Скачать книгу

Putner das erfährt, reißt er uns den Arsch auf.«

      Für den Chefinspektor war dieses Thema hiermit erledigt. Nicht aber für den eigensinnigen jungen Brucker.

      Kriminalbeamte müssen gemäß einer generellen Anordnung der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit bis zu ihrem 42. Lebensjahr zweimal im Monat zum Judo-Training. Dieses Training findet zumeist morgens von 8 bis 10 Uhr statt. Die leitenden Kriminalbeamten sorgen dafür, daß sich keiner ihrer Untergebenen davor drücken kann, denn die Judo-Trainingsstunden sind nicht bei allen beliebt. Auch Kriminalbeamtinnen müssen daran teilnehmen, denn sie haben dieselben Rechte und Pflichten wie ihre männlichen Kollegen.

      Am Tag nach dem Ausflug Fichtls und Bruckers nach Stammersdorf gingen Biggi und Brucker zum Judo-Training und kamen daher erst um 10 Uhr vormittags ins Büro. Biggi mit geröteten Wangen nach der heißen Dusche, Peter Brucker mit einem blauen Auge.

      »Was ist denn mit dir passiert?« grinste Fichtl.

      »Ah, die Biggi, dieses grobe Luder«, sagte Peter nur.

      »Ich kann nichs dafür«, protestierte Biggi. »Wenn er bei den Abwehrgriffen so langsam schaut, dann passiert das eben.«

      Der Chefinspektor lachte.

      »Mach dir nichts draus«, tröstete er Brucker. »Die Biggi war einmal Jugendmeisterin im Judo und nimmt diesen Sport immer noch sehr ernst.«

      Irgendwie beruhigte das Peter Brucker. »Nach dem nächsten Training muß sie ins Krankenhaus, Chef«, sagte er drohend.

      »Wenn ihr mit euren Kindereien fertig seid«, sagte der Chefinspektor nun ernst, »darf ich euch vielleicht von den neuesten Anordnungen der Sonderkommission berichten.«

      Fichtl machte es kurz:

      »Alle in den letzten zehn Jahren wegen Sittlichkeitsdelikten gerichtlich abgeurteilten Personen männlichen Geschlechtes sind listenmäßig zu erfassen und für die Tatzeiten auf ihr Alibi zu überprüfen.«

      »Aha«, meinte Peter Brucker interessiert.

      Jetzt explodierte der Chefinspektor.

      »Nix aha!« schrie er. »Merkst du nicht, was das für eine unsinnige Arbeitslawine ist?! Die von der Justiz werden uns jetzt eine Liste von einigen hundert Männern schicken, die wir alle befragen müssen. Die Antworten kenne ich im voraus. Oder weißt du vielleicht, wo du am Dienstag vor drei Monaten um 22.30 Uhr gewesen bist?! Du weißt es nicht mehr, stimmt’s?! Na also!!«

      Brucker rieb sich sein blaues Auge. »Ach so meinen Sie das«, sagte er kleinlaut.

      Dann dachte er eine Weile nach. »Meine Idee mit dem Köder wäre vielleicht doch erfolgversprechender«, wagte er vorzubringen. Er bereute es gleich wieder.

      »Ich will davon nichts mehr hören«, sagte der Chefinspektor in sehr bestimmtem Ton. Da klingelte das Telefon, Fichtl mußte zu Hofrat Putner.

      »Was war denn das für eine Idee mit dem Köder?« fragte Biggi neugierig.

      Peter erzählte ihr alles. Auch seinen Reinfall mit Erika, er hatte sie seit damals nicht mehr gesehen.

      »Du mußt das Mädel verstehen«, sagte Biggi. »Warum sollte sie sich Unannehmlichkeiten und Gefahren aussetzen? Das Ganze geht sie doch nichts an.«

      Peter wurde nachdenklich.

      »Hast du eigentlich Schuhe, die quietschen?« fragte er plötzlich.

      »Was …??«

      »Ob du daheim Schuhe hast, die quietschen?«

      »Ist dir nicht gut? Hab’ ich vielleicht beim Judo zu fest hingelangt? Hast du Kopfschmerzen?«

      Er lächelte.

      »Ich hab’ mir nur gedacht«, sinnierte er, »daß, wenn ich einer Frau in der Nacht auf dem Feldweg nach Bisamberg folge, es doch gut wäre, wenn ihre Schuhe Geräusche verursachen. Ich kann mich dann orientieren und in Hörweite bleiben.«

      »Ach, so meinst du das«, sagte sie leise.

      Sie mußte jetzt an die Stunde am Bett der Maria Weber denken. Wie qualvoll diese arme Kreatur gestorben war. Sie sah ihr verkrampftes Gesicht, ihre flatternden Augenlider noch lebhaft vor sich.

      »Du wirst lachen«, sagte sie. »Ich habe ein Paar Schuhe, die quietschen.«

      Eine Minute lang schwiegen sie.

      »Du bist ein Superweib«, sagte Peter bewundernd.

      Ihre Antwort löste Heiterkeit in ihm aus. Sie gab genau denselben Satz von sich, den Fichtl um zwei Uhr früh in dem Café am Schottenring gesagt hatte: »Wenn Hofrat Putner das erfährt, reißt er uns den Arsch auf.«

      Chefinspektor Fritz Fichtl war einer der erfolgreichsten Kriminalbeamten der Polizeidirektion Wien. Wenn er sich nicht gerade in seinem Büro über Sonderkommissionen und Hofräte ärgerte, saß er zumeist in seinem Stammlokal, im Café Martha. Er war geschieden, Kinder hatte er keine, und er fürchtete sich vor seiner leeren Wohnung. Zu bestellen brauchte er im Martha schon nicht mehr. Automatisch servierte ihm die Kellnerin sein Glas Wein und ein Tellerchen mit Erdnüssen. Er war ja dort wie zu Hause. Und wahrscheinlich hielt er sich in dem Café öfter und länger auf als in seiner Wohnung.

      An diesem Abend dachte Fichtl bei zwei Gläsern Wein über den Fall »Bisambergbestie« nach. Beim dritten Glas jedoch schlugen seine Gedanken eine andere Richtung ein: Er überlegte ernsthaft, ob er vorzeitig in Pension gehen sollte. Rein formell könnte es da keine Schwierigkeiten geben. Der Polizeiarzt war ein Freund von ihm, und der würde schon irgendeinen Grund zur Pensionierung finden, wenn er ihm entsprechend vorjammerte. Aber was dann? Den ganzen Tag im Café Martha sitzen und Wein trinken war auch kein erstrebenswerter Lebensabend. Andererseits hatte er nach vierzig Dienstjahren »die Schnauze voll«, wie man so schön sagt. Immer unwilliger machte er seine Arbeit, und daran war nicht nur sein Alter schuld. Seine Vorgesetzten, die Herren Polizeijuristen, wechselten ständig, und sein jetziger Abteilungsleiter, Hofrat Putner, mochte ihn überhaupt nicht. Was ganz auf Gegenseitigkeit beruhte.

      Jeder Beruf hinterläßt Spuren, und auch Kriminalbeamte sind ja nur Menschen. Nach längerer Dienstzeit werden sie, weil ständig mit Verbrechen und Elend konfrontiert, oftmals zu Zynikern. Auch auf Fritz Fichtl traf das zu. Sein beruflicher Ehrgeiz hatte zwar insgesamt stark nachgelassen, aber der Fall »Bisambergbestie« beschäftigte ihn doch sehr. Auch ging ihm der Vorschlag seines jungen Mitarbeiters Brucker nicht aus dem Kopf. Sicher, die Idee war gar nicht so übel. Aber sollte er sich so kurz vor seiner Pensionierung in so etwas Heikles einlassen, womöglich seine Altersversorgung riskieren?

      Der nächste Tag war ein Samstag. Fichtl hatte heute nur »Finderdienst«, das heißt, der diensthabende Beamte im Sicherheitsbüro mußte wissen, wo er erreichbar war. Seine Anwesenheit im Büro war somit nicht notwendig, aber zu Hause wollte er auch nicht bleiben. Daher marschierte er also doch auf seine Dienststelle, trank zuvor noch den Frühstückskaffee in der Kantine.

      In seinem Büro zündete er sich dann eine Zigarette an und blies den Rauch in Richtung der Akte »Bisambergbestie«. Es war sehr ruhig im Raum, die Fenster geschlossen, der blaue Zigarettendunst hing wie eine kleine Wolke über seinem Schreibtisch.

      Er zuckte leicht zusammen, als das Telefon neben ihm schrillte, und ärgerte sich gleich darauf deswegen. »Keine Nerven mehr, Alter«, sagte er zu sich selbst, bevor er abhob.

      Es war der Postenkommandant Binder, der ihm kurz angebunden mitteilte, daß er nächste Woche die verstärkten Streifen wieder einstellen mußte. Ein Sparerlaß des Landesgendarmeriekommandos war die Ursache. Diese Nachtstreifen mußten als Überstunden bezahlt werden, und es war kein Geld da. Der Diensthund würde auch abgezogen werden. Ab nächster Woche würde zwischen Stammersdorf und Bisamberg alles wieder sein wie vorher. Da fiel Fichtl Bruckers Vorschlag wieder ein. Die Liste des Justizministeriums über abgeurteilte Sexualverbrecher war bei der Sonderkommission noch nicht eingetroffen. Fichtl rechnete damit bis Montag der folgenden Woche. Ihm graute davor.

      Er blickte kurz in den Tagesbericht

Скачать книгу