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was er tun soll. Er versteckt sich selbst, und die Diener des Königs suchen nun ihn, der den Schlüssel haben soll.

      Da – nachts um zwölf Uhr am 11. Juni – treffen Gudden und Dr. Müller mit den Krankenwärtern wieder in Schwanstein ein, und Meier wendet sich nun hilfesuchend an die Ärzte. Gudden läßt sich die Situation schildern und entwirft seinen Plan.

      Die Ausgänge werden besetzt. "Jetzt geben Sie dem König den Schlüssel", sagt er zu Meier, und dieser führt den Auftrag aus.

      König Ludwig aber tritt seinen Todesgang an. Hochaufgerichtet, wahnsinnig, betrunken, den Selbstmordentschluß in den gläsernen, großen, braunen Augen.

      Er schreitet durch die Tür seines Zimmers zum Korridor – und Gudden steht vor ihm...

      Ich lasse den nüchternen Wortlaut der Müllerschen Darstellung folgen. Sie ist in allen Einzelheiten wahr. Nach dem Tode des unglücklichen Gudden ist Müller jetzt der einzige Mann höherer Bildung, der als Augenzeuge jenen entscheidenden Stunden in König Ludwigs Leben anwohnte.

      Ohne jedes Hindernis waren die beiden Ärzte bis Schwanstein gelangt. Die bisherigen Gendarmen waren bereits auf Befehl des neuen Regenten im Lauf des Tages durch andere ersetzt worden, und der König befand sich seit diesem Wechsel in seinem Schlosse als ein Gefangener.

      Die Gefahr für Bayern aber schien seit diesem Augenblick abgewendet zu sein, und aufatmend erhielt die neue Regierung in München die Nachricht von der Ablösung des Gendarmerie-Kommandos.

      Mit Zittern und Zagen hatte bis dahin General von Freyschlag, der alte Adjutant des Prinz-Regenten Luitpold, jeden Brief und jede Depesche erbrochen – immer die Schreckensnachricht erwartend: König Ludwig hat das Schloß verlassen und befindet sich auf dem Weg nach München.

      Ich machte alle Phasen dieser Besorgnis in München mit, wohin ich mich, von Peißenberg mit der flüchtenden Kommission zurückgekehrt, begeben hatte.

      In welche Lage mußte der Regent geraten, wenn tatsächlich König Ludwig nach München zurückkehrte. Das Haus Luitpold ist in München nicht beliebt, auch der alte Regent, eine verhältnismäßig wenig bekannte Persönlichkeit, der das ganze Jahr in der Provinz zubringt, um zu jagen. Seine Söhne sind ziemlich hochmütige Herren ohne warmen Zusammenhang mit Gesellschaft und Volk. Nichts band die Truppen an den neuen Regenten, weder Liebe noch militärisches Gefühl. Er war sein Leben lang kein Soldat gewesen. Wohl hatten sie dem neuen Herrscher den Eid geschworen – aber dem eigentlichen König auch, der noch lebte.

      Der arme alte Regent ging durch bittere Stunden der Sorge an dem ersten Tag seiner Macht. Nur den Ministern gegenüber hatte er ein gewisses Gefühl der Genugtuung, das Gefühl: seht Ihr! Ich hatte meine Gründe, wenn ich Euerem Drängen nicht nachgeben wollte.

      Erst die Übernahme des kranken Königs durch die Ärzte vermochte ein Gefühl definitiver Sicherheit in ihm zu erwecken. Er ahnte nicht, welche neue Prüfungen ihm bevorstanden.

      Dr. Müller schildert den Vorgang dieser Übernahme folgendermaßen:

      "Gegen zwölf Uhr nachts kamen wir in Schwanstein an. Der Stallmeister Leefeld hatte uns schon in Hohenschwangau verlassen, und mit ihm hatte man ausgemacht, daß in der Frühe um vier Uhr der Wagen des Königs und die für uns bestimmten Wagen im Schlosse Schwanstein bereit stehen sollten. Kaum aber waren wir in Schwanstein ausgestiegen, da stürzte uns der Kammerdiener Meier, ein langjähriger treuer Diener des Königs, entgegen und beschwor uns, wir sollten sofort in die Gemächer des Königs gehen. Wenn wir nicht sofort hinaufgingen, dann würde sich der König, der in großer Aufregung sei, zum Fenster hinausstürzen: Er wisse, daß etwas gegen ihn im Werke sei und habe ausgesprochene Selbstmordgedanken. So habe er schon verschiedene Male den Schlüssel zum Turme verlangt, wahrscheinlich, um von da in die Tiefe zu springen. Man habe ihn damit hingehalten, daß man ihm sagte, der Schlüssel sei verlegt, und man suche eifrigst nach ihm.

      Hier galt kein langes Zaudern. Der Wagen war zwar erst um vier Uhr bereit, aber man mußte bis dahin den König vor sich selber schützen. Und Gudden war auch rasch entschlossen. Durch eine Reihe nur mit Brettern belegter Korridore kamen wir an eine Wendeltreppe, die in ihrer Fortsetzung auf den ominösen Turm führte. Etwa in der Mitte derselben schloß sich an sie ein Korridor an, der direkt in die Zimmer des Königs mündete. Dort machten wir halt. Ein Teil der Pfleger ging nach oben und schützte so den Zugang zum Turme, die anderen Pfleger mit uns und einer Reihe von Gendarmen, gingen wieder einige Stufen rückwärts. Dadurch wurde der Raum vor dem Korridor frei, und der König sah beim Verlassen seiner Zimmer bzw. beim Verlassen des Korridors niemand von uns. Darauf basierte der ganze Plan. Der Kammerdiener Meier sollte zum König hineingehen und ihm den Turmschlüssel geben. Kam dann der König heraus, dann wollte ihm Gudden erklären, daß er geisteskrank sei und daß die Behandlung sofort ihren Anfang nehme.

      Der Kammerdiener ging mit dem Schlüssel hinein zum König, und für uns, die wir außen warteten, waren es Augenblicke höchster Spannung und großer Erregung. Ich selbst hatte ja den König überhaupt noch nie gesehen.

      Plötzlich hörten wir feste Tritte, und ein Mann von imposanter Größe stand unter der Korridortür und sprach in kurzen, abgerissenen Sätzen mit einem in tiefster Verbeugung dastehenden Diener. Die Pfleger von oben und unten, zugleich wir gingen gegen die Türe zu und schnitten ihm den Rückweg ab. Mit großer Schnelligkeit hatten die Pfleger den König an den Armen untergefaßt, da trat Gudden vor und sprach: "Majestät, es ist die traurigste Aufgabe meines Lebens, die ich übernommen habe; Majestät sind von vier Irrenärzten begutachtet worden, und nach deren Gutachten hat Prinz Luitpold die Regentschaft übernommen. Ich habe den Befehl, Majestät nach Schloß Berg zu begleiten, und zwar noch in dieser Nacht. Wenn Majestät befehlen, wird der Wagen um vier Uhr vorfahren."

      Der König stieß nur ein kurzes, schmerzliches "Ach!" aus und sagte dann immer wieder. "Ja, was wollen Sie denn? Ja, was soll denn das?"

      Die Pfleger führten ihn nun in das Schlafzimmer zurück, aus dem der König gekommen war. In dem Vorzimmer roch es stark nach Arrak, den der Kranke vorher in ziemlicher Menge zu sich genommen hatte. Dies merkte man auch, als der König im Schlafzimmer, wo die Pfleger rasch die Fenster (jeder einzelne hatte ein Fenster zu bewachen) sicherten, frei dastand. Er schwankte leicht nach vorne und hinten und nach den Seiten, auch an der Sprache zeigten sich gewisse kleine Unsicherheiten. Es darf nicht vergessen werden, daß der Kranke durch das Mitgeteilte naturgemäß bis ins Innerste getroffen war, und man kann ja auch dieser Erregung einen Teil der Schuld an den eben geschilderten Symptomen geben.

      Im Schlafzimmer des Königs begann nun eine Reihe von Verhandlungen. Gudden stellte uns einzeln vor. Dabei bemerkte Gudden, er hätte schon im Jahre 1874 die Gnade einer Audienz gehabt, worauf die Antwort kam: "Ja, ja, ich erinnere mich genau." Nachdem der König sich noch nach verschiedenen Einzelheiten in der Behandlung des Prinzen Otto erkundigt hatte, wobei man ihm anmerkte, wie er sich nur mühsam beherrschte, begann er plötzlich: "Wie können Sie mich für geisteskrank erklären, Sie haben mich ja vorher gar nicht angesehen und untersucht?"

      "Majestät, das war nicht notwendig; das Aktenmaterial ist sehr reichhaltig und vollkommen beweisend, es ist geradezu erdrückend."

      "Und wie lange wird die ›Kur‹ wohl dauern?"

      "Majestät, in der Verfassung steht: ›Wenn der König länger als ein Jahr durch irgendeinen Grund an der Ausübung der Regierung gehindert ist, dann tritt die Regentschaft ein, also würde ein Jahr vorläufig der kürzeste Termin sein.‹"

      "Nun, es wird wohl rascher gehen, man kann es ja so machen wie mit dem Sultan, es ist ja leicht, einen Menschen aus der Welt zu schaffen."

      "Majestät, darauf zu antworten, verbietet mir meine Ehre."

      Darauf wandte sich der König zu mir, den er für einen Bruder des gleichnamigen damaligen Oberregierungsrates, jetzigen Polizeidirektors von München hielt, und fragte mich in ähnlicher Weise

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