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stieg vorsichtig und geräuschlos wie eine Katze seine dreizehn Stufen hinab. Nun hatte er das wichtigste Stück seiner Aufgabe vor sich: aus der Küche das Beil zu stehlen. Daß die Tat gerade mit einem Beile ausgeführt werden sollte, hatte er schon längst fest beschlossen. Er besaß zwar noch ein Gartenmesser zum Zusammenklappen; aber auf das Messer und namentlich auf seine Kräfte mochte er sich nicht verlassen; darum war es endgültig bei dem Beile geblieben. Wir merken beiläufig hinsichtlich aller endgültigen Entschlüsse, die er in dieser Angelegenheit bereits gefaßt hatte, eine Besonderheit an. Sie hatten eine seltsame Eigenschaft: je endgültiger sie wurden, um so ungeheuerlicher und ungereimter erschienen sie in seinen Augen. Trotz all seiner qualvollen inneren Kämpfe hatte er diese ganze Zeit über auch nicht einen Augenblick lang an die Ausführbarkeit seiner Pläne glauben können.

      Ja, selbst wenn es jemals dahin gekommen wäre, daß er bereits alles bis auf das letzte Pünktchen zurechtgelegt und endgültig entschieden gehabt hätte und keinerlei Zweifel mehr zurückgeblieben wären, so hätte er sogar dann wahrscheinlich den ganzen Plan als etwas Ungeheuerliches, Absurdes und Unmögliches fallenlassen. Aber jetzt gab es noch eine wahre Unmenge von Punkten, über die er sich noch nicht schlüssig war, und von bedenklichen Zweifeln. Was die Frage anlangte, woher er sich ein Beil beschaffen könne, so beunruhigte ihn diese Kleinigkeit ganz und gar nicht; denn nichts war leichter als das. Die Sache war die, daß Nastasja, namentlich abends, häufig das Haus verließ; entweder lief sie zu den Nachbarn herüber oder in einen Laden; die Küchentür ließ sie aber immer weit offen stehen. Die Wirtin zankte mit ihr darüber fortwährend. Also brauchte er im rechten Augenblick nur leise in die Küche zu gehen und das Beil zu nehmen und dann eine Stunde darauf, wenn alles erledigt war, wiederzukommen und es wieder hinzulegen. Aber es fehlte doch auch nicht an Bedenken. Gesetzt, er kam nach einer Stunde zurück, und Nastasja war dann bereits heimgekehrt. Dann mußte er natürlich vorbeigehen und warten, bis sie wieder fortging. Wenn sie nun aber inzwischen das Beil vermißte, danach suchte und ein großes Geschrei erhob — dann war der Verdacht da, oder wenigstens die Möglichkeit eines Verdachtes.

      Aber da waren noch viele andre Kleinigkeiten, die er bisher weder überlegt noch zu überlegen Zeit gehabt hatte. Er hatte immer nur an die Hauptsache gedacht und die Kleinigkeiten bis zu dem Zeitpunkte verschoben, wo er „mit sich selbst über alles im klaren sein werde“. Aber daß dieser Zeitpunkt jemals kommen werde, war als ganz unmöglich erschienen. Wenigstens ihm selbst war es so erschienen. Er hatte es sich z. B. gar nicht vorstellen können, daß er jemals seinen Überlegungen ein Ende machen, aufstehen und einfach dorthin gehen werde . . . Selbst seine neuliche Probe, d. h. der Besuch mit der Absicht einer letzten Besichtigung der Örtlichkeit, war ganz und gar nicht etwas ernst Gemeintes gewesen, sondern nur so aus dem Gedanken hervorgegangen: ,Na, wir können ja mal hingehen und probieren; wozu immer bloß daran denken!‘ Und bei dieser Probe hatte seine Energie sich sofort als unzulänglich erwiesen; die Sache war ihm zuwider geworden, und er war, wütend über sich selbst, davongerannt. Und doch, sollte man meinen, hatte er die gesamte moralische Prüfung und Entscheidung der Frage vorher schon erledigt; seine Kasuistik, die so scharf geschliffen war wie ein Rasiermesser, hatte alle Einwendungen gegen die Tat widerlegt, und er hatte in seinem Innern keine weiteren Einwendungen mehr vorgefunden, die ihm zum klaren Bewußtsein gekommen wären. Aber bei diesem Resultate traute er einfach sich selbst nicht und tastete hartnäckig rechts und links nach neuen Einwendungen umher, als ob ihn jemand wie einen Sklaven dazu zwänge und anhielte. Der letzte Tag aber, der Tag, der so unerwarteterweise der letzte geworden war und alles mit einem Male zur Entscheidung gebracht hatte, hatte auf ihn fast völlig mechanisch gewirkt: wie wenn ihn jemand bei der Hand ergriffe und hinter sich herzöge, unwiderstehlich, blindlings, mit übernatürlicher Kraft, ohne Widerrede. Er war gleichsam mit einem Zipfel seiner Kleidung an einem Maschinenrade hängengeblieben, und dieses begann ihn in das Triebwerk hineinzuziehen.

      Anfänglich (das war übrigens schon lange her) hatte ihn eine bestimmte Frage viel beschäftigt: nämlich, warum doch fast alle Verbrechen so leicht entdeckt und herausgebracht werden, und warum die Spuren fast aller Verbrecher so deutlich zu erkennen sind. Er gelangte allmählich zu mancherlei interessanten Schlußfolgerungen, und nach seiner Ansicht lag die Hauptursache nicht sowohl in der materiellen Unmöglichkeit, ein Verbrechen zu verbergen, als vielmehr in dem Verbrecher selbst; der Verbrecher selbst, und zwar fast jeder, unterliege im Augenblicke des Verbrechens einer gewissen Verringerung der Willens- und Urteilskraft, an deren Stelle im Gegenteil ein hochgradiger, kindlicher Leichtsinn trete, und das gerade in dem Augenblicke, wo Urteilskraft und Vorsicht am allernötigsten wären. Nach seiner Überzeugung war der Hergang dieser: die Verdunkelung der Urteilskraft und die Herabminderung des Willens überfallen den Menschen wie eine Krankheit, entwickeln sich stufenweise und erreichen kurz vor der Ausführung des Verbrechens ihren Höhepunkt; sie verbleiben auf demselben im Augenblicke des Verbrechens selbst und noch einige Zeit nachher, je nach der Individualität des Betreffenden; dann verschwinden sie ganz genauso wie jede andere Krankheit. Die Frage aber, ob das Verbrechen selbst durch eine Krankheit hervorgerufen oder ob es irgendwie, vermöge seiner Eigenart, immer von krankheitsartigen Erscheinungen begleitet werde, diese Frage zu entscheiden, fühlte er sich noch nicht imstande.

      Indem er zu solchen Resultaten gelangte, sagte er sich, daß mit ihm persönlich bei seiner Tat derartige krankhafte Veränderungen nicht stattfinden könnten, sondern daß seine Urteils- und Willenskraft während der ganzen Dauer der Ausführung seines Vorhabens ungeschwächt bleiben werde, einfach deswegen, weil sein Vorhaben „kein Verbrechen“ sei. Wir lassen den ganzen Denkprozeß beiseite, durch den er zu diesem letzten Urteile gelangt war (wir sind ohnedies in diesen Erörterungen schon zu weit gegangen), und fügen nur noch hinzu, daß die äußeren, rein materiellen Schwierigkeiten der Tat bei seinen Überlegungen überhaupt nur eine ganz untergeordnete Rolle spielten. ,Man muß sich diesen Schwierigkeiten gegenüber nur die ganze Willens- und Urteilskraft bewahren, und sie werden sich zu gegebener Zeit alle überwinden lassen, sobald es erforderlich wird, sich mit allen Einzelheiten des Unternehmens bis zur geringsten Kleinigkeit vertraut zu machen . . .‘ Aber er nahm eben das Unternehmen nicht in Angriff. An die endgültigen Entscheidungen, die er getroffen hatte, glaubte er im Laufe der Zeit immer weniger, und als die Stunde schlug, kam alles ganz anders, gewissermaßen zufällig, ja fast unerwartet.

      Ein unbedeutender Umstand kam ihm in die Quere, noch bevor er die Treppe hinuntergestiegen war. Als er zur Küche gelangte, deren Tür wie immer weit offenstand, schielte er vorsichtig hinein, um sich vorher zu vergewissern, ob auch nicht in Nastasjas Abwesenheit die Wirtin selbst darin sei, und verneinendenfalls, ob auch die nach ihrem Zimmer führende Tür ordentlich geschlossen sei, damit sie es nicht von dort aus sehen könnte, wenn er in die Küche träte, um das Beil zu holen. Aber welchen Schreck bekam er, als er wahrnahm, daß sich Nastasja diesmal nicht nur zu Hause, in ihrer Küche befand, sondern sogar mit einer Arbeit beschäftigt war: sie nahm Wäsche aus einem Korbe und hängte sie auf die Leine! Als sie ihn sah, hörte sie mit dem Aufhängen auf und blickte ihn die ganze Zeit, während er vorbeiging, an. Er wandte die Augen ab und ging vorbei, als hätte er nichts bemerkt. Aber das Unternehmen war damit zu Ende: er hatte kein Beil! Er war höchst bestürzt.

      ,Wie bin ich nur darauf gekommen‘, dachte er, während er nach dem Tore zu ging, ,wie bin ich nur darauf gekommen, zu glauben, sie würde gerade in dem betreffenden Augenblicke bestimmt nicht zu Hause sein? Warum, warum, ja warum war ich so fest davon überzeugt?‘ Er war ganz niedergeschmettert und fühlte sich beinahe gedemütigt; in seinem Ärger hätte er über sich selbst laut lachen mögen. Eine stumpfsinnige, tierische Wut kochte in ihm.

      Nachdenkend blieb er unter dem Torwege stehen. Auf die Straße zu gehen und zwecklos, nur so zum Schein, einen Spaziergang zu machen, das widerstand ihm; nach Hause zurüdczukehren widerstand ihm noch mehr. ,Was für eine günstige Gelegenheit habe ich für immer verloren!‘ murmelte er, während er unentschlossen unter dem Tore stand, gerade vor der dunklen Kammer des Hausknechts, die gleichfalls offenstand. Plötzlich zuckte er zusammen. In der Kammer des Hausknechts, von der er nur zwei Schritte entfernt war, sah er unter einer Bank rechts etwas blinken . . . Er blickte sich um — es war niemand zu sehen. Auf den Zehen ging er zu der Kammer hin, stieg zwei Stufen hinunter und rief mit gedämpfter Stimme nach dem Hausknechte. ,Es ist richtig, er ist nicht zu Hause. Er wird wohl irgendwo in der Nähe, vielleicht auf dem Hofe sein, da die Tür weit offensteht.‘ Hastig stürzte er

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