Скачать книгу

den Bericht des Gerichtsmedizinischen Instituts, das heißt den Blutbefund von Biggis Bluse abzuwarten. Spätestens übermorgen war damit zu rechnen. Denn was für den jungen Kriminalbeamten Brucker unmöglich gewesen war – ohne entsprechenden Bericht die Untersuchung der Bluse zu veranlassen –, stellte für den Chefinspektor kein Problem dar.

      Die beiden hatten ausgetrunken und wollten bezahlen. Leopold Kucharsky kam an den Tisch, um zu kassieren.

      Plötzlich bückte sich Fichtl unter den Tisch, hob etwas auf. Ein Feuerzeug. »Das muß jemand verloren haben«, meinte er und hielt es dem Leopold hin. »Ah, das ist meins«, sagte der und steckte es ein. »Hab’ mich schon gewundert, wo ich’s gelassen hab’.«

      Draußen auf der Straße blieb der Postenkommandant stehen. »Also, ich versteh’ dich wirklich nicht«, sagte er ernst. »Auf was wartest du denn noch? Ist dir das immer noch nicht genug?«

      »Nein«, sagte Fichtl. »Aber jetzt wird die Geschichte langsam warm. Ich rufe dich morgen an.«

      Sie verabschiedeten sich. Fichtl klopfte seinem Freund auf die Schulter. Als er im Taxi saß und heimwärts fuhr, lachte er leise in sich hinein. Denn er hatte schon wieder eine Idee und wußte, daß es diesmal klappen würde.

      Ungewöhnliche Dinge ereigneten sich jetzt im Leben des Leopold Kucharsky. Dinge, die er sich nicht erklären konnte, die ihn aber beunruhigten.

      Da war einmal die seltsame Fragerei der »finsteren Rosy«, als er eines Abends wie üblich in ihrer Bar an der Theke saß. Ob er irgendwelche Schwierigkeiten mit der Polizei habe, wollte die Rosy mitfühlend wissen. Auf seine erstaunten Gegenfragen rückte die Rosy schließlich zögernd mit der Wahrheit heraus: Ein Kriminalbeamter wäre bei ihr gewesen. Ein Foto von ihm hätte er ihr gezeigt und gefragt, ob sie ihn kenne, ob er öfter ins Lokal käme.

      »Ein Foto von mir?« hatte Leopold erstaunt gefragt, worauf die finstere Rosy nur nickte. Er erinnerte sich, daß die Polizei ihn einmal fotografiert hatte, als er wegen Hasch-Rauchens aufgeflogen war. Erkennungsdienstliche Behandlung hatten das die Kriminalbeamten genannt, und auch Fingerabdrücke hatten sie ihm abgenommen. »Reine Routineangelegenheit.« Leopold Kucharsky war es ein Rätsel, warum die Kiberer jetzt wissen wollten, ob er hier verkehre. Er fand keine Erklärung dafür.

      Einen Tag später fragte ihn seine Mutter ängstlich, ob er denn wieder einmal irgendwo negativ aufgefallen wäre. Sein Gewissen war rein, und so versuchte er seine Mutter zu beruhigen, wollte den Grund für ihre Frage wissen. Sie erzählte, daß sie den Gendarmerie-Postenkommandanten beim Einkaufen getroffen habe. Und der habe sich so seltsam nach ihrem Sohn Leopold erkundigt, gefragt, wie es ihm gehe und was er so treibe. Mit dem Instinkt einer Mutter habe sie gemerkt, daß die Freundlichkeit des Johann Binder, seine plötzliche Anteilnahme, nur gespielt war. »Der ist ein falscher Zehner«, hatte die Mutter gesagt. »Wenn er so freundlich ist, ist er am gefährlichsten.« Und dann wiederholte sie bekümmert, was er die letzten Jahre schon über hundertmal gehört hatte: »Du solltest dir eine Frau suchen, ich lebe schließlich nicht ewig. Du brauchst eine Frau, die dann für dich sorgt.«

      Um dies alles richtig verstehen zu können, mußte man das sonderbare Mutter-Sohn-Verhältnis der beiden kennen:

      Der kleine Polderl war gerade zehn Jahre alt gewesen, als er eines Tages von der Schule heimkam und sich wunderte, weil es im Hause so erbärmlich nach Gas stank. Er fand seine Mutter in der Küche am Boden liegend mit einem Gasschlauch vom Backrohr in der Hand, bewußtlos. Der geschockte Junge riß die Fenster auf, rief Nachbarn zu Hilfe. Der Notarztwagen brachte seine Mutter ins Spital. Aus dem aufgeregten Getratsche der Nachbarsleute erfuhr er Schreckliches. Seine Mutter hatte Selbstmord verüben wollen, weil der Vater die Familie verlassen hatte. Der Bruder seiner Mutter, der Wirt vom Schwarzen Adler, holte ihn von daheim ab und schimpfte schrecklich über seinen Vater. Einen Verbrecher nannte er ihn. Und über diese Hure schimpfte er, über seine Kellnerin, die mit dem Vater davongelaufen war. Die wäre überhaupt an allem schuld.

      Am nächsten Tag schickte ihn der Onkel wieder zur Schule, wo er sich von seinen Mitschülern anhören mußte, daß seine Mutter ein blödes Weib wäre, weil man sich eben nicht umbringt, wenn man ein Kind und damit Verantwortung hat. Die Kinder redeten das nach, was sie von ihren Eltern gehört hatten. Darauf entstand eine wilde Schlägerei unter den Buben, weil der Polderl nicht zulassen wollte, daß man seine Mutter ein blödes Weib nannte. Da die anderen in der Überzahl waren, wurde der Junge ordentlich verdroschen.

      Nach drei Tagen war seine Mutter wieder aus dem Krankenhaus zurück. Sie sprach mit niemandem über ihr Problem, auch nicht mit ihrem Buben. »Das verstehst du noch nicht«, sagte sie nur. »Später, wenn du größer bist, erzähl’ ich’s dir.«

      Ein- oder zweimal im Monat kam es jetzt vor, daß sie sich betrank. Und dann schrie sie manchmal wie eine Irre, und der Junge mußte sich anhören, daß er an der ganzen Misere schuld wäre, weil er sie damals nicht ruhig hatte sterben lassen.

      An seinem 14. Geburtstag schenkte ihm die Mutter ein Fahrrad und erzählte ihm außerdem, daß sein Vater nach Australien ausgewandert wäre. Schuld an allem wäre nur diese Kellnerin, diese Hure. Er solle sich vor schlechten Frauenzimmern in acht nehmen, wenn er einmal erwachsen sei. Damals fing er an, im Schwimmbad durch Astlöcher in den hölzernen Umkleidekabinen Mädchen und Frauen beim Ausziehen zu beobachten, heimlich bei Freunden Nacktfotos zu tauschen und Porno-Heftchen zu sammeln. Und zu onanieren. Gleichaltrigen Mädchen rief er manchmal ordinäre Schimpfworte nach, oder er bewarf sie mit Steinen.

      Mit 15 kam er in eine Lehre, zu einem Elektriker. Mit 18 legte er die Gesellenprüfung ab. Die gleichaltrigen Burschen hatten jetzt schon Freundinnen, mit denen sie halbe Nächte lang auf Parkbänken saßen. Leopold Kucharsky konnte oder wollte keine finden, weil er jedes Mädchen nach dem zweiten Glas Bier oder Wein gleich beschimpfte und eine Hure nannte. Die einzige Frau, mit der er eigentlich reden konnte, war seine Mutter.

      Sie hatte aufgehört zu trinken und sorgte sich jetzt rührend um ihren Sohn.

      Erst im Lauf der nächsten Jahre begann sie sich wegen der abartigen Veranlagung ihres Leopold dem weiblichen Geschlecht gegenüber Sorgen zu machen. Sie empfahl ihm dieses oder jenes Mädchen aus der Nachbarschaft, aber er winkte nur ab. »Die brauch’ ich nicht«, pflegte er zu sagen, »ich hab’ ja dich, Mutti.«

      Die Warnung seiner Mutter vor dem Postenkommandanten nahm er nicht sonderlich tragisch. Was wußte schon so ein Landgendarm von seinem Leben, seinen Problemen. Trotzdem ließ ihm die Sache irgendwie keine Ruhe. Und siehe da, es kam noch schlimmer.

      In der Videothek im dritten Bezirk, wo er angestellt war, erschien eines Vormittags ein jüngerer Mann, erkundigte sich nach diesem und jenem, kaufte aber nichts. Er ließ sich eine Videokassette vorspielen und ging dann wieder.

      Der Kerl war ihm merkwürdig bekannt vorgekommen, er konnte ihn aber vorerst nirgends einordnen. Erst als er am nächsten Tag wiederkam und im Geschäft gelangweilt herumsuchte, wurde es dem Leopold zur Gewißheit: Er hatte ihn einmal in Gesellschaft des Postenkommandanten und eines älteren, ihm unbekannten Mannes im Schwarzen Adler gesehen. Und die drei, so hatte sein Onkel in der Küche behauptet, waren Kriminalbeamte aus der Stadt.

      Konnte das ein Zufall sein? Und wenn nicht, was wollte der junge Kriminalbeamte in seiner Videothek? Wieder war er gegangen, ohne etwas zu kaufen, und so beschloß Leopold Kucharsky, ihn direkt zu fragen, sollte er noch einmal kommen.

      Tatsächlich erschien der junge Inspektor drei Tage später wieder. Diesmal hatte er eine Videokassette bei sich und fragte, ob man sie ihm vorspielen könnte, weil er zu Hause keinen Recorder besitze. Mißtrauisch schob Leopold die Kassette in ein Gerät und schaltete ein.

      Was dann geschah, wurde für Leopold Kucharsky zum Schock seines Lebens.

      Der Bildschirm blieb schwarz. Nur der Ton funktionierte; man hörte undeutlich Schritte, das war alles. Leopold wollte gerade seiner Kundschaft erklären, daß mit der Kassette etwas nicht in Ordnung sei, als aus dem Gerät eine Männerstimme ertönte, laut und unheimlich anzuhören.

      »Biggi!« schrie die Stimme. »Biggi, wo bist du … Biggi!!«

      Leopold

Скачать книгу