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zu schützen – ich habe ihr gesagt, daß ich das selbst tun werde, daß ich nicht die Hilfe einer Frau in Anspruch nehmen würde. Was beabsichtigt man mit mir? Man kann mich doch nicht als einen Wahnsinnigen behandeln? Das Ganze ist nur eine Geldfrage. Wenn mir jemand hier auf den Tisch ein paar Millionen Mark legte, wollte ich sehen, ob man mich für wahnsinnig halten würde!‹

      Der König war völlig klar und sprach mit mir eingehend über das, was zu tun sei. Ich machte ihm den Vorschlag, sofort anspannen zu lassen und mit mir nach München zu fahren, um sich dem Volke zu zeigen; alles würde ihm zujubeln. Der König aber erklärte, daß er müde sei, daß die Luft in der Stadt ihm nicht bekäme, – kurz, er wich meinen Vorschlägen aus.

      Ich sagte dem König, wenn er nicht nach München fahren könne, so möchte er anspannen lassen und sich mit mir über die Grenze nach Tirol begeben. In einer Stunde sei er frei. Das Schloß von Schwanstein sei völlig in seiner Gewalt, er könne schalten und walten, wie er wolle, aber unzweifelhaft würden in kurzer Zeit von der neuproklamierten Regierung in München Vorkehrungen getroffen werden, die ihn in seiner freien Bewegung hemmen würden. Jetzt oder niemals sei ein Entschluß von ihm zu fassen.

      Der König antwortete auch auf diesen Vorschlag ausweichend: ›Ich bin müde; ich kann jetzt nicht fahren; was soll ich in Tirol machen?‹

      Ich fragte Dürkheim, ob er kein Symptom des Wahnsinns an dem König bemerkt habe?

      "Keines", sagte er, "nur seine totale Entschlußlosigkeit fiel mir auf. Er hatte meine Hilfe und meinen Rat verlangt, ich schlug ihm das einfachste und das durchaus Mögliche vor – aber er war nicht imstande, darauf einzugehen. Sonst war er absolut logisch in seinen Worten, besonders auch, als ich ein Telegramm vom Kriegsminister erhielt, wonach ich mich unverzüglich nach München zu begeben hatte. Ich ging mit dieser Depesche zum König und bat ihn, eine Entscheidung zu treffen. Er sagte mir, ich möge ihn nicht verlassen, er habe keinen Menschen auf der Erde mehr, dem er trauen könne. Es war mir unendlich schmerzlich, die Not des Königs zu sehen. Ich telegraphierte zurück, daß ich den König nicht verlassen könne. Bald darauf erhielt ich ein Telegramm von dem Kriegsminister, der mir den Befehl des Prinzen Regenten Luitpold übermittelte, mich angesichts dieser Aufforderung nach München zu begeben, widrigenfalls ich als Hochverräter angesehen werden würde.

      Ich mußte von diesem Telegramm dem König Kenntnis geben, und sein Bitten, ihn nicht zu verlassen, war herzerschütternd. Aber er sagte auch. ›Ich sehe ein, daß Sie zurückkehren müssen, sonst ist Ihre Karriere und Zukunft verloren.‹ Dann verlangte er Gift von mir und kam trotz meiner Ablehnung immer wieder darauf zurück. Wo solle ich das Gift hernehmen? sagte ich –- wenn ich überhaupt die Hand zu einem solchen Verbrechen reichen wollte. Der König antwortete; ›Aus der nächsten Apotheke – überall gibt es Gift – und ich kann nicht mehr leben!‹

      Es waren fürchterliche Momente. Endlich reiste ich ab – ich sah, daß nichts zu machen war."

      Graf Dürkheim wurde bei seiner Ankunft in München auf dem Bahnhof verhaftet, in das Militärgefängnis gebracht und wegen Hochverrates vor ein Kriegsgericht gestellt.

      Die Regierung des Prinzen Luitpold vermochte nicht anders zu verfahren. Sie verfuhr aber auch korrekt, indem sie den Grafen nach seiner Verurteilung sofort begnadigte und ihn von München, wo eine in jenen Tagen starke Partei –- die Partei der Königin-Mutter – an ihm hing, nach Metz versetzte.

      Die Gefahr, die durch Dürkheims Anwesenheit in Schwanstein der neuproklamierten Regierung erwuchs, war, wie aus seiner mir gemachten Erzählung hervorging, eine große. Wäre nicht der geistige Zusammenbruch des Königs erfolgt, den mir Gudden in Peißenberg voraussagte, und hätte der König noch die Kraft gehabt, Dürkheim nach München zu folgen, so wäre ein Bürgerkrieg unvermeidlich geworden. Aber tatsächlich, auch ohne ein solches Faktum, war Dürkheim schuldig. Denn er war es, der Depeschen des Königs nach dem eine Stunde entfernten Reutte in Tirol durch Boten schickte und damit eine Umgehung der bayerischen, für den König gesperrten Linien vornahm.

      So war es möglich, daß eine Depesche an den Fürsten Bismarck, mit der Bitte um Hilfe, gelangte, auch daß der König an die Kaiserin von Österreich telegraphierte und daß er den Präsidenten des bayerischen Reichsrates, den Freiherrn zu Frankenstein, berief, um eine Neubildung des Ministeriums vorzunehmen. Dürkheim allein war die Veranlassung zu der Absendung dieser Depeschen, die viel Unruhe verursachten.

      Er war es auch, der, ein Werkzeug der ultramontanen Partei, die allgemeine Wirrnis benutzen wollte, um den Führer der Ultramontanen ans Ruder zu bringen.

      Als Frankenstein aus Marienbad in München anlangte, war bereits der vorletzte Akt des Trauerspiels beendet und der König "entmündigt". Er ging deshalb zu dem neuen Regenten, um ihm seine Dienste anzubieten. Aber dank der Unterstützung, die das Ministerium Lutz infolge meiner Bemühungen von Berlin aus erhalten hatte, fand Frankenstein die Tür verschlossen.

      Das war die Episode Dürkheim.

      Niemand wird es dem Flügeladjutanten zum Vorwurf machen, der seinem König in der Stunde der Gefahr beizustehen versuchte, aber niemand kann auch die Gefahr verkennen, die der Regierung des Prinzen Regenten Luitpold durch sein Verhalten erwuchs.

      Ein lebhaftes Interesse hatte sich ihm in jenen Tagen allgemein zugewendet, und selbst seine von ihm getrennte und ihn verabscheuende Gattin sandte ein Telegramm an Minister Crailsheim mit der ziemlich törichten Frage: "Wo ist mein Mann?"

      Mit diesem letzten Aufflackern eines Interesses für das romanhafte und zugleich mannhafte Auftreten ihres "Alfreds" versank sie wieder in Schweigen.

      V.

      Der König wird in Schwanstein durch Dr. Gudden in ärztliche Obhut genommen und nach Berg gebracht.

      Nach der Abreise Dürkheims war der König sich völlig selbst überlassen. Ein entsetzlich qualvoller Zustand war über ihn gekommen: das Bewußtsein seiner Krankheit und der Lähmung seiner Aktionsfähigkeit.

      Das Gespenst des Selbstmordes, das ihn durch Jahre verfolgte, das – wie mir der ehemalige Kabinettssekretär von Ziegler erzählt hatte – häufig stundenlang das Thema der Unterhaltung zwischen dem König und ihm gebildet hatte, tauchte angesichts der Thronentsetzung, der entgegenzuwirken er nicht mehr die moralische Kraft besaß, mit zwingender Gebärde vor ihm auf. Aber die Furcht vor dem Tode hielt ihn von dem entscheidenden Schritt zurück.

      Es schien ein neronisches Ende zu nehmen. Der Cäsar vermag nicht zu leben, wenn er nicht Cäsar sein kann, aber versunken in bodenlose moralische Schwäche, vermag er sich nicht mehr zu der "Tat" des Selbstmordes aufzuraffen. In der Furcht vor dem ihn ereilenden Schicksal flehte er in den Gärten des Sallust den Sklaven an, ihn zu töten.

      König Ludwig bittet seine Freunde, seine Diener um Gift – aber keiner erbarmt sich seiner Not. Da faßt er den Gedanken, sich von dem kleinen Turm, der über dem Abgrund der Pöllachschlucht steht, hinabzustürzen – den Gedanken, daß der Sturz aus jedem Fenster seiner Gemächer ihm unfehlbar Tod bringen muß, weist er zurück. Es muß der Turm sein – es lag wohl ein Reiz in dem Gedanken, den höchsten Punkt zu erreichen vor dem Abgrund.

      Aber er hat auch ein dunkles Gefühl, als werde ihn auf der Höhe des Turmes der Mut verlassen, und darum muß er seine Nerven stärken, seine Furcht betäuben.

      Er bestellt sich Kognak und Arrak. Dann erst verlangt er den Schlüssel zum Turm.

      Der Kammerdiener Meier ahnt die Absicht seines Königs und behauptet, der Schlüssel sei verlegt, ratlos bespricht er mit seinen Kameraden, was zu tun sei.

      Der König aber trinkt ein Glas Kognak nach dem andern – leert eine ganze Flasche. Dann beginnt er heißen Punsch zu trinken – er leert allmählich auch diese Flasche, und die Spirituosen beginnen zu wirken. Es scheint der Mut für die "Tat" zu

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