm vielleicht irgend etwas in die Augen Fallendes doch entgangen war. Tief in Gedanken versunken, stand er mitten in der Küche. Ein quälender, finsterer Gedanke stieg in ihm auf: der Gedanke, er verliere den Verstand und könne in diesem Augenblicke weder überlegen noch sich schützen; er ergreife vielleicht ganz unzweckmäßige Maßregeln . . . ,Mein Gott! Ich muß fort, ich muß fort!‘ murmelte er und eilte in das Vorzimmer. Aber hier stand ihm ein Schreck bevor, wie er ihn gewiß in seinem Leben noch nicht durchgemacht hatte.

      Er stand da, blickte hin und wollte seinen Augen nicht trauen: die Tür, die Außentür vom Vorzimmer nach der Treppe, eben die, an der er vorhin geschellt hatte und durch die er hereingekommen war, stand offen, sogar eine ganze Hand breit offen; weder das Schloß war zugeschlossen noch der Riegel vorgelegt; und so war das die ganze Zeit über gewesen! Die Alte hatte hinter ihm nicht zugemacht, vielleicht aus Vorsicht. Aber, o Gott! er hatte doch nachher Lisaweta gesehen! Wie war es nur möglich gewesen, daß er sich nicht darüber gewundert hatte, wie sie überhaupt hereingekommen war! Sie konnte doch nicht quer durch die Wand gegangen sein!

      Er stürzte zur Tür und legte den Riegel vor.

      ,Aber nein, wieder falsch! Ich muß weg, weg!‘

      Er nahm den Riegel wieder ab, öffnete die Tür und horchte nach der Treppe hin.

      Er horchte lange. Irgendwo, weit weg, unten, wahrscheinlich im Torweg, schrien und kreischten laut zwei Stimmen, stritten sich und schimpften. ,Was mögen die haben?‘ Er wartete geduldig. Endlich, mit einem Male wurde alles still; der Lärm war wie abgeschnitten; die beiden waren auseinandergegangen. Schon wollte er hinaustreten, da wurde plötzlich in dem darunterliegenden Stockwerk eine nach der Treppe führende Tür geräuschvoll geöffnet, und es begann jemand, eine Melodie vor sich hin singend, die Treppe hinabzusteigen. ,Was nur die Menschen da immer für Lärm machen!‘ dachte er flüchtig. Er zog wieder die Tür ein wenig heran und wartete weiter. Endlich war alles Geräusch verstummt und nichts zu hören. Er wollte schon den Fuß auf die Treppe setzen, als plötzlich wieder neue Schritte erschollen.

      Diese Schritte erschollen in weiter Entfernung, noch ganz am untern Ende der Treppe; aber er erinnerte sich später ganz genau und deutlich, daß er damals gleich beim ersten Ton aus einem nicht recht verständlichen Grunde auf den Gedanken gekommen war, es komme da jemand sicher „hierher“, nach dem dritten Stockwerke, zu der Alten. Warum? War der Ton so eigentümlich, so bedeutsam? Es waren schwere, gleichmäßige Schritte, ohne Eile. Da, jetzt war „er“ schon fast zum ersten Stock gelangt; da, er stieg noch weiter; es war immer deutlicher zu hören. Nun wurde das schwere Atmen des Heraufkommenden vernehmbar. Da, jetzt begann er schon die dritte Treppe. ,Er kommt hierher!‘ sagte sich Raskolnikow. Und plötzlich hatte er die Empfindung, als ob er versteinert wäre, als wäre dies ein Traum, wo einem träumt, daß man verfolgt wird, und die Verfolger sind schon ganz nahe und wollen einen töten, und man selbst ist am Fleck wie angewachsen und kann keine Hand rühren.

      Endlich, als der Ankömmling bereits zum dritten Stockwerk hinaufzusteigen begann, da erst fuhr Raskolnikow plötzlich zusammen und fand gerade noch Zeit, hurtig und behend vom Flur in die Wohnung zurückzuschlüpfen und die Tür hinter sich zuzumachen. Dann erfaßte er den Riegel und legte ihn leise, unhörbar vor. Der Instinkt hatte ihm geholfen. Als er dies erledigt hatte, verbarg er sich unmittelbar hinter der Tür und vermied jedes Geräusch beim Atmen. Der unbekannte Besucher war gleichfalls bereits an der Tür. Sie standen

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