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Verbrechen und Strafe. Fjodor Dostojewski
Читать онлайн.Название Verbrechen und Strafe
Год выпуска 0
isbn 9788726372038
Автор произведения Fjodor Dostojewski
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Ich sehe, Bruder“, begann er nach einer kleinen Pause wieder, „daß ich es wieder mal recht ungeschickt gemacht habe. Ich hoffte, dich zu zerstreuen und durch mein Geschwätz aufzuheitern; aber wie es scheint, habe ich dir nur die Galle aufgeregt.“
„Also das bist du gewesen, den ich im Fieber nicht erkannt habe?“ fragte Raskolnikow, gleichfalls nach einer kleinen Pause und ohne den Kopf umzudrehen.
„Freilich, und du gerietest sogar deswegen in Wut, namentlich als ich einmal Sametow mit herbrachte.“
„Sametow? Den Sekretär? Wozu?“
Raskolnikow drehte sich schnell um und heftete die Augen fest auf Rasumichin.
„Aber was hast du denn? Warum regst du dich so auf? Er wollte dich gern kennenlernen; er selbst sprach den Wunsch aus, weil ich so viel mit ihm über dich gesprochen hatte . . . Von wem hätte ich denn sonst so viel über dich erfahren können? Er ist ein prächtiger Mensch, Bruder, ein ganz famoser Mensch, . . . in seiner Art selbstverständlich. Wir sind jetzt Freunde und kommen fast alle Tage miteinander zusammen. Ich bin ja in dieses Revier gezogen. Weißt du das noch nicht? Eben erst bin ich mit meinem Umzug fertig geworden. Bei Lawisa bin ich auch schon ein paarmal mit ihm gewesen. Erinnerst du dich an Lawisa, Lawisa Iwanowna?“
„Habe ich phantasiert?“
„Na, und wie! Du wußtest ja gar nichts von dir.“
„Worüber habe ich phantasiert?“
„Eine schnurrige Frage! Worüber du phantasiert hast? Na, worüber man eben im Fieber so phantasiert . . . Aber jetzt, Bruder, wollen wir keine Zeit mehr vergeuden, sondern ans Werk gehen.“
Er stand vom Stuhle auf und griff nach seiner Mütze.
„Worüber habe ich phantasiert?“
„Er läßt nicht locker! Bist du besorgt wegen eines Geheimnisses? Da kannst du dich beruhigen; von einer Gräfin hast du nichts gesagt. Aber von einer Bulldogge, von Ohrgehängen und Kettchen, von der Krestowskij-Insel, von einem Hausknecht, von dem Revieraufseher Nikodim Fomitsch und seinem Gehilfen Ilja Petrowitsch hast du viel gesprochen. Ferner bekundetest du ein außerordentliches Interesse für deinen werten Strumpf. Du jammertest immer: ,Gebt mir doch meinen Strumpf!‘ Sametow suchte persönlich in allen Ecken deine Strümpfe zusammen und überreichte dir mit seinen höchsteigenen wohlparfümierten, beringten Händen diesen wertlosen Trödel. Da erst beruhigtest du dich und hieltest das schmutzige Zeug einen ganzen Tag lang in der Hand; es war keine Möglichkeit, es dir wegzunehmen. Wahrscheinlich hast du es auch jetzt noch irgendwo unter der Bettdecke liegen. Und dann batest du noch um Hosenfransen, und was hast du dabei für Tränen vergossen! Wir versuchten herauszubringen, was das für Fransen sein sollten; aber es war nicht daraus klug zu werden . . . Aber nun ans Werk! Hier sind fünfunddreißig Rubel; davon nehme ich zehn mit und werde so in etwa zwei Stunden darüber Rechenschaft ablegen. Inzwischen will ich auch Sossimow benachrichtigen, der übrigens auch ohnedies schon längst hier sein müßte; denn es ist elf durch. Du aber, Nastenjka, sieh nur, während ich weg bin, recht oft hier nach, ob er zu trinken haben will oder sonst etwas wünscht. Und Paschenjka werde ich gleich selbst das Erforderliche sagen. Auf Wiedersehen!“
„Paschenjka nennt er sie! Ach, du geriebener Patron du!“ rief Nastasja hinter ihm her; dann öffnete sie die Tür und horchte, konnte ihrer Neugier aber doch nicht widerstehen und lief selbst hinunter.
Es war ihr doch gar zu interessant, zu erfahren, was er da mit der Wirtin spräche; und überhaupt lag es auf der Hand, daß sie von Rasumichin ganz entzückt war.
Kaum hatte sich die Tür hinter ihr geschlossen, als der Kranke die Bettdecke von sich warf und wie von Sinnen aus dem Bette sprang. Mit brennender, krampfhafter Ungeduld hatte er darauf gewartet, daß die beiden weggingen, um dann sofort, von ihrer Anwesenheit befreit, sich ans Werk zu machen. Aber an was für ein Werk denn? fragte er sich jetzt. Hatte er es denn nun gerade in diesem Augenblicke wieder vergessen?
,O Gott, sage mir nur dies eine: wissen sie schon alles, oder noch nicht? Aber wenn sie nun wirklich schon alles wissen und sich nur verstellen und ihr Spiel mit mir treiben, während ich daliege, und dann plötzlich hereintreten und erklären, daß ihnen alles schon längst bekannt sei und daß sie nur so getan hätten . . . Was mußte ich doch jetzt tun? Daß ich es auch gerade jetzt vergessen habe! Eben wußte ich es noch, und nun auf einmal habe ich es vergessen!‘
Er stand mitten im Zimmer und sah sich in qualvoller Ungewißheit um; er ging zur Tür, öffnete sie und horchte hinaus; aber das war nicht das, was er gewollt hatte. Plötzlich, als wenn es ihm nun eingefallen wäre, stürzte er zu der Ecke hin, wo sich in der Tapete die Höhlung befand, besah alles prüfend, steckte die Hand in die Höhlung und suchte darin herum; aber auch das war nicht das Richtige. Er ging zum Ofen, machte ihn auf und stöberte in der Asche umher: die Fransen von der Hose und die Fetzen der herausgerissenen Tasche lagen noch ebenso da, wie er sie damals hineingeworfen hatte; also hatte dort niemand nachgesehen. Hierbei fiel ihm der Strumpf ein, von welchem Rasumichin soeben erzählt hatte. Richtig, da lag er auf dem Sofa, unter der Bettdecke; er war schon derartig beschmutzt, daß Sametow sicher nichts daran hatte sehen können.
,Ha, Sametow! . . . Das Polizeibureau! . . . Aber warum bestellt man mich auf das Polizeibureau? Wo ist die Vorladung? Ach, . . . ich bringe das ja durcheinander: daß ich da hinbestellt wurde, das war ja damals! Den Strumpf habe ich auch schon damals nachgesehen; aber jetzt . . . jetzt bin ich krank gewesen. Warum ist aber Sametow hierhergekommen? Warum hat Rasumichin ihn mitgebracht?‘ murmelte er, ganz schwach vor Aufregung, und setzte sich wieder auf das Sofa. ,Wie steht es denn? Sind das immer noch Fieberphantasien bei mir, oder ist es Wirklichkeit? Doch wohl Wirklichkeit . . . Ach, jetzt fällt mir ein, was ich wollte: fliehen! So schnell, wie nur möglich, fliehen, fliehen unter allen Umständen! Ja . . ., aber wohin? Und wo sind denn meine Kleider? Die Stiefel sind nicht da! Die haben sie mir weggenommen und versteckt! Nun verstehe ich alles! Aber da liegt der Paletot — den haben sie übersehen! Da liegt auch Geld auf dem Tische, Gott sei Dank! Und da ist auch der Schuldschein . . . Ich will das Geld nehmen und fortgehen; ich miete mir eine andre Wohnung, dann werden sie mich nicht finden! Ja, aber das Meldeamt? Sie werden mich doch finden; Rasumichin findet mich bestimmt. Das beste ist, ganz und gar davonzugehen . . . weit weg . . . nach Amerika, . . . dann können sie mir nachpfeifen! Den Schuldschein nehme ich auch mit, . . . der kann mir da noch gute Dienste leisten . . . Was soll ich sonst noch mitnehmen? Sie denken, ich bin krank. Sie wissen nicht, daß ich gehen kann, ha-ha-ha! . . . Ich habe es ihnen an den Augen angemerkt, daß sie alles wissen! Wenn ich nur erst die Treppe hinunter wäre! Aber wenn sie nun da Wachen stehen haben, Polizisten? Was ist das hier? Tee? Und da ist auch noch Bier übriggeblieben, eine halbe Flasche, das ist schön kühl!‘
Er ergriff die Flasche, in der noch ein ganzes Glas übrig war, und trank sie mit dem größten Genusse, ohne abzusetzen, aus, als ob er in seiner Brust ein Feuer löschen wolle. Aber es war kaum eine Minute vergangen, da stieg ihm das Bier in den Kopf, und ein leises, jedoch nicht unangenehmes Frösteln lief ihm den Rücken hinunter. Er legte sich hin und zog die Bettdecke über sich herüber. Seine ohnehin schon krankhaften und zusammenhanglosen Gedanken verwirrten sich immer mehr, und bald überkam ihn eine leichte, angenehme Schläfrigkeit. Mit einem Wonnegefühl suchte er sich auf dem Kissen mit dem Kopfe eine recht bequeme Stelle aus, wickelte sich fester in die weiche, wattierte Decke ein, die er jetzt statt des zerrissenen Mantels über sich liegen hatte, seufzte leise und versank in einen tiefen, festen, heilsamen Schlaf.
Er erwachte, als er hörte, daß jemand zu ihm kam, öffnete die Augen und erblickte Rasumichin, der die Tür weit aufgemacht hatte und auf der Schwelle stand, noch unschlüssig, ob er eintreten sollte oder nicht. Raskolnikow richtete sich schnell auf dem Sofa auf und sah ihn an, wie wenn er sich an etwas zu erinnern suchte.
„Ah, du schläfst nicht mehr; nun also, da bin ich wieder! Nastasja, bring das Bündel her!“ rief Rasumichin nach unten. „Gleich sollst du Rechenschaft erhalten.“
„Was ist die Uhr?“ fragte Raskolnikow, unruhig umherblickend.
„Du