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ich diese Ansichten in Freundes- oder Feindeskreisen vertrete, höre ich sinngemäß immer wieder folgenden Einwand:

      Das Schreiben von Spannungslektüre kann doch nicht nur den Kriminalbeamten bzw. Kriminellen vorbehalten sein. Wo käme man denn da hin? Der Verfasser eines Ärzteromans muß ja auch nicht Mediziner sein, der Autor eines Zirkusromans nicht unbedingt Feuerschlucker oder Seiltänzer.

      Das ist richtig.

      Aber in den beiden letztgenannten Fällen informieren sich die Autoren zweifellos bei den Spezialisten. Sie recherchieren. Warum geschieht dies bei Krimi-Autoren so selten? Es wäre doch ganz einfach. Überall würden freundliche Kriminalbeamte gerne jede gewünschte Auskunft geben. Ich weiß das aus eigener Erfahrung, denn vierzig Jahre war ich in diesem Beruf tätig. Doch bei mir hat sich nie jemand nach Details meiner Arbeit erkundigt. Bei meinen Kollegen ebensowenig.

      Die Kriminalbeamtin der Abteilung »Gewaltverbrechen« des Sicherheitsbüros in Wien hieß Birgit Herzog und war eine ebenso hübsche wie resolute Frau. Sie war 35 Jahre alt und seit zehn Jahren in diesem Beruf. In zehn Jahren Kriminaldienst erlebt man einiges, und sie hatte gelernt, sich durchzusetzen, sowohl bei ihren männlichen Kollegen als auch bei ihren »Kundschaften«. Das waren vornehmlich Prostituierte oder Ladendiebinnen, aber auch weibliche Verbrechensopfer, Jugendliche und Kinder. Es ist nun einmal so, daß Frauen oftmals zu ihren Geschlechtsgenossinnen mehr Vertrauen haben und bei Verhören einer weiblichen Beamtin Einzelheiten preisgeben, die sie einem Mann niemals sagen würden. Diese Erkenntnis hat sich auch die Kriminalpolizei zunutze gemacht: Sie bildet für alle Dienststellen Kriminalbeamtinnen aus. Im Durchschnitt kommt in Wien allerdings auf vierzig Kriminalbeamte nur eine Frau. Viel zuwenig, nach Ansicht von Birgit Herzog.

      An diesem schwülen Nachmittag im August 1982 war die Frau Inspektor besonders übellaunig. Von Freunden hatte sie eine Eintrittskarte zu einer Aufführung bei den Salzburger Festspielen bekommen und hätte sich gerne zwei Tage Urlaub genommen, um sich den »Jedermann« anzusehen. Doch ausgerechnet da wurde wieder ein Notzuchtattentat auf eine junge Frau am nördlichen Stadtrand Wiens verübt, schon der siebte Fall dieser Art in drei Monaten. Keine Spur vom Täter, das Opfer war lebensgefährlich verletzt und lag auf der Intensivstation im Krankenhaus. »Du kannst jetzt keinen Urlaub nehmen, Biggi«, hatte der Chefinspektor gesagt, »das mußt du doch einsehen.« Natürlich sah sie es ein, aber das besserte ihre Laune keineswegs. So fuhr sie also ins Krankenhaus und hoffte, dort irgendwelche Hinweise auf den Verbrecher zu erhalten. Alles hing davon ab, ob die Frau überleben würde oder wenigstens noch etwas sagen konnte, bevor sie starb. Am Telefon hatte der Arzt mitgeteilt, daß die Patientin noch ohne Bewußtsein wäre. Biggi machte sich auf eine lange Nacht am Krankenbett gefaßt.

      Im Spital befragte sie vorerst einmal den Arzt. Die Schädeldecke der Frau war zertrümmert, erfuhr sie, nach mehreren wuchtigen Schlägen mit einem schweren, stumpfen Gegenstand. Die Kriminalbeamtin wußte, daß es ein faustgroßer Stein gewesen war. Man hatte ihn am Tatort gefunden. Der Doktor machte ein bedenkliches Gesicht, dann eilte er zu einer Notoperation von dannen.

      Biggi Herzog hatte darauf einen heftigen Streit mit der Stationsschwester, die ihr partout den Eintritt in das Zimmer der Schwerverletzten verwehren wollte.

      Schließlich, nach einem harten Wortwechsel, kapitulierte die Krankenschwester. »Auf Ihre Verantwortung!« rief sie der in ihren Augen unverschämten Polizistin böse nach.

      Die Verletzte hieß Maria Weber. Ihr Kopf war dick verbunden, die Augen geschlossen, sie atmete kaum hörbar. Biggi schob einen Sessel neben das Bett, setzte sich, ergriff eine Hand der Frau und streichelte sie zärtlich. Die Hand fühlte sich kalt und feucht an.

      »Frau Weber«, sagte sie nach einer Weile leise, »können Sie mich hören?«

      Das Gesicht der Frau blieb ausdruckslos. Biggi seufzte.

      In der nächsten Stunde stellte sie diese Frage immer wieder. »Können Sie mich hören? Geben Sie mir ein Zeichen, wenn Sie mich hören können.« Aber es gab kein Zeichen.

      Die Kriminalbeamtin kannte die sechs vorangegangenen Überfälle nicht nur aus den Akten, sie hatte die Opfer auch direkt befragt. Der Tathergang war immer der gleiche gewesen. Jede der Frauen war auf ihrem Heimweg von der Arbeit nach Einbruch der Dunkelheit in den menschenleeren Gassen des Wiener Vorortes überfallen worden. Der Täter hatte ihnen aufgelauert, sie zu Boden gerissen und gewürgt, um Hilfeschreie zu ersticken. Nachdem er seine Opfer wehrlos gemacht hatte, vergewaltigte er sie. Die Frauen vor Maria Weber hatten leichte Verletzungen erlitten, Kratzer am Hals und Hautabschürfungen. Nie aber hatte der Täter so brutal zugeschlagen wie im Fall der Maria Weber. Was die Kriminalbeamtin auf die Idee brachte, daß diese den Täter erkannt, ihn vielleicht sogar beim Namen genannt hatte. Woraufhin er ihr in der Absicht, sie zu töten, mit einem Stein den Schädel einschlug.

      Es gab eine vage Personenbeschreibung des Täters: ein großer, schwerer Kerl, dessen Atem nach Alkohol stank. Für die Polizei stand fest, daß es immer ein und derselbe gewesen sein mußte.

      Mehr als eine Stunde war mittlerweile vergangen.

      Zuerst glaubte Biggi, sich getäuscht zu haben. Dann aber wurde es ihr zur Gewißheit: Die Augenlider des Opfers begannen zu flattern, als Biggi ihre Frage zum x-ten Mal wiederholte: »Sie können mich hören, Frau Maria, nicht wahr …? Ich bin Kriminalbeamtin. Wir müssen dieses Schwein erwischen, das Sie so zugerichtet hat. Ich glaube, Sie haben ihn erkannt. Ist das richtig …? Haben Sie ihn erkannt …?«

      Maria Weber atmete jetzt heftiger. Wieder dieses Zittern in ihrem Gesicht, als ob sie verzweifelt versuchte, die Augen zu öffnen.

      »Beruhigen Sie sich, Frau Maria. Ich glaube, Sie zu verstehen. Sie haben ihn erkannt, nicht wahr …? Sie haben ihn erkannt.«

      Der Hauch eines »Ja« hing in der Luft.

      »Wer war es, wer war dieses Schwein?« Sie streichelte jetzt die Wangen der Frau.

      Unverständliche Laute. Das Gesicht begann sich zu verkrampfen.

      »Beruhigen Sie sich, Maria. Ich hole jetzt den Arzt, bin gleich wieder da.«

      Sie stand auf, eilte auf den Gang. Der Arzt trank gerade im Schwesternzimmer Kaffee. »Kommen Sie bitte rasch«, rief Biggi, »ich glaube, sie kommt jetzt zu Bewußtsein.« Es klang wie ein Befehl. Der Doktor ließ seinen Kaffee stehen und eilte mit ihr zur Intensivstation.

      Dort warf er einen kurzen Blick auf die Apparaturen, an die Maria Weber angeschlossen war. Fühlte dann ihren Puls und hob mit dem Daumen ein Augenlid. »Die Frau ist tot«, sagte er dann und nickte der Stationsschwester zu, die ihn fragend angesehen hatte.

      Als Chefinspektor Fichtl den Bericht der Kriminalbeamtin gelesen hatte, fiel ihm nur noch ein Wort ein: »Scheiße«, sagte er.

      Birgit Herzog hatte einen knapp gehaltenen schriftlichen Bericht über den Tod der Maria Weber abgeliefert. Da sie jedoch Vertrauen zu ihrem Chef hatte, konnte sie ihm darüber hinaus auch ihre Empfindungen und Vermutungen mitteilen. »Es ist ein Jammer, daß sie nicht mehr reden konnte«, sagte sie. »Aber sie hat meine Fragen verstanden, und ich bin ganz sicher, daß sie den Täter erkannt hat. Das konnte ich natürlich im Bericht nicht schreiben, sonst hieße es gleich wieder, das sei Weiberphantasterei. Kennst ja unseren Hofrat.«

      Fichtl stimmte ihr zu. Er war sehr nachdenklich geworden. »Wenn du recht hast, Biggi, dann müssen wir den Bekanntenkreis der Frau unter die Lupe nehmen«, sagte er. »Und die Gendarmerie muß uns dabei helfen.«

      Die Überfälle waren alle knapp am Stadtrand passiert, wo die örtliche Kompetenz der Wiener Kriminalpolizei endet und die Zuständigkeit der Gendarmerie Niederösterreichs beginnt. Natürlich arbeiten beide im Normalfall zusammen, doch wenn zwei verschiedene Wachkörper eine Sache bearbeiten müssen, kann es schon einmal zu Kompetenzüberschreitungen kommen. Ohne gute persönliche Beziehungen geht da nichts: Das war es, was der Chefinspektor mit seinem letzten Satz gemeint hatte.

      Die beiden waren noch mitten im Gespräch, als Hofrat Putner ins Büro kam, in der Hand einige Zeitungen und eine Personalakte. Der Hofrat war ein Mann um die sechzig und Leiter des Sicherheitsbüros. Auch Ambitionen

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