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Aussetzung einer Geldprämie für Hinweise, die zur Ergreifung des Täters führen, Aufforderung an Frauen, nach Einbruch der Dunkelheit die betreffende Gegend zu meiden. Der übliche Blödsinn halt.«

      In den nächsten Tagen lernte Peter Brucker also »das Gehen« bei der Kriminalpolizei, wie es der Chefinspektor formuliert hatte. Er lernte die Aktenerledigung und das Priorieren, er lernte seine Kollegen kennen, stellte fest, daß es hier wie überall hilfsbereite, abweisende und gleichgültige Mitarbeiter gab. Er erfuhr von den Möglichkeiten und Grenzen der Kriminaltechnik und des Erkennungsdienstes, und er lernte die Polizeijuristen des Sicherheitsbüros zu schätzen oder aber zu verabscheuen – zumeist war letzteres der Fall.

      Er informierte sich über die Methoden der Fahndungsgruppe und war beeindruckt von den Lokal- und Personalkenntnissen dieser Kollegen. Sie kannten tatsächlich nicht nur die Ganoven, Zuhälter und Huren der einzelnen Bezirke persönlich, sondern waren auch mit deren Lebensgewohnheiten vertraut. Vieles zeigte sich in der Realität ganz anders, als man es ihm in der Kriminalbeamten-Schule beigebracht hatte, und oftmals dachte er über die Gründe nach, warum bei der Kriminalpolizei zwischen Theorie und Praxis eine so große Kluft besteht.

      Wann immer er Zeit hatte, studierte er die dicke Akte über die Verbrechen der Bestie vom Bisamberg und versuchte von der Kriminalbeamtin Herzog weitere Einzelheiten zu erfahren, die nicht in der Akte standen. Biggi war grundsätzlich freundlich und hilfsbereit, aber sie hatte eben auch ihre eigene Arbeit mit ihren Problemen und war nicht immer zu Plaudereien mit dem neuen Kollegen aufgelegt. Chefinspektor Fichtl konnte sich um die praktische Ausbildung von Peter Brucker auch nicht so intensiv kümmern, wie er es gerne getan hätte. Denn all seine Befürchtungen bezüglich der Sonderkommission waren eingetreten, und er war ständig mit den Anweisungen von Hofrat Putner beschäftigt. »Alles leere Kilometer«, antwortete er nur auf neugierige Fragen des jungen Brucker.

      Die »Hinweise aus der Bevölkerung«, die nach den massiven Presseverlautbarungen der Sonderkommission über die Bisambergbestie eingelangt waren, füllten einen eigenen Ordner. In Aktenvermerken hatten alle Sicherheitsdienststellen festgehalten, was brave Staatsbürger schriftlich oder mündlich den zuständigen Ordnungshütern anvertraut hatten. Der Chefinspektor blätterte in diesem Ordner nur flüchtig. Er fluchte und meinte, ebensogut wie diese Aussagen könnte er ein Mickey-Mouse-Heft lesen, es käme auf dasselbe heraus. Tatsächlich enthielt der Ordner überwiegend Meldungen von seiten älterer Menschen, die Nachbarn verdächtigten, weil diese ihre Hunde mißhandelten, öfter betrunken randalierten oder einen »stechenden Blick« hatten. Nur Biggi Herzog widmete diesen Meldungen täglich Aufmerksamkeit. Nach der Lektüre schien sie jedoch immer wieder enttäuscht zu sein. Neugierig fragte Brucker sie daher eines Tages, was sie denn von den »Hinweisen aus der Bevölkerung« eigentlich erwarte. Ihre Antwort überraschte ihn:

      »Ich hoffe immer noch, daß sich einmal eine bisher unbekannte Frau meldet, die behauptet, ebenfalls überfallen worden zu sein«, sagte sie.

      »Eine Frau, die wir noch nicht kennen …?« fragte er. »Was meinst du damit?«

      »Ich bin ganz sicher, daß es einige gibt«, sagte Biggi. Und dann erklärte sie: Nach ihren Erfahrungen erstatten viele Frauen nach einem Sexualattentat keine Anzeige. Aus Schamgefühl und Angst vor dem dummen Gerede, das dann in ihrem Bekanntenkreis entsteht. Weil die Zeitungen solche Fälle gerne bis ins Detail berichten und bei Gerichtsverhandlungen die Verteidiger der Täter peinliche Fragen stellen: Ob die Opfer die Notzucht vielleicht durch provozierendes Verhalten selbst verursacht, eingeleitet hätten. Ob ihnen vielleicht der ganze Notzuchtvorgang gar nicht so unangenehm gewesen wäre.

      »Ich bin ganz sicher«, wiederholte Biggi heftig, »daß es einige gibt, von denen wir gar nichts wissen. Und die uns helfen könnten. Aber es ist ja kein Wunder, wenn die das Maul halten. Wer will schon in der Zeitung namentlich und mit Foto als Opfer der Bisambergbestie vertreten sein.«

      Peter Brucker hatte darauf geschwiegen. Aber als Biggi den Ausdruck »provozierendes Verhalten« gebraucht hatte, da war ihm zum ersten Mal der zündende Gedanke gekommen. Die Idee, wie man den Täter vom Bisamberg ausfindig machen könnte …

      Für seine privaten Hobbys hatte Peter wenig Zeit in diesen turbulenten Tagen. Statt Sigmund Freud las er die Akte über die Bisambergbestie, und seine lockeren Mädchenkontakte reduzierte er auf Erika. Nicht daß er etwa in das Mädel verliebt gewesen wäre, umgekehrt war das wohl auch nicht der Fall. Aber es schmeichelte seiner männlichen Eitelkeit, wenn er mit Erika in ein Lokal ging und alles rundherum sie angaffte und tuschelte. Sie war ein außergewöhnlich hübsches Mädchen, die blonde Erika, mit guten Chancen, die Wahl zur Miss Vienna oder Miss Popo zu gewinnen. Doch sie hätte so etwas wie einen Manager zum Freund gebraucht, keinen Kriminalbeamten. Denn ihr Beruf, sie war Friseurin, brachte sie kaum mit einflußreichen Leuten zusammen, und ohne die landet man als Fotomodell – und das wollte sie werden – höchstens in drittklassigen Porno-Heftchen.

      Peter saß mit seiner schönen Erika in einem Bistro in der Nähe seiner Wohnung, und sie beschwerte sich schon seit einer Viertelstunde, weil er sie so lange hatte warten lassen. Sie waren zum Kino verabredet gewesen, und nun verpaßte sie Rhett Butler in »Vom Winde verweht«. Erikas Lieblingsfilm. Peter hatte seine Unschuld beteuert und ihr zu erklären versucht, daß Kriminalbeamte ihre Arbeit nicht einfach nicht acht Stunden hinlegen können, aber Erika hielt das für eine faule Ausrede. Als sie dann, immer noch wütend, mit wiegenden Hüften auf die Toilette ging und er ihr interessiert nachsah, fiel ihm wieder Biggis Formulierung vom »provozierenden Verhalten« ein, worauf er beschloß, mit Erika über seinen Plan zu reden.

      Er tastete sich sehr vorsichtig an das Thema heran, als sie wieder an seinem Tisch saß.

      »Wollen wir vielleicht nach Stammersdorf fahren?« fragte er einschmeichelnd. »Nach Bisamberg?«

      »Zum Heurigen?« reagierte sie erfreut.

      »Na, nicht direkt«, schränkte er ein. Dann erklärte er ihr, wie er sich das vorstellte: Sie sollte von der Straßenbahn-Endstation Stammersdorf über den Feldweg in Richtung Bisamberg spazieren. Er würde in angemessener Entfernung folgen. So ein abendlicher Spaziergang würde sicher nicht schaden, und nachher könne man in Bisamberg ja ein Heurigenlokal besuchen, etwas essen und trinken.

      Ihr Gesicht war jetzt so finster wie vorhin nach dem versäumten Film.

      Sie zischte: »Du willst mich als Köder benutzen, du Dreckskerl. Denkst du, ich lese keine Zeitungen? Du willst diese Bisambergbestie fangen, und ich soll den Lockvogel spielen …«

      Er versuchte sie zu beruhigen: »Ich bin ja in deiner Nähe, passe auf dich auf …«

      Sie war aufgestanden, nahm ihre Handtasche.

      »Das ist doch das Letzte!« sagte sie wütend. »Du mieses Polizistenschwein, ich will dich nie wieder sehen …«

      Sie verließ das Lokal, und er mußte die schadenfrohen Blicke anderer Gäste ertragen. Mit Erika ging es also nicht. Und dabei hatte er sich alles so einfach vorgestellt. Wenn der Täter über sie hergefallen wäre, hätte er ihn sofort überwältigen, festnehmen und der Gendarmerie übergeben können. Und er wäre der Held des Sicherheitsbüros geworden. Doch eigensinnig wie er war, gab er seinen Plan nicht auf. Irgend jemand würde sich finden, der mitmachte.

      Am nächsten Morgen musterte ihn der Chefinspektor eine Weile und fragte dann, ob er für den Abend schon etwas vorhabe. Peter verneinte erstaunt.

      Fichtl erklärte, daß er mit der letzten Straßenbahn nach Stammersdorf fahren und dort ein Lokal besuchen wolle. Ob der junge Inspektor Brucker mitkommen wolle …? Jetzt verstand Peter überhaupt nichts mehr. Sein Chefinspektor konnte eine Nachtstreife doch einfach anordnen und mußte nicht höflich herumfragen, ob er Zeit habe.

      Fichtl wurde jetzt deutlicher: Es sei ja bei der Kriminalpolizei so, daß außerplanmäßige Nachtdienste als Überstunden bezahlt werden. Solche Dienste bedürften jedoch der Unterschrift des Abteilungsleiters. Was Fichtl vorhatte, wollte er aber Hofrat Putner nicht unbedingt sagen. Also müßten beide sozusagen privat und ohne Bezahlung auf Tour gehen.

      Peter war mit dem Plan einverstanden. Da erzählte ihm sein Chef, was der Postenkommandant

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