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seinem Kopf dröhnte es. Inspektor Brucker schaltete den Apparat ab. Das Knacken des Schalters traf wie ein Schuß ins Bewußtsein des Leopold Kucharsky. Wie aus weiter Feme hörte er jetzt denselben Mann mit ruhiger Stimme sagen: »Sie sind verhaftet. Gegen Sie liegt Mordverdacht vor.«

      Die Tür ging auf. Der Chefinspektor kam herein. Brucker nickte ihm zu. Sie zogen Kucharsky vom Sessel. Die Handschellen klickten. Sie nahmen ihn in die Mitte. Beim Verlassen der Videothek mußten sie ihn stützen. Im Auto auf der Fahrt ins Sicherheitsbüro begann Leopold Kucharsky zu weinen.

      Als er im Büro auf einem Sessel saß, weinte er immer noch. Die Handschellen wurden ihm abgenommen.

      »Tut es dir jetzt leid?« fragte der Chefinspektor. Merkwürdig, das klang beinahe mitfühlend.

      »Ja«, hauchte Leopold.

      Eine Frau kam ins Zimmer, stellte sich vor ihn. Sie sagte kein Wort. Wieder durchfuhr ihn ein gewaltiger Schreck. Es war diejenige, die ihn in die Hand gebissen hatte, die von der Straßenbahn.

      »War das die letzte?« fragte der Chefinspektor.

      »Ja«, antwortete Kucharsky. Alles drehte sich jetzt vor ihm. Die Frau verließ das Zimmer. Er mußte sich an der Sessellehne festhalten.

      Ein Polizeiarzt kam herein, untersuchte seine fast vernarbte Bißwunde, zapfte ihm aus einem Ohrläppchen einige Blutstropfen ab. Dann mußte er aufstehen. Der junge Inspektor untersuchte seine Kleidertaschen und legte alles, was er fand, auf einen Schreibtisch. Das Feuerzeug aus Rosy’s Bar war darunter.

      »Wir beginnen jetzt ganz von vorne«, sagte der Chefinspektor. Und wiederum klang seine Stimme beinahe väterlich.

      In den nächsten 48 Stunden gestand Leopold Kucharsky elf Überfälle auf Frauen in der Gegend um Stammersdorf-Bisamberg. Zehn Notzuchtfälle und den Mord an Maria Weber. Die Kriminalbeamtin hatte recht gehabt: Die Weber Mitzi hatte den Täter erkannt. »Poldl«, hatte sie geschrien, »na wart, das sag’ ich bei der Gendarmerie.« Er war in Panik geraten und hatte nach einem Stein gegriffen, der in der Nähe lag.

      Die Kriminalbeamtin hatte auch recht mit ihrer Annahme, daß nicht alle Verbrechensopfer Anzeige erstattet hatten. Kucharsky gestand Überfälle, die gar nicht aktenkundig waren. Und in all seinen Geständnissen gab er Einzelheiten bekannt, die nur der Täter wissen konnte. Die Beweislage war eindeutig.

      Hochstimmung herrschte im Sicherheitsbüro, geradezu euphorisch reagierte die Sonderkommission. Hofrat Putner war allerdings leicht schockiert, als ihm der Chefinspektor die Klärung des Falles meldete und ihm schilderte, auf welche Art diese zustande gekommen war.

      »An die Strafprozeßordnung habt ihr euch nicht gerade gehalten«, nörgelte er. »Hoffentlich gibt es bei der Gerichtsverhandlung keine Schwierigkeiten.«

      Der Hofrat wäre noch wesentlich schockierter gewesen, hätte er wirklich alle Einzelheiten gewußt. Aber der Alte hütete sich, ins Detail zu gehen. Vor allem verschwieg er seine tagelange Zermürbungstaktik vor und auch nach der Verhaftung. Er kannte ja seinen Hofrat, der hätte vor lauter juristischen Bedenken nicht schlafen können und von »seelischer Grausamkeit« gesprochen. So aber rannte Hofrat Putner von einer Pressekonferenz zur anderen.

      In der Öffentlichkeit war die »Verhaftung der Bestie vom Bisamberg« natürlich eine Sensation, und die Zeitungen waren voll des Lobes für die tüchtige Polizei und die ministerielle Sonderkommission. Chefinspektor Fichtl grinste in sich hinein, und in der Kantine sagte er zu Freunden, was ihm in solchen Fällen immer einfiel: »Der Erfolg hat viele Väter, nur der Mißerfolg ist ein Waisenkind.«

      Natürlich wollten die Presseleute möglichst viele Einzelheiten wissen, und Hofrat Putner als Pressesprecher der Behörde verschanzte sich hinter dem Wortlaut der amtlichen Aussagen. Der Fall hatte nach seinen Worten durch »unermüdliche Ausdauer, besonderen Fleiß und kluge Kombinationsgabe der Kriminalpolizei« geklärt werden können, und so stand es denn auch in den Zeitungen. Der alte Chefinspektor brüllte vor Lachen, als er das las, und ging wohlgemut in die Kantine.

      Leopold Kucharsky war dem Gericht überstellt worden. Der gerichtsmedizinische Befund über Blutgruppe und Bißwunde war positiv und wurde zusammen mit der Anzeige dem Untersuchungsrichter übersandt.

      »Dann wäre der Fall also für uns abgeschlossen«, meinte Peter Brucker erfreut.

      Er mußte sich vom Chefinspektor jedoch sogleich belehren lassen. »Merk dir das eine, junger Freund«, sagte Fichtl ernst. »Jeder Kriminalfall ist für uns erst dann abgeschlossen, wenn das Gerichtsurteil gefällt und rechtskräftig ist.«

      Peter hielt das für übertriebene Genauigkeit. Erst nach Wochen mußte er wieder daran denken und wunderte sich, wie recht sein Chef doch manchmal hatte. Auch Birgit Herzog mußte sich oft fachliche Belehrungen des Alten anhören. Bei den Vernehmungen des Kucharsky hatte sie nicht teilgenommen, denn das wollte der Chefinspektor nicht. Er und Brucker waren die einzigen, die den Häftling verhörten und die Niederschriften unterschrieben. Natürlich erfuhr Biggi aber, in welcher Atmosphäre die Verhöre geführt worden waren. Auch las sie ja die Protokolle, mit deren Formulierung sie überhaupt nicht einverstanden war.

      »Ihr seid viel zu freundlich zu dem Saukerl«, sagte sie empört. »Nur weil er ständig in Tränen aufgelöst ist, aus Selbstmitleid! Dieses perverse Muttersöhnchen! Denkt doch an die Weber Marie! Tut er euch etwa leid?! Dem gehört doch ein Tritt in den Hintern verpaßt!«

      »Ganz recht hast du, Biggi«, lächelte der Chefinspektor.

      »Und warum, Chef, warum behandelst du ihn dann wie ein Vater seinen vertrottelten Sohn?!« Biggis Stimme überschlug sich. Ihre Emotionen waren schließlich verständlich.

      »Weil ich will, daß er den Frack kriegt«, sagte Fichtl ernst. »Frack« in diesem Zusammenhang kommt eigentlich aus der Gaunersprache und ist eine polizeiinterne Bezeichnung für die Höchststrafe, also für lebenslänglich.

      Jetzt verstand die Kriminalbeamtin überhaupt nichts mehr, und der Alte erklärte: »Schau, Biggi, es ist uns gelungen, ihn psychisch fertigzumachen. Aber du weißt doch, wie das bei Gericht ist. Wir müssen ihm ja jede Einzelheit nachweisen. Wenn ich den wilden Mann spiele, und er wird dadurch verstockt und redet nichts mehr, fällt die halbe Anklage ins Wasser. Glaub mir, Biggi, mir ist es sehr schwer gefallen, freundlich zu sein und Mitgefühl zu markieren. Aber wenn es hätte sein müssen, hätte ich sogar mit ihm geheult! Nur damit er weiter auspackt und wir die nötigen Beweise kriegen.« Der Chefinspektor war jetzt ernst. »Auch das gehört zu unserem Beruf«, sagte er abschließend.

      Die Kriminalbeamtin wurde sehr nachdenklich.

      »Vielleicht hast du recht, Chef«, meinte sie. »Ich hoffe, er kriegt den Frack.«

      Ins Sicherheitsbüro war also wieder der Alltag eingekehrt. Der graue Alltag, die tägliche Routine. Zumindest war dies die Ansicht von Hofrat Putner. Für den Chefinspektor und den anderen älteren Kriminalbeamten war immer »Alltag«, auch ohn »Bisambergbestie.« Diesen Alten war es völlig gleichgültig, ob sie an einem spektakulären Gewaltverbrechen oder an Ladendiebstählen arbeiten mußten. Arbeit bleibt Arbeit, und »außergewöhnlich« bedeutete für diese abgebrühten Männer höchstens die Erhöhung einer Dienstzulage oder wenn es freitags einmal in der Kantine keine »Gummiadler« gegeben hätte. Gummiadler war die hausinterne Bezeichnung für gebratene Hähnchen. Niemand glaubte aber ernsthaft an das Eintreten solch außergewöhnlicher Ereignisse. Weder hinsichtlich erhöhter Dienstzulagen noch bezüglich der freitäglichen Gummiadler. Der Alltag im praktischen Kriminaldienst bleibt eben grau.

      Chefinspektor Fichtl und sein Team hatten sich jetzt mit einer Serie von ungeklärten Juwelenraubfällen herumzuärgern. Vor zwei Wochen hatte bereits der fünfte Überfall stattgefunden, immer nach demselben »Modus operandi«.

      In Uhren- oder Juweliergeschäften in den Stadtrandbezirken tauchte kurz vor Ladenschluß plötzlich ein Mann auf, mit über das Gesicht gezogener Kapuze, und bedrohte den Juwelier mit einer Pistole. Er nahm nur wenig Geld mit, aber dafür viel Preziosen. Es gab keine Spuren, keine Hinweise, mit Ausnahme der Vermutung, daß es sich immer um ein und denselben Täter

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