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auf des Königs Schreibtisch ein ärztlicher Bericht über den Prinzen, den ich am 15. Mai 1886 von Fürstenried aus eingesandt hatte.)

      Nun kamen die einzelnen Pfleger daran und berichteten auf Fragen über ihre Personalangelegenheiten. Nahezu regelmäßig schloß die Unterredung mit jedem mit der Frage: "Warum gehen Sie denn nicht aus dem Zimmer? Ich möchte allein sein; es ist doch zu unangenehm." Und ebenso regelmäßig erwiderten die Leute: "Der Herr Obermedizinalrat hat es so angeordnet."

      Darauf sprach der Kranke von seinem Aufenthalt in den Bergen, wo es doch schöner sei als in der dumpfen Stadt. Die Luft sei rein, das Wasser so frisch. Man könne es doch niemand verargen, wenn er gerne in den Bergen lebte.

      Nun verließen wir beide, Gudden und ich, das Schlafzimmer auf den Wunsch des Königs hin, die Pfleger aber blieben zurück. Die einzige von innen nicht besetzte Tür war vom Vorzimmer aus bewacht. Dort befanden sich mehrere höhere und Subalternoffiziere der Gendarmerie, ferner hohe Regierungsbeamte und endlich eine Reihe von Gendarmen. – Von hier aus kam man auch unmittelbar in das Schreibzimmer des Monarchen, das feenhaft eingerichtet war, wie überhaupt Schwanstein mit seinen Wandgemälden, den zentimeterhohen Goldstickereien auf blauem Samt, überhaupt dem ganzen Prunk einen unvergleichlichen Eindruck machte.

      Dort im Schreibzimmer war es, wo ich meinen Bericht auf dem Tische liegen sah; im Korridor hatte ich auch Gelegenheit zu beobachten, nach welchem Zeremoniell die Diener des Königs handelten. Der eine von ihnen kam auf uns zu in tiefer Verbeugung: der Oberkörper war im Becken geradlinig abgebogen, so daß man beim Herannahen nur die Kopfhaare sah. Nachdem der Lakai in dieser Stellung seinen Auftrag ausgerichtet hatte, ging er ebenso gebückt, ohne kehrtzumachen rückwärts und visierte nur vorsichtig, daß er die Ausgangsöffnung richtig fand.

      Nach kurzer Zeit ging Gudden wieder in das Schlafzimmer des Königs zurück; von der weitergeführten Unterhaltung verstand ich nur einzelne Sätze, solange ich an der Türe stand. Die Hin- und Gegenreden wurden gehalten, bis der auf vier Uhr in der Frühe bestellte Wagen vorgefahren war.

      Hier mag der Platz sein, wo ich zum ersten Male mein Urteil über den König abgebe: Ich hatte ihn mir anders vorgestellt, ebenso wie ich mir die Szene, in der er von der Erklärung, er sei krank, erfuhr, ganz anders gedacht hatte. Es ist wahr, nach den Bildern, die man in München sah, hätte man den König sofort erkannt. Er war ja noch der große, stattliche Mann mit dem mächtigen Körper, er blickte noch mit so großen Augen seine Umgebung an, aber aus diesen Augen war das Selbstbewußtsein geschwunden und an dessen Stelle eine deutliche Unsicherheit getreten. Er konnte gewiß bei einer Audienz noch jemand so anschauen, daß dieser verwirrt zu Boden sah, aber hier hielt er den fixierenden Blick nicht mehr aus. Seine Züge waren verschwommen, das bleiche Gesicht etwas aufgedunsen, die Sprache hastig, durch häufige Wiederholungen unterbrochen, die Bewegungen unsicher.

      Ich hatte mir gedacht, daß dieser König mit seinen Ansichten von Herrscherwürde und Herrschermacht durch die Mitteilung, daß er nun nicht mehr Herrscher sei, entweder gebrochen zusammensinken würde oder sich in wilder Explosion Luft verschaffte. Aber keines von beiden trat ein. Er war zwar anfänglich erschüttert, aber bald begann er mit denen, die er naturgemäß hassen mußte, zu verhandeln, sie auszufragen, seine Zurückgezogenheit gewissermaßen zu entschuldigen, und immer und immer wieder kamen seine Verfolgungsideen zum Vorschein, die sich in so kleinem Kreise bewegten. Mit kurzen Worten: ich hatte mir den König noch nicht so schwerkrank vorgestellt, als er es in Wirklichkeit war; darum reagierte er auch anders, als ich vorher gedacht.

      Wer natürlich nur den für geisteskrank hält, der entweder in tiefer Melancholie am Boden kauert oder in wilder Tobsucht seine Umgebung bedroht oder endlich so blödsinnig geworden ist, daß er kein verständiges Wort mehr reden kann, dem können meine Erzählungen, wie und was der kranke König sprach, am Ende gar noch Zweifel verursachen; aber dann soll er daran denken, daß es auch Geisteskranke gibt, die zwar noch denken, aber falsch denken; die noch Willensregungen haben, aber nur solche, die auf verkehrtem Boden wachsen und zu verkehrten Zielen führen; die endlich in einer Welt voll Argwohn und Verfolgungsangst leben. Und ein solcher war der König.

      Gegen vier Uhr, als der Wagen angekommen war, sagte Gudden: "Wenn Majestät befehlen, fortzufahren, der Wagen ist jetzt bereit."

      "Ja, ja, dann fahren wir."

      Nachdem der König sich reisefertig gemacht hatte, ging er in unserer Begleitung hinunter in den Schloßhof; dort standen drei Wagen bereit. Als der Kranke mit Gudden die Freitreppe hinabstieg, hätte es nur eines Stoßes bedurft, und Gudden wäre hinuntergestürzt. Aber der König schritt vorwärts, ohne eine Handbewegung zu machen.

      Im Schloßhof sprach er noch geraume Zeit mit dem Kammerdiener Meier, er hatte, wie dieser mir später erzählte, Zyankali von ihm verlangt bzw. befohlen, Meier solle es besorgen. Nach längerem Hin- und Herlaufen konnte der Befehl zum Aufbruch gegeben werden: im ersten Wagen fuhr ich mit dem Kammerdiener und zwei Pflegern, dann kam der Wagen des Königs, der von innen durch Hinwegnahme des Drückers nicht geöffnet werden konnte. Der Kranke war allein im Wagen, auf dem Bock saß der Oberpfleger, nebenher ritt ein Stallbediensteter, der den Auftrag hatte, scharf in den Wagen zu sehen und bei dem geringsten verdächtigen Symptom ein Zeichen zu geben. Im dritten Wagen befand sich Gudden mit dem Gendarmeriehauptmann und zwei weiteren Pflegern. Es war bestimmt worden, daß, sobald der Stallbedienstete ein Zeichen gäbe, die Wagen sofort zu halten und wir uns insgesamt am Wagen des Königs zu versammeln hätten.

      Aber das wurde nicht notwendig, die Fahrt verlief ohne jede Störung. Unterwegs wurde dreimal umgespannt. Bei der letzten Relais-Station – in Seeshaupt am Starnberger See – verlangte der König von der Wirtin Wasser. Nachdem er getrunken hatte, gab er das Glas zurück und sagte dreimal. "Danke!"

      In den Zeitungen sprach man damals davon, der König hätte vor seinem Abschied in Schwanstein eine Ansprache gehalten. Das ist unrichtig. Auch die Episode in Seeshaupt, wo jetzt noch das betreffende Glas gezeigt wird, beschränkte sich auf das oben Gesagte."

      Soweit die Schilderung Dr. Müllers.

      Gegen Morgen am 11. Juni 1886 war der König in Schloß Berg eingetroffen. Noch gingen die Wellen der Erregung in München hoch, aber die ruhig gehaltene Proklamation, die im ganzen Lande verbreitet worden war, hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. Unter einer Art Schrecken standen die Bürger. Sie hatten sich nicht klar gemacht, wohin der Wahnsinn des Königs führen mußte, und die Entscheidung machte einen lähmenden Eindruck. Aber man verstand schließlich in den Städten und auf dem flachen Lande die Maßregel. Anders war es im Gebirge, wo die Bewohner der einsamen Täler von den wahnsinnigen Passionen des Königs lebten. Der Bau der Schlösser und Straßen, die Instandhaltung der Wege im Sommer und das Schneeschaufeln im Winter auf meilenweite Entfernung warf guten Verdienst ab. Darum war der König dort nicht wahnsinnig und der Prinz-Regent ein Rebell. Bis nach dem Starnberger See hin machte sich diese Auffassung geltend und konnte ich dort eine gewisse Spaltung unter den Bewohnern wahrnehmen.

      So war es kein Wunder, daß schon in der Nacht, als der König von Schwanstein nach Berg transportiert wurde, Komplotte zu seiner Befreiung geschmiedet worden sind.

      Unter diesen ist in erster Linie die auf die Befreiung des Königs gerichtete Tätigkeit der Kaiserin Elisabeth von Österreichs zu zählen, welche seit Jahren, und auch zu jener Zeit, in Feldafing am Starnberger See, in Strauchs Gasthof, weilte, um ihren greisen Eltern, dem Herzog und der Herzogin Max in Possenhofen , nahe zu sein.

      Die etwas sehr eigentümlich angelegte, sehr begabte Kaiserin hatte stets mehr Verständnis für ihren Vetter gehabt als andere Sterbliche. Wenn sie stundenlang in ihrem Salon in einer Art Zirkuskleidung am Trapez arbeitete, oder plötzlich – nur mit einem langen Regenrock über Trikotkleidung angetan – von Feldafing nach München zu Fuß ging, eine Strecke von etwa 5o Kilometern (mir begegnete sie in dieser Kleidung einmal), so ist es begreiflich, daß sie die Extravaganzen ihres Vetters, deren schlimmste Auswüchse wohl sicherlich nicht zu ihrer Kenntnis gelangt waren, "erklärbar" fand.

      Sie gehörte deshalb

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