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ging Fichtl die Treppen hinunter zu ihrem Büro.

      Er traf die beiden im Wachzimmer.

      »Irgend etwas Besonderes heute, Biggi?« fragte er.

      »Nix«, sagte die Kriminalbeamtin. »Nur einen Häftling, ein Exhibitionist. Mit dem bin ich bald fertig.«

      »Und wie schaut es bei dir aus?« fragte der Alte den jungen Brakker.

      »Ich soll bei der Vernehmung dabeisein«, antwortete der, »damit der Zipfelzeiger nicht frech wird.«

      »Gut«, nickte Fichtl. »Macht es kurz und kommt dann zu mir. Ich hab’ was mit euch zu besprechen.«

      Schon nach einer halben Stunde kam Brucker in Fichtls Büro. Er war allein, was den Alten wunderte. »Ich denke, du sollst bei der Vernehmung auf Biggi aufpassen?« sagte er.

      Brucker blies die Backen auf. »Ich glaube, da bin ich überflüssig, denn ich müßte eher noch auf den Zipfelzeiger aufpassen«, antwortete er und ließ die Tür einen Spalt offen. »Hören Sie sich das an, Chef.«

      Tatsächlich hörte man jetzt aus dem Verhörzimmer wildes Geschrei. Es war Biggis wütende Stimme, und man verstand einzelne Sätze wie – »Das werd’ ich Ihnen abgewöhnen, Sie Saukerl« oder »Und vorige Woche vor der Mädchenschule, das waren auch Sie …! Geben Sie es zu, sonst …!«

      »Au weh«, sagte Fichtl, »da waren Kinder im Spiel.«

      »Wieso wissen Sie das?« fragte Brucker neugierig.

      »Du kennst unsere Biggi noch nicht«, belehrte ihn der Alte. »Sie wird immer hysterisch, wenn Kinder das Opfer von Sexualverbrechen sind. Ich nehme an, der Schweinekerl hat vor Schulkindern onaniert.«

      »Vor einem Kindergarten«, berichtigte Brucker, »gestern nachmittag. Er wurde abends von der Sicherheitswache verhört und festgenommen. Jetzt sitzt er jammernd in einer Ecke und hat Angst, Biggi würde ihn in der Luft zerreißen.«

      Es wurde dann bald ruhiger auf dem Korridor. Nach etwa einer halben Stunde kam Biggi ins Büro, ihre Stimme war ein wenig heiser. »Er ist voll geständig«, sagte sie knapp, »ich lasse ihn zum Gericht überstellen. Ein Wiederholungstäter.«

      »Hältst du eine Gegenüberstellung nicht für nötig?« fragte Fichtl. »Der Hofrat wird verlangen, daß du die Kinder befragst und ihnen den Täter gegenüberstellst – eine Wahlkonfrontation.«

      »Die Kinder befrag’ ich nachher im Kindergarten. Von Gegenüberstellungen dieser Art halte ich nichts, da kann sich der Hofrat auf den Kopf stellen. Ich sehe nicht ein, daß man die Kleinen noch einmal erschrecken muß.« Biggis heisere Stimme klang sehr bestimmt, und Fichtl wußte, daß es jetzt besser war, das Thema zu wechseln.

      »Morgen ist Sonntag«, sagte er. »Ihr seid beide dienstfrei. Habt ihr privat was Besonderes vor …?«

      »Woran denken Sie, Chef?« fragte Biggi.

      »Ich denke an einen gemeinsamen Ausflug«, grinste der Alte hinterhältig. »Das Wetter ist schön – wie wäre es mit einer gemütlichen Wanderung auf den Bisamberg? Wir könnten dann gemeinsam was essen, oben im Restaurant. Ich lade euch ein.«

      Die beiden sahen sich an, nickten einander zu. »Fein«, sagte Biggi, »ein ganz intimer kleiner Betriebsausflug. Einmal was anderes.« Sie verabredeten sich für Sonntag zehn Uhr. Dann eilte Biggi in den Kindergarten.

      Mit der besonderen Sensibilität Birgit Herzogs in bezug auf Kinder hatte es eine eigene Bewandtnis.

      Sie war in einer kleinen Stadt in Niederösterreich als wohlbehütete einzige Tochter eines Landarztes aufgewachsen. Ihre Mutter führte den Haushalt, wie es sich in bürgerlichen Kreisen gehört. Nach dem Gymnasium und der Matura zog sie nach Wien und immatrikulierte sich an der dortigen Universität im Fach Medizin, weil ihr Vater es so wollte. Finanzielle Probleme gab es keine, für die Kosten einer kleinen Wohnung und eines kleinen Autos kam der Papa auf, und ihr Taschengeld entsprach etwa dem Lohn eines Fabrikarbeiters, der damit allerdings oft eine dreiköpfige Familie unterhalten mußte. Sie war im dritten Semester, als sie sich heftig in Robert Stark verliebte, einen Sportlehrer und Fußballtrainer, vierzig Jahre alt und ein, wie man so schön sagt, Bild von einem Mann. Mit dem Studieren war es jetzt vorbei, denn ihr Robby war mit seiner Mannschaft viel unterwegs, und natürlich konnte sie ihn nicht alleine lassen. Sie wollte ihn heiraten und wünschte sich Kinder, und Robby versprach ihr beides.

      Sie war damals 23 Jahre alt, und zwei recht unangenehme Entdekkungen lagen noch vor ihr. Von ihrem Arzt erfuhr sie, daß sie wegen eines Myoms am Uterus nicht schwanger werden könnte, es sei denn, sie ließe sich operieren. Und von einem Fußballspieler erfuhr sie, daß sein Trainer Robert Stark verheiratet und bereits Familienvater war. Diese beiden Tatsachen sollten ihr Leben entscheidend verändern.

      Nach einigen wilden Monaten mit viel Alkohol, Männern und spontanen Auslandsreisen – alles, um sich zu betäuben –, kam sie allmählich wieder zur Besinnung, und es störte sie jetzt, daß sie als erwachsene Frau von ihrem Vater immer noch finanziell abhängig war. Sie wollte irgend etwas arbeiten und trat eine Stelle als Serviererin in einem Café an. Und dann hatte sie eines Tages ein für sie besonders eindrucksvolles Erlebnis:

      Sie hatte an ihrem Auto einen Strafzettel wegen Falschparkens gefunden und ging in das zuständige Wachzimmer, um ihre Strafe zu bezahlen. Dort standen drei stämmige Polizisten um ein etwa vierjähriges Bübchen, das sich verlaufen hatte und bitterlich weinte. Die Wachleute wollten Namen und Adresse des Kindes in Erfahrung bringen: »Na wie heißt du denn?« fragten sie ständig, aber der Kleine fürchtete sich offensichtlich und zitterte. »Holt doch die Kriminalbeamtin«, sagte der Kommandant, und bevor Biggi noch ihre Strafe bezahlt hatte, kam eine Frau herein. Die Kriminalbeamtin.

      »Na, was ist denn mit meinem kleinen Burschi?« sagte sie mütterlich und nahm das Kind in ihre Arme.

      Nach drei Minuten schon hatte sich der Kleine beruhigt, sagte artig seinen Namen und wo er wohnte, seine kleinen Ärmchen fest um den Hals der Frau geschlungen.

      Von diesem Moment an hatte Birgit Herzog nur einen einzigen Berufswunsch: Sie wollte Kriminalbeamtin werden. Und sie schaffte es auch.

      Warm schien die Sonne auf das Wiener Becken, tiefblau war der Himmel. Kein Lüftchen regte sich. Die Bäume des Wienerwaldes auf den Anhöhen um die Stadt leuchteten grün in allen Schattierungen. Es war schwer zu glauben, was die Zeitungen ständig über Waldsterben und kranke Bäume berichteten. Die drei Sonntagswanderer hatten nun die Kuppe des Bisamberges erreicht, sahen hinunter auf das bunte Häusermeer, auf den silber glitzernden Donaustrom.

      »Österreich ist doch das schönste Land auf dieser Welt«, schnaufte Fichtl. »Es hat nur den Nachteil, daß so viele Österreicher hier leben.«

      Die beiden jungen Leute lachten. Dann ging man hinüber auf die Terrasse des Restaurants. Sie waren hungrig von der Wanderung bergauf.

      Von der Endstation Stammersdorf hatten sie den Feldweg zur Ortschaft Bisamberg genommen. Langsamen Schritts hatten sie sich alles angesehen. Im prallen Sonnenlicht war schwer vorstellbar, daß in den letzten Monaten hier sieben Verbrechen passiert waren.

      »Wir sollten die Strecke auch einmal bei Nacht ablaufen«, hatte Fichtl gemeint, worauf die beiden anderen einander zuzwinkerten.

      Nach dem Essen erklärte der Chefinspektor seinen beiden Mitarbeitern bei einem Glas Wein, was er vorhatte:

      Er hatte aus der Akte ersehen, daß sämtliche Überfälle immer nur an Arbeitstagen, nie an einem Samstag oder Sonntag verübt worden waren. Das ließ den Schluß zu, daß der Täter tatsächlich irgendwo in der Stadt arbeitete und dann auf dem Heimweg – womöglich nach einem Wirtshausbesuch – sein Opfer suchte. Fichtl wollte nun die Liste der Bekannten von Maria Weber noch einmal mit dem Postenkommandanten durchgehen und all jene heraussuchen lassen, auf die dies zutraf. »Wir können dadurch den Kreis der Verdächtigen vielleicht entscheidend einengen«, meinte Fichtl. »Wenn wir Glück haben, bleiben nur vier oder fünf übrig, und auf die konzentrieren wir uns dann. Denn man muß, wenn die Gendarmeriestreifen jetzt wieder eingestellt werden, damit rechnen,

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