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diese Anlage seinen Freunden gegenüber mit dem Worte "Einseifen". Unzweifelhaft hatte der König den unglücklichen Arzt an jenem verhängnisvollen Tage in noch raffinierterer Weise "eingeseift", als er es früher zu tun fähig war. Sein wahnsinniger Selbstmordplan war hierzu die Triebfeder – jene außerordentliche Fähigkeit des Wahnsinnigen, einen Gedanken konsequent durchzuführen, von der mir Gudden selbst gesprochen hatte und die der unglückliche Arzt nun, im Augenblicke höchster Gefahr, unbeachtet ließ.

      Das Verhalten Guddens ist um so verwunderlicher, als er unter dem starken Eindruck eines Traumes stand, durch den er in der letzten Nacht vom 12. zum 13. Juni gequält worden war. Er hatte diese Nacht in seinem Hause in München zugebracht, nachdem er mit mir auf der Flucht aus Schwanstein nach München zurückgekehrt war.

      Er war bleich und verstört des Morgens zum Frühstück gekommen. Seine Frau fragte ihn, was ihm sei, und er antwortete lachend, daß er einen törichten Traum gehabt hätte, der ihm die ganze Nachtruhe geraubt habe. Er sei unaufhörlich im Kampfe mit einem Mann im Wasser gewesen. Sie hätten fürchterlich, unablässig miteinander gerungen.

      Ich möchte fast annehmen, daß Gudden in seiner kraftvollen Art den Gendarm fortschickte, gerade weil er einen solchen Traum hatte, der die Seinigen entsetzt hatte und seine Freunde und Bekannten merkwürdig berührte, als sein Schicksal sich in dieser Weise entschied.

      Er haßte den Aberglauben und hielt jeden Zusammenhang einer jenseitigen Welt mit uns für einen Unsinn. Er sprach mir völlig überzeugt aus, daß seine ganze Erfahrung ihn lehre, jedwede sogenannte übernatürliche Erscheinung oder Empfindung nur als eine besondere Form des Wahnsinns zu betrachten. Das außergewöhnliche Selbstbewußtsein Guddens wird sich daher auch hier in einem Augenblick der Entscheidung über ein etwaiges Nachgeben gegenüber Aberglauben oder Furcht aufgelehnt haben.

      Der Gendarm war der Letzte, der seinen König lebend neben Gudden schreiten sah. Kaum eine Stunde später, hinter jenen Bäumen, unter denen sie verschwanden, spielte sich der Schlußakt des Trauerspiels ab, das ganz Europa in Aufregung versetzte und eine unerschöpfliche Quelle für Legenden und Sagenbildung wurde.

      Ich erzähle den entsetzlichen Vorgang, wie ich ihn aus eigener Wahrnehmung und aus der mir von den zunächst beteiligten Personen sofort nach der Katastrophe gemachten Schilderung kenne:

      Gegen Morgen am 14. Juni wurde ich, wie damals, als die Kommission von König Ludwig eingekerkert war, durch den Bahnhofs-Inspektor Hartmann geweckt. Notdürftig bekleidet trat ich aus dem Schlafzimmer, da die bebende Stimme Hartmanns, der mich zu sehen verlangte, einen ganz besonders ernsten Vorgang anzukündigen schien.

      "Der König und Gudden sind im See ertrunken!" rief er mir zu.

      "Das ist unmöglich", erwiderte ich entsetzt, "wer gab Ihnen diese Nachricht?"

      "Aus Berg ist soeben ein Wagen gekommen, der eilend Dr. Heiß holte. Man hat in seinem Hause gesagt, daß der König und Gudden tot im See gefunden seien."

      Ich zog mich in größter Hast an, während ich mit Hartmann den unerklärlichen Vorgang besprach. Wie war es möglich, daß die beiden ertranken? Was war vorgegangen? Ich mußte mir so schnell als möglich Gewißheit schaffen.

      Gegenüber der Villa Cäcilia stand das Haus des Fischers Ernst. Sein Sohn Jakob ruderte mich seit Jahren bei allen Fischfängen und Spazierfahrten. Ich eilte hinüber, weckte die Fischerleute und bestieg nach zehn Minuten mit ihm das Boot.

      Wie phantastisch war diese Fahrt im dämmernden Morgen! Nebel lagen auf dem See, kein Boot war sichtbar weit und breit – nur unser Ruderschlag war hörbar. Drüben aber lag als bläulicher dunkler Streifen der Park von Berg, aus dem der weiße Schloßturm herausragte. Es schien mir undenkbar, daß Gudden allein mit dem König gewesen war. Ein Dritter, oder gar mehrere Personen, mußten in das Drama verwickelt sein. Ich erinnerte mich zu lebhaft meiner letzten Gespräche mit Gudden vor zwei Tagen, seines Urteils über die raffinierte Schlauheit des Wahnsinnigen.

      Jetzt legten wir in Berg an. Niemand war sichtbar, niemand hielt mich auf – alles stand offen.

      Ich schritt eilend zum Schloß und trat ein. Im Flur hörte ich Tritte. Ich ging dem Laut nach – und es standen zwei Gendarmen vor mir, der eine war der mir wohlbekannte Gendarm aus Starnberg, derselbe, dem Gudden am vergangenen Abend zurückzubleiben befahl.

      Der Mann war kreideweiß. Ich fragte ihn. "Wie ist das Unglück geschehen?"

      Er vermochte nicht zu antworten, er zeigte nur hinauf, während er tonlos die Lippen bewegte. Ich eilte weiter.

      Die Türen zu den blauseidenen Salons im ersten Stock standen offen, und ich trat ein.

      Da stand ich allein vor der Leiche Guddens, die dort soeben auf ein Bett oder einen Diwan niedergelegt worden war.

      Jetzt aber vernahm ich in dem zweiten Zimmer daneben ein leises Geräusch, wie Tritte von Menschen, die hastig, aber leise durcheinander gehen, und trat durch die Tür. Da stand ich vor der Leiche König Ludwigs, die nur mit einem Hemd bekleidet auf sein Bett gelegt war, das mitten in das Zimmer gestellt war. Einige Diener standen an der Tür. Aber jeder sah bleich aus, wie der tote König selbst, und niemand fand ein Wort des Grußes oder der Erklärung.

      Ich habe niemals größere Erstarrung, größeres Entsetzen in den Zügen lebender Menschen gesehen. So stand denn auch ich stumm dabei, bis die blauseidene Bettdecke über den König gebreitet war und alle sich entfernten.

      Ich betrachtete nun in großer Bewegung den Toten genau. Wirr hingen die dunklen Locken um die weiße Stirn. Der Tod hatte das aufgeschwemmte Gesicht des Königs straff gezogen, und die ganze Schönheit seiner edlen Züge war wieder erschienen. Nur ein merkwürdiges, unheimliches Lächeln umspielte seine bleichen Lippen. Ein Lächeln, das ich vielleicht wahnsinnig nennen könnte. Verletzungen trug die Leiche keine.

      Als ich mich aber zurück zu dem armen toten Gudden begab, gewahrte ich an seiner Stirn Hautabschürfungen, die den Charakter von Wunden trugen. Das Antlitz des Toten war schmerzlich verzerrt und, aufmerksam durch die Verletzungen an der Stirne gemacht, betrachtete ich den Kopf der Leiche näher. Da gewahrte ich an seinem Halse deutlich Flecke, wie Eindrücke von Nägeln.

      Es wurde mir klar, daß der unglückliche Mann einen gewaltsamen Tod erlitten haben mußte, und ich begann, den Zusammenhang zu enträtseln.

      Unten, im Zimmer des Gefolges, fand ich Dr. Müller und Graf Törring wieder. Ich trat mit der Frage auf sie zu: "Wissen Sie genau, wie das Unglück geschah?"

      Beide waren tatsächlich nicht fähig, mir zu antworten, sondern stammelten nur wenige unverständliche Worte. Ich wollte mich an Baron Washington wenden – dieser aber hatte sich, halb besinnungslos vor Erregung, auf ein Sofa geworfen und befand sich in einem Zustand völliger Unzurechnungsfähigkeit.

      So hielt ich mich denn an die Gendarmen, den Verwalter und die Pfleger, und erfuhr folgendes:

      Als der König und Gudden um neun Uhr noch nicht zum Essen zurückgekehrt waren, begann man im Schlosse unruhig zu werden, und es begaben sich einige der Angestellten in den Park, um auf dem Wege nachzusehen, den die Vermißten gegangen waren.

      Unterdessen wurde es dunkel, und die Angst steigerte sich. Baron Washington und Dr. Müller verteilten die Leute des Schlosses mit Fackeln in den Park und schlossen sich der Suche an.

      Am See war in der Dämmerstunde nichts bemerkt worden. Man hatte auch weniger die Gedanken auf einen möglichen Unglücksfall als auf die Flucht des Königs gerichtet.

      Darum begab man sich an die Tore und entdeckte dabei vor dem großen Holztor an der Seite von Leoni bei Fackelschein eine Wagenspur, die, von Leoni kommend, beim Tor umgewendet war und sich darauf auf einem Feldweg fortsetzte, der nach Aufkirchen steil hinauf steigt, d. h. zu der Chaussee; die weiter nach Wolfratshausen bzw. zum Gebirge

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