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Fichtl wollte sich das jetzt einmal ansehen und dann mit Binder plaudern. Nicht am Gendarmerieposten, in einem Wirtshaus. Wenn er diese Tatsache jetzt Putner melden würde, wüßte es am nächsten Tag die hohe Sonderkommission, und das wollte sowohl Fichtl als auch Binder vermeiden.

      Die letzte Bahn der Linie 31 fährt vom Schottenring im ersten Bezirk um 23.30 Uhr nach Stammersdorf und bleibt dort in der Remise bis zum nächsten Tag um 5 Uhr früh. An der Haltestelle Schottenring mischten sich Fichtl und Brucker unter die wartenden Menschen und taten so, als wären sie sich fremd.

      Man konnte beobachten, daß diese Straßenbahn von fast immer denselben Menschen benutzt wurde. Man kannte einander vom Sehen, nickte einander zu und wechselte belanglose Worte. Männer und Frauen, die in der Innenstadt arbeiteten und jetzt nach Hause fuhren. Sie wirkten müde und abgespannt nach einem anstrengenden Arbeitstag. Alle waren einfach gekleidet. Die Frauen trugen Taschen, einige Männer hielten Plastiktüten in der Hand, in denen Werkzeug schepperte oder auch Bierflaschen klirrten.

      Im schwach beleuchteten Waggon war noch etwa ein Drittel der Sitzplätze frei. Die Fahrt dauerte dreißig Minuten, von Haltestelle zu Haltestelle wurde es leerer. Ab Groß-Jedlersdorf waren noch zwanzig Fahrgäste im Wagen, Fichtl und Brucker inbegriffen.

      Man döste vor sich hin, denn das Rattern der Straßenbahnen wirkt einschläfernd. Ein dicker Mann, der Brucker schräg gegenüber saß, öffnete eine Flasche Bier und trank gierig. Eine offensichtlich schwangere Frau neben ihm strickte an einem Babyjäckchen. Der Dicke wollte mit ihr ins Gespräch kommen, aber die Schwangere sah nicht auf und gab kaum Antwort.

      »Endstation Stammersdorf, alles aussteigen«, tönte es krächzend aus dem Lautsprecher. Alle stiegen aus. Nach wenigen Minuten hatten sich die Fahrgäste verstreut, waren auf dem Weg zu ihren Wohnungen. Fichtl und Brucker waren allein. »Wie geht es weiter, Chef?« fragte Brucker.

      »Wir gehen jetzt in den Schwarzen Adler«, sagte Fichtl. »Das ist gleich da drüben. Und wenn ich mich dort in ein Gespräch einmische, dann hörst du nur zu und mischst dich nicht ein, ist das klar?«

      »Alles klar, Herr Kommissar«, grinste Brucker.

      Der Wirt vom Schwarzen Adler empfing die beiden mit »Sperrstunde, meine Herren«. Aber er hatte es nur spaßhaft gemeint, denn er ließ sie eintreten und sich zum Postenkommandanten Binder setzen. Binder war zwar in Zivil, doch da im kleinen Stammersdorf jeder jeden kennt und der Herr Inspektor jetzt für die beiden Fremden je ein Viertel Wein bestellte, war natürlich von Sperrstunde noch lange keine Rede.

      Nur noch wenig Gäste waren im Schwarzen Adler.

      Genaugenommen waren Binder und die beiden Fremden die einzigen, die an einem Tisch saßen. An der Theke standen noch fünf Männer und tranken ihr Bier. Der Dicke mit der Bierflasche aus der Straßenbahn war auch darunter. Alle fünf waren leicht angesäuselt und schimpften lauthals über die Politik und die Politiker. Dann war das Wetter dran, weil es schon so lange nicht mehr geregnet hatte und die Weinstauden am Bisamberg verdorrten, und schließlich ließen sie sich über die unfähige Polizei aus, die einem zwar wegen eines oder zwei Viertel Wein zuviel den Führerschein abnahm, die Bisambergbestie aber immer noch nicht gefunden hatte. Ängstlich beobachtete der Wirt die drei am Tisch, er wollte keinen Ärger haben.

      »Das hätt’s unter dem Hitler net gegeben!« schrie der Dicke. Er war jetzt sichtlich betrunken.

      »Kusch, Ferdl«, sagte der Wirt, »da bist du noch zu jung dazu, das verstehst du net.«

      »Die Todesstrafe gehört wieder her!« schrie der Ferdl und trank sein Glas leer. Seine Freunde murmelten zustimmend. »Kusch, Ferdl«, sagte der Wirt noch einmal und warf einen Blick zum Postenkommandanten. Der aber kümmerte sich nicht um die Schimpfenden. Die drei am Tisch hatten die Köpfe zusammengesteckt und unterhielten sich sehr leise.

      Hans Binder hatte eine Liste von den Männern der Ortschaft zusammengestellt, welche die Maria Weber gekannt haben mußte. Es ergab sich, daß ein einschlägig als solcher bekannter Sittlichkeitsverbrecher nicht darunter war. Einige hatten Vorstrafen wegen Körperverletzung, aber alles in allem nichts Aufregendes. Die üblichen Wirtshausraufereien. Fichtl erhielt einen Durchschlag der Liste ausgehändigt. Von draußen hörte man jetzt Hundegebell.

      »Das ist meine Sonderstreife«, erklärte der Postenkommandant. »Ich habe einen Fährtenhund angefordert, mit dem ab jetzt meine Leute täglich von dreiundzwanzig Uhr bis zwei Uhr früh in der Gegend patrouillieren.«

      »Weiß das die Sonderkommission?« fragte Fichtl.

      »Sie werden es morgen erfahren«, antwortete Binder verdrossen.

      »Wir werden den Täter damit zwar verscheuchen, aber nicht erwischen«, sinnierte Fichtl.

      Binder meinte, er wäre sehr froh, wenn nichts mehr passieren würde. Dann machte er Fichtl einen leisen Vorwurf: »Ihr hättet der Presse nicht sagen sollen, daß die Weber Mitzerl nicht mehr reden konnte. Hätte in einer Zeitung gestanden, sie hätte noch geredet – wer weiß, der Strolch hätte vielleicht reagiert und sich dadurch verraten.«

      Fichtl nickte. »Ja«, gab er zu, »das ist versäumt worden.«

      Brucker hatte den beiden aufmerksam zugehört, dabei immer wieder die Männergruppe an der Theke beobachtet. Jetzt gab er seinem Chef ein Zeichen. Er sollte ja nicht unaufgefordert reden.

      »Was ist?« fragte Fichtl.

      »Wer ist denn der besoffene Fettling dort?« fragte Brucker. »Er ist mit unserer Straßenbahn gekommen.«

      »Ferdinand Polacek«, sagte der Postenkommandant. »Arbeitet als Tankwart in der Stadt. Ihr findet ihn auf der Liste. Er wohnt neben dem Elternhaus der Weber Mitzi. Viermal die Woche besoffen, aber sonst harmlos.«

      Die Tür ging auf, und ein unangenehmer Typ kam herein. Jüngerer Mann mit langem Haar, Ohrstecker, schwarze Lederjacke, auf der Bildchen von nackten Weibern klebten.

      »Der steht auch auf der Liste«, sagte Binder. »Leopold Kucharsky, ein Cousin des Wirts. Arbeitet hier aushilfsweise als Kellner. Hat es bei der Weber Maria immer wieder probiert, sie hat ihn aber abgelehnt.«

      »Kann ich verstehen«, murmelte Fichtl und beobachtete den Leopold.

      »Ich brauch’ dich heut’ nicht, Poldl«, sagte der Wirt, »ist ja nichts los.«

      Der Poldl nickte, schenkte sich ein Glas ein und stellte sich zu den anderen. »Draußen ist alles voller Gendarmen«, sagte er. »Einen Hund haben’s jetzt auch. Das wird denen auch nichts nützen. Mit einem Hund werden’s die Bestie nicht fangen.«

      Es entwickelte sich eine rege und laute Diskussion über den Wert eines Polizeihundes bei der Verbrechensbekämpfung. Mit jedem Schluck Wein wurden die vorgebrachten Argumente heftiger.

      »Hör sie dir an«, meinte Binder. »In einer haben Stunde gehen dann alle heim, voll von Alkohol und Aggressionen. Und dann ist jedem alles zuzutrauen. Oder fast alles.«

      Fichtl und Brucker fuhren mit einem Taxi zurück in die Innenstadt. In einem Café am Schottenring genehmigten sich die beiden noch ein Glas Wein. Dem Chefinspektor war anzumerken, daß er mit der Situation im Fall »Bisambergbestie« gar nicht zufrieden war.

      »Er wird jetzt nicht zuschlagen, solange die Gendarmeriestreifen unterwegs sind«, sinnierte er. »Aber ewig kann man ja die Gegend nicht lückenlos überwachen. Ich muß mir da etwas einfallen lassen.«

      »Wie wäre es mit einem Köder?« fragte Brucker unvermittelt.

      »Ein Köder …?«

      Brucker erklärte, er könne schon irgendwo eine junge Frau auftreiben, die für ihn die Feldwege nach Bisamberg benutzen würde. Sie müßte aber mit der letzten 31 er nach Stammersdorf fahren und das Ganze einige Nächte lang in aufreizender Kleidung durchexerzieren. »Es kann nichts passieren, Chef«, sagte er eifrig. »Ich bin immer in ihrer Nähe. Wenn er zuschlägt, dann fass’ ich ihn.«

      »Vergiß diesen Blödsinn«, sagte Fichtl ernst.

      »Aber warum,

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