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es, wo Baron Truchseß, der bayerische Gesandte am Hofe des Zaren, Fräulein Esperanza heiratete .

      Baronin Truchseß – im Jahre 1886 einige vierzig Jahre alt – ist eine anziehende Erscheinung. Ihr gutes Herz, ihr edler Charakter und ihre feine Bildung gestalten den Verkehr mit ihr sehr angenehm.

      Das Unglück ihres Lebens ist ihre Kinderlosigkeit. Von dem Bedürfnis beseelt, Gutes zu tun und ihren Nebenmenschen Liebe zu erweisen, blieb ihr doch das Höchste: die Liebe zum eigenen Kinde – versagt. Unter dieser Sehnsucht litt sie, diese Sehnsucht regte sie auf. Physisch aber wurde die Kinderlosigkeit noch verderblicher für sie. Blutandrang nach dem Gehirn verdunkelte zuweilen ihr Bewußtsein, und dann nahmen ihre Gedanken einen besonderen Weg: es war eine abgöttische ideale Liebe für ihren König Ludwig, die sie während solcher Stunden krankhaft beherrschte. Vermied man es jedoch, von ihm zu sprechen, so war die Unterhaltung normal und ruhig, ohne jegliche Absonderlichkeit.

      Unendlich viele erregbare Frauen waren, wie sie, dem Zauber dieses einsamen Märchenkönigs verfallen, dessen schöne Züge allenthalben im Bildnis sichtbar waren, der selbst aber nur, geisterhaft, des Nachts erschien, im Wagen vorübereilend.

      Bei einer Fahrt des Königs, morgens von München auf dem Weg nach Schloß Berg, sah auch ich ihn – (das einzige Mal, das ich ihn lebend sah) – als der Kutscher an der engen Biegung der Straße bei Starnberg genötigt war, langsam, fast Schritt zu fahren. Das war im Herbst 1885. Ein schwerer Tuchmantel hing auf seinen Schultern, auf dem großen schwarzen Kalabreser-Hut glänzte die Diamant-Agraffe. Wie der "Fliegende Holländer" sah er aus, als er den Hut zum Gruß hob und die bleichen, schönen Züge, die dunklen großen Augen sich mir entgegenwendeten. Auf dem Bock saß ein Soldat eines Cheveauxleger-Regiments, die Mütze auf dem Kopf, doch ohne Säbel an der Seite. Er hielt ein Bukett in den Händen, und auf den vorgestreckten Füßen steckten buntgestickte Hausschuhe –, denn der König ertrug nicht den harten Laut des Soldatentritts in seiner Nähe.

      Alle die hundert Erzählungen von der Liebe des Königs für geheimnisvolle Frauengestalten sind völlig erfunden. Eine Abneigung muß ihn von jeder Frau getrennt haben, denn es ist auch Tatsache, daß jener erste Kuß, den seine Braut, seine schöne Kusine, Herzogin Sophie von Bayern (Schwester der Kaiserin Elisabeth von Österreich und später Gattin des Herzogs von Alençon, die jämmerlich bei einem Brande in Paris 1897 umkam), ihm auf der Roseninsel im Starnberger See gab, die Veranlassung der Trennung von ihr wurde.

      Wir kehren nun zu der Kommission zurück, deren Schicksal mir frühmorgens am 10. Juni von meinem Freunde Hartmann mitgeteilt war.

      Der Spott und Hohn, der sich nach dem nicht mehr zu verbergenden Mißgeschick der Kommission allerorts in den nächsten Tagen über die unglücklichen Abgesandten ergoß, war dennoch nur zum Teil gerechtfertigt. Denn jene Bedingungen des Prinzen Luitpold, "daß der König als erster die Nachricht von der Regentschaftsübernahme erhalten müsse", hatte dem Staatsministerium die Hände gebunden. Das Ministerium war deshalb nicht in der Lage gewesen, durch Mitteilung an die Bezirksämter und Gendarmerie die Aktion zu sichern.

      Der Vorwurf der Unachtsamkeit mußte aber dennoch, wenn auch in anderer Beziehung, die Abgesandten auf das schärfste treffen.

      Ich komme darauf später zurück.

      Die Lage in Bayern war durch dieses Ereignis plötzlich eine äußerst kritische geworden. Wie ich oben bemerkte, lag die Gefahr nahe, daß die Parteien des Königs und des Prinzen Luitpold in gewalttätigen Gegensatz gerieten. Sogar die Gefahr einer Spaltung in der Armee war nicht ausgeschlossen.

      Da nun der Brennpunkt der kritischen Situation im Schwangau zu suchen war, erklärte ich meinem verehrten Chef und Freund, dem Grafen Werthern, ich wolle mich schnell incognito dorthin begeben, um unsere Regierung mit sicheren Nachrichten versehen zu können. Er gab mir seine Zustimmung, doch nicht ohne mich zu warnen, da der "Preuße" in dem Kreise aufgeregten Bergvolkes seines Lebens nicht sicher sei.

      Ich verabredete eine Chiffre mit ihm, indem wir uns zwei gleicher Broschüren bei Absendung von Depeschen bedienen wollten. Dann verließ ich München, um mich über Peißenberg nach Hohenschwangau zu begeben. In Starnberg verabschiedete ich mich von den Meinigen.

      Ein kleines Fuhrwerk führte mich von Peißenberg nach Hohenschwangau, wo ich in der Nacht einzutreffen gedachte. Der Kutscher wußte nichts von den Vorgängen in dem Schloß zu Schwanstein; aber Landleute, die uns begegneten, erzählten, daß man im Lande unruhig sei. "Es soll dem König etwas geschehen."

      Der Kutscher wußte mir nur mitzuteilen, daß der junge Graf von Steingaden (Graf Dürkheim) vor einigen Stunden nach Hohenschwangau gefahren sei.

      So hatte ihn also der König gerufen. Ich erinnerte mich mit Schrecken unserer Unterhaltung im Eisenbahnkupee vor einigen Tagen. Jetzt war Dürkheim in der Lage, die Rolle zu spielen, von der er träumte! Das bedeutete unzweifelhaft eine Verschärfung der Lage.

      Als ich eine Zeitlang gefahren war, hörte ich auf der in Serpentinen ansteigenden Straße im Walde über mir ein Fuhrwerk, das schnell nahte, und gleich darauf bog ein großer Break von vier Füchsen gezogen und von einem königlichen Kutscher geleitet in schärfstem Tempo um die Ecke. Die Füchse, schweißtriefend, zogen den gehemmten Wagen den Berg hinunter, und zu meinem Erstaunen gewahrte ich die gesamte Kommission bleich und ernst darin. Ich hielt und begrüßte die gleichfalls haltenden Herren nicht ohne ein Gefühl der Verlegenheit, brach aber der etwaigen Annahme, daß ich als Spion auf dem Wege sei, die Spitze ab, indem ich den Herren mitteilte, wie die preußische Gesandtschaft zu eng mit den Interessen der hiesigen Regierung verwachsen sei, um sich nicht persönlich überzeugen zu müssen, welches das Schicksal der bedrohten Abgesandten sei.

      Die Herren dankten mir und erzählten auf dem gemeinschaftlich zurückgelegten Heimweg die Ereignisse der verflossenen Nacht bis zu dem Augenblick ihrer Flucht.

      Die Gefahr, in der sie sich befunden hatten, stand auf ihren Zügen eingegraben. Der Hunger tat das seinige dazu, um die bleichen Gesichter zu verzerren. Denn von dem Moment der Einschließung in der Nacht bis jetzt – es war sechs Uhr abends – hatten sie nichts genossen. In den Ortschaften auf dem Wege zur Bahnstation aber war es nicht möglich einzukehren, denn drohend standen die Hausbewohner an den Türen. Noch in Peißenberg traten wir mit Vorsicht in das Gasthaus in der Nähe der Bahn – in eine gewöhnliche Bauernschenke. Nur Rührei war vorhanden, aber es erglänzten die Augen der hungernden Großwürdenträger, als die dicke Wirtin das einfache Mahl gerichtet hatte.

      Mit dem Genuß der Eierspeise trat eine gewisse Ruhe der Anschauung ihrer Situation ein. Bisher standen alle Abgesandten, ohne Ausnahme, unter dem Eindruck des Schreckens, den sie durchlebt hatten. Nur Herr von Crailsheim hatte tapfer, wenn auch blässer als gewöhnlich, seine alte Ruhe bewahrt.

      Die Nerven der Herren waren noch so abgespannt, daß sie bei der Darstellung ihrer Erlebnisse während unserer gemeinschaftlichen Rückreise nach München mit einer Lebhaftigkeit und Offenherzigkeit vorgingen, die unter normalen Verhältnissen sicherlich nicht vor mir hätte Platz greifen können.

      Auf dem Perron des Bahnhofes in Peißenberg war es auch, daß ich zum letztenmal den von mir hochverehrten, liebenswürdigen Professor Gudden sprach, der drei Tage später in so tragischer Weise sein Leben verlor. In eingehender Weise schilderte er mir den geistigen Zustand des Königs. Das Resümé seiner Mitteilung war die Behauptung, der König sei völlig zusammengebrochen, man werde ihn nach Beseitigung der äußeren Hindernisse einfach in Empfang zu nehmen haben. Er sei unfähig, sich noch einmal aufzuraffen.

      Aus dieser Darstellung des Krankheitszustandes ist bereits die Auffassung erkennbar, die Gudden dazu bestimmte, zwei Tage später, an dem verhängnisvollen Abend des 13. Juni, besondere Sicherungsmaßregeln außer acht zu lassen.

      Ich fuhr mit Minister Crailsheim und Graf Holnstein bei dieser merkwürdigen Heimfahrt zusammen in demselben Eisenbahn-Abteil.

      Eine meiner ersten Fragen war, weshalb die Herren,

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