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was ist denn dabei? Das macht dich gesund! Wohin hast du es denn so eilig? Wohl zu einem Rendezvous? Wir können ja jetzt über unsre Zeit ganz nach Belieben verfügen. Ich habe schon drei Stunden lang auf dich gewartet und bin schon ein paarmal hier gewesen; aber immer schliefst du. Bei Sossimow habe ich auch zweimal vorgesprochen: er war nicht zu Hause. Na, das tut nichts; er wird schon kommen. In meinen eigenen Angelegenheiten habe ich auch noch allerlei Gänge gemacht. Ich bin ja heute umgezogen und jetzt glücklich damit fertig; ich wohne mit meinem Onkel zusammen. Mein Onkel ist doch jetzt bei mir . . . Na, aber jetzt an unser Geschäft! Gib mal das Bündel her, Nastasja. Nun wollen wir gleich mal sehen. Wie fühlst du dich denn, Bruder?“

      „Ich bin gesund; ich bin nicht krank . . . Rasumichin, bist du schon lange hier?“

      „Ich sage dir ja: ich warte schon drei Stunden lang.“

      „Nein, ich meine: vorher!“

      „Was soll das heißen: vorher?“

      „Seit wann kommst du hierher?“

      „Ich habe es dir ja doch vorhin erzählt; oder erinnerst du dich nicht?“

      Raskolnikow dachte nach. Was vorhin geschehen war, schwebte ihm nur ganz unklar vor. Er war nicht imstande, sich allein zu besinnen, und blickte Rasumichin fragend an.

      „Hm!“ sagte der. „Das hast du vergessen. Ich hatte schon vorhin den Eindruck, daß mit dir noch nicht alles in Ordnung ist. Jetzt der Schlaf hat dich in Ordnung gebracht . . . Wahrhaftig, du siehst auch viel besser aus. Bist ein Prachtkerl! Na, nun zum Geschäft! Es wird dir gleich alles wieder einfallen. Sieh mal her, lieber Sohn!“

      Er knotete das Bündel auf, das ihm offenbar außerordentlich wichtig war.

      „Dies hat mir ganz besonders am Herzen gelegen, Bruder, das kannst du mir glauben. Denn wir müssen dich doch vor allen Dingen erst wieder zum Menschen machen. Also nun los, und zwar von oben an. Siehst du diese schöne Kopfbedeckung?“ fing er an und nahm aus dem Bündel eine ganz nette, dabei aber sehr gewöhnliche, billige Mütze heraus. „Erlaube, wir wollen sie dir mal aufprobieren!“

      „Später, nachher!“ entgegnete Raskolnikow, mürrisch abwehrend.

      „Nein, nein, Bruder Rodja, sträube dich nicht; nachher wird es zu spät. Ich würde auch die ganze Nacht nicht schlafen können, weil ich sie ohne Maß nur so aufs Geratewohl gekauft habe. Sie paßt genau!“ rief er triumphierend, nachdem er sie ihm aufgesetzt hatte. „Paßt ganz genau, wie auf Bestellung! Der Schmuck des Hauptes, Bruder, ist das allerwichtigste Stück des ganzen Anzuges und bildet in seiner Art eine wertvolle Empfehlung. Mein Freund Tolstjakow sieht sich genötigt, jedesmal seine Kopfbedeckung abzunehmen, wenn er in ein öffentliches Lokal kommt, wo alle andern Leute ihre Hüte und Mützen aufbehalten. Alle denken, er tue das aus serviler Gesinnung; aber der Grund ist ganz einfach der, daß er sich seines Vogelnestes schämt; er geniert sich überhaupt so leicht. Also, Nastenjka, nun sieh mal hier diese beiden Kopfbedeckungen, diesen Palmerston“ (er holte aus einer Zimmerecke Raskolnikows verbeulten runden Hut herbei, dem er, Gott weiß warum, den Namen Palmerston beilegte) „und dagegen dieses kostbare Prunkstück! Taxiere einmal, Rodja, wieviel meinst du, daß ich dafür bezahlt habe? Oder du, Nastasjuschka?“ wandte er sich an diese, als er sah, daß Raskolnikow schwieg.

      „Zwanzig Kopeken wirst du wohl dafür gegeben haben“, antwortete Nastasja.

      „Zwanzig Kopeken, du dumme Trine!“ rief er gekränkt. „Für zwanzig Kopeken kriegt man heutzutage nicht einmal so eine Person, wie du bist! Achtzig Kopeken kostet sie! Und auch das nur, weil sie schon getragen ist. Aber es ist noch eine Abmachung dabei: wenn diese abgetragen ist, bekommst du im nächsten Jahre eine andre umsonst, wahrhaftiger Gott! Nun, und jetzt kommen wir zu den Vereinigten Staaten von Nordamerika, wie es bei uns im Gymnasium hieß. Ich bemerke im voraus: auf dieses Paar Hosen bin ich stolz!“ Er breitete vor Raskolnikow ein Paar graue Beinkleider aus leichtem wollenem Sommerstoff aus. „Kein Löchelchen, kein Fleckchen, vielmehr durchaus passabel, wenn auch schon getragen. Ferner eine ebensolche Weste, in derselben Farbe, wie das die Mode verlangt! Und daß sie schon getragen sind, ist, bei Lichte besehen, sogar ein Vorzug: der Stoff ist dadurch weicher und zarter geworden . . . Weißt du, Rodja, um in der Welt Karriere zu machen, dazu ist meiner Ansicht nach weiter nichts nötig, als daß man immer auf die Jahreszeit aufpaßt; wenn man sich im Januar keinen Spargel geben läßt, so behält man ein paar Rubel mehr im Portemonnaie. Und das trifft auch für diesen Einkauf zu. Jetzt ist Sommersaison; darum habe ich dementsprechend Sommersachen gekauft. Zur Herbstsaison wird ohnehin ein wärmerer Stoff erforderlich sein, und du wirst diese Sommersachen dann ablegen müssen — um so mehr, da sie dir dann sämtlich nicht mehr gut genug sein werden, wenn nicht infolge wachsenden Wohlstandes, so wegen ihrer eigenen Defekte. Nun taxiere! Wieviel meinst du, daß diese beiden Stücke kosten? Zwei Rubel fünfundzwanzig Kopeken! Und wohlgemerkt: wieder mit der vorhin erwähnten Abmachung; wenn du sie abgetragen hast, bekommst du im nächsten Jahr eine andre Hose und Weste umsonst! Anders werden in Fedjajews Laden Einkäufe überhaupt nicht gemacht: wenn man einmal bezahlt hat, so ist das gleich fürs ganze Leben; denn ein zweites Mal geht man ganz von allein nicht wieder hin. Nun kommen wir zu den Stiefeln — was sagst du zu denen? Man sieht es ihnen ja zwar an, daß sie schon getragen sind; aber ein paar Monate werden sie schon noch halten; denn es ist ausländische Arbeit, ausländische Ware: der englische Gesandtschaftssekretär hat sie vorige Woche auf dem Trödelmarkt verkauft; er hat sie nur sechs Tage getragen, brauchte aber ganz notwendig Geld. Preis: ein Rubel fünfzig Kopeken. Ein guter Kauf, wie?“

      „Aber wer weiß, ob sie ihm passen!“ bemerkte Nastasja.

      „Ob sie ihm passen! Und was ist das hier?“ Er zog aus der Tasche einen alten, verkrümmten, ganz mit angetrocknetem Schmutze bedeckten, zerlöcherten Stiefel Raskolnikows. „Ich bin mit einem Muster hingegangen; nach diesem Monstrum hier haben sie die richtige Größe festgestellt. Wir sind mit der größten Gewissenhaftigkeit verfahren. Und in betreff der Wäsche habe ich mit der Wirtin eine Konferenz abgehalten. Hier, erstens drei leinene Hemden mit modernen Einsätzen, und dann hier . . . und hier. Nun hör zu: achtzig Kopeken die Mütze, zwei Rubel fünfundzwanzig die übrigen Kleidungsstücke, zusammen drei Rubel fünf Kopeken; einen Rubel fünfzig die Stiefel — sie sind aber auch wirklich etwas Vorzügliches —, zusammen vier Rubel fünfundfünfzig Kopeken; fünf Rubel die ganze Wäsche — wir haben nämlich einen abgerundeten Gesamtpreis gemacht —, zusammen genau neun Rubel fünfundfünfzig Kopeken. Du bekommst also noch fünfundvierzig Kopeken heraus; habe die Güte, diese Summe hier in Empfang zu nehmen. Somit, Rodja, bist du jetzt wieder vollständig equipiert; denn deinen Paletot kannst du meines Erachtens noch eine ganze Weile tragen; ja, er macht sogar einen hervorragend anständigen Eindruck; man merkt doch gleich, wenn so ein Stück bei Scharmer gearbeitet ist. Was Strümpfe und andere Requisiten anlangt, so überlasse ich das dir selbst; an Geld haben wir noch fünfundzwanzig Rubelchen zur Verfügung. Wegen Paschenjka und der Wohnungsmiete brauchst du dich nicht zu beunruhigen; ich habe dir schon gesagt: du erfreust dich jetzt eines unbegrenzten Kredits. Jetzt aber erlaube mal, Bruder, daß wir dir die Wäsche wechseln; sehr möglich, daß die Krankheit jetzt nur noch im Hemde steckt.“

      „Laß mich! Ich mag nicht!“ wehrte Raskolnikow ab, der Rasumichins absichtlich humoristisch gefärbten Bericht über den Kleiderkauf nur widerwillig mit angehört hatte.

      „Nein, Bruder, das geht nicht; wozu hätte ich mir denn dann die Stiefelsohlen abgelaufen!“ rief Rasumichin, hartnäckig auf seinem Verlangen bestehend. „Nastasjuschka, geniere dich mal nicht, sondern hilf mir — da, so!“

      Und trotz Raskolnikows Widerstand wechselte er ihm die Wäsche. Dieser ließ sich auf das Kopfkissen zurücksinken und redete mehrere Minuten lang kein Wort.

      ,Die werden mich so bald noch nicht in Ruhe lassen!‘ dachte er.

      „Von was für Geld ist denn das alles gekauft?“ fragte er endlich, blickte aber dabei nach der Wand.

      „Von was für Geld? Na, so was! Von deinem eigenen Gelde. Vorhin war doch der Kontorist hier; Wachruschin hat es überwiesen; deine Mutter hat es dir geschickt; hast du das auch schon wieder vergessen?“

      „Jetzt

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