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      Dr. Müller schildert diesen Vorgang und die weiteren Geschehnisse folgendermaßen:

      "Die Verhandlungen am Schloßportal nahmen geraume Zeit in Anspruch. In der Zwischenzeit fiel uns eine Dame auf, die fortwährend rief, sie wolle zum König, sie würde ihn retten. "Herr von Gudden, ich will meinen König schützen." Es war, wie sich bald herausstellte, eine Dame aus den besten Münchener Kreisen, die periodisch geisteskrank war und auch schon früher von Gudden behandelt worden war. Da es nicht gelang, die Dame zu beruhigen und ebensowenig, ihre Begleiterin zu veranlassen, mit ihr wegzugehen, so mußte man sie schließlich gewähren lassen. Nach etwa einer Stunde wurden die Verhandlungen abgebrochen, und die Kommission begab sich zurück nach dem alten Schloß Hohenschwangau.

      Der Zweck des frühen Besuches in Schwanstein schien wohl schon teilweise bekannt geworden zu sein, denn auf dem Rückwege konnte man Bauern und Feuerwehrleute sehen, die den Berg hinaufliefen. Etwa um sechs Uhr sah ich bei einem zufälligen Blick aus dem Fenster, daß im Schloßpark kleine Trupps von Feuerwehrleuten auf- und abzogen; es kam auch ein Gendarm in mein Zimmer, der mir ankündigte, wir seien alle auf des Königs Befehl verhaftet und dürften das alte Schloß nicht verlassen.

      In einem Zimmer des oberen Stockwerks traf ich Baron Washington und von Gudden und erfuhr von ihnen, Freiherr von Crailsheim, Graf Holnstein und Graf Törring seien bereits nach Schwanstein abgeführt worden. Was mit ihnen geschehen sei, wisse man nicht. Auf dem Korridor traf ich den Bezirksamtmann von Füssen, der inzwischen angekommen war und auf meine direkte Frage entgegnete, ich sei nicht verhaftet. An dem Ausgangstor des Schlosses stand ein Gendarm Wache und wehrte jedes Durchpassieren.

      Gudden gestattete den Pflegern (Irrenwärtern) ins Dorf hinunterzugehen, was auch von unseren Wächtern nicht beanstandet wurde. Sie waren aber noch nicht lange fort, da wurde uns der Befehl des Königs mitgeteilt, nun sollten auch wir nach Schwanstein geführt werden. Wir erklärten uns sofort bereit und nahmen im Dorfe die Pfleger mit. Langsam ging es den Berg hinauf, vor und hinter uns Gendarmen und Feuerwehrleute als Bedeckung.

      Auf halber Höhe des Berges etwa liegt ein Wirtshaus.

      Schon dort sahen wir eine Ansammlung von Leuten aus der Umgebung, die uns nicht gerade freundschaftlich musterten; noch mehr aber wuchs die Anzahl des Volkes oben im Schloßhof selbst. Feuerwehrleute, Bauern, Floßknechte, sie alle waren herbeigeeilt, um dem König zu helfen. Man kann sich darum leicht vorstellen, wie sie gegen uns gesinnt waren. Es ist wohl als ein Glück zu betrachten, daß der Bezirksamtmann gleichfalls anwesend war und durch seine Autorität das Volk von etwaigen geplanten Ausschreitungen und Feindseligkeiten abhielt.

      In Schwanstein wurden wir im ersten Stock des sogenannten Domestikenbaues untergebracht. In einem Zimmer fanden wir die drei schon vor uns verhafteten Herren. Bald kam der Befehl, wir sollten jeder in einem einzelnen Zimmer bewacht werden. Wahrscheinlich wegen Platzmangel kam ich mit Baron von Washington zusammen. Aber es war trotzdem nicht jeder Verkehr abgebrochen, denn Gudden kam zu uns herein und sprach auch mit den Pflegern, die draußen im Korridor bei den Gendarmen saßen, welche uns bewachten.

      Die Fenster unseres Arrestlokales gingen auf den Schloßhof hinaus. Man sah, daß das Volk sich allmählich entfernte und daß ein lebhafter Verkehr, der durch einen Lakaien vermittelt wurde, zwischen dem Teil, wo der König wohnte und den Gendarmen herrschte. Dieser Lakai war es auch, der die finsteren Befehle überbrachte, die der König in seinem Zorn niederschrieb: es sollte den Verrätern die Haut abgezogen werden, wir sollten verhungern.

      Wir waren ungefähr zwei Stunden in enger Haft. Es waren wenig angenehme Stunden ungewissen Wartens. Gegen ein Uhr kam Gudden wieder in unser Zimmer und sagte mir, er hätte mit dem Bezirksamtmann ausgemacht, daß er jetzt das Schloß verlassen würde. Ich fragte ihn natürlich, was mit uns geschehe und ob er keine Befehle für mich hätte, erhielt aber anfänglich keine genügende Antwort.

      Mir scheint nun, daß in dieser Zeit Gudden plötzlich eine Dispositionsänderung machte. Denn während aus seinen ersten Äußerungen zu entnehmen war, daß er allein mit Hilfe des Bezirksamtmannes das Städtchen Füssen und von da aus München erreichen wolle, erklärte er, als er kurz darauf wieder in unser Zimmer kam, wir dürfen alle fort, sollten unseren Abzug aber möglichst unauffällig bewerkstelligen und in passenden Zwischenräumen das Schloß verlassen; wir würden nach München zurückkehren, dort würde sich das Weitere entscheiden.

      So waren wir also aus unserer Haft erlöst.

      Unten in Hohenschwangau trafen wir wieder zusammen. Dort sah ich einen Flügeladjutanten des Königs (Dürkheim), der eben angekommen war und auf dem Wege ins neue Schloß zum König war. Nach kurzer Zeit waren zwei Gefährte für uns bereit, ein vierspänniger Jagdwagen und eine zweispännige Kutsche; die Insassen der letzteren aber stiegen bald mit auf den Jagdwagen, und nun fuhren wir der Station Peißenberg zu.

      Gegen Abend sieben Uhr kamen wir in Peißenberg an und fanden dort den Legationsrat Dr. Rumpler wieder, der nicht mit verhaftet worden war und auf anderem Wege die Eisenbahnstation erreicht hatte."

      Die vorstehende Schilderung des Dr. Müller trägt einen Charakter objektiver Ruhe, die in direktem Widerspruch zu der ungeheuren Erregung steht, in der sich bei diesem Vorgang die zunächst Beteiligten und das Volk des Schwangaus befanden. Die Tendenz, das Vorgehen der Kommission in möglichst mildem Licht erscheinen zu lassen, ist unverkennbar. Ich habe bereits oben den Zustand der Aufregung geschildert, in dem sich die "Verräter" – so wurden sie von einem großen Teil des Volkes genannt – befanden, als ich ihnen auf der Flucht nach Peißenberg begegnete. Die Schilderungen, die ich über die Vorgänge aus ihrem Munde während der Eisenbahnfahrt, unmittelbar nach den erlebten Schreckensszenen, erhielt, lauteten wesentlich lebhafter als die Darstellung Dr. Müllers. Ich vermag daher seine Darstellung durch folgendes zu ergänzen:

      Der Gendarmerie-Wachtmeister von Hohenschwangau, ein dicker Mann mit großem Schnurrbart, trat zwischen fünf und sechs Uhr zu Minister Crailsheim, Graf Holnstein und Törring. "Sie sind verhaftet", sagte er, "und sollen sofort vor den König nach Schwanstein geführt werden." Eine Widerrede blieb vergeblich. Die Herren mußten dem Wachtmeister hinunter zum Schloßhof folgen. Da stand ein Teil der Hohenschwangauer Bauern-Feuerwehr, und fortwährend strömte das Bergvolk hinzu. Die Herren machten noch auf dem Hof einen Versuch, die Gendarmen eines Besseren zu überzeugen, aber die Behauptung, daß König Ludwig wahnsinnig sei, daß Prinz Luitpold die Regierung übernommen habe, verfehlte vollkommen die Wirkung und regte die Leute nur noch mehr auf.

      "Sie sind verhaftet", wiederholte der dicke Wachtmeister unaufhörlich. "Jetzt müssen's mit nach Schwanstein." Dann aber wendete sich der Alte vertraulich zu Graf Holnstein und raunte ihm zu. "Nachher helfen's mir, Herr Oberst." Er hatte ein dunkles Empfinden, als würden schließlich die Herren der Kommission doch recht behalten.

      Herr von Crailsheim war entrüstet über den Wachtmeister und behauptete, daß man gegen ihn vorgehen müsse. Ich suchte ihn zu beruhigen und wurde von Holnstein unterstützt, der so glücklich war, der Gefahr entronnen zu sein, daß er am liebsten die ganze Welt umarmt hätte.

      Das Gebirgsvolk, das im Schloßhof des alten Schlosses die Herren umringte, nahm mit jeder Minute eine drohendere Haltung an. Nur der Befehl des Königs, die Herren zu ihm zu bringen, hielt die Leute von Tätlichkeiten ab. Endlich setzte sich der Zug in Bewegung. Voraus ein Trupp Bergvolk und Feuerwehr, mit Beilen, keulenartigen Stöcken und Messern bewaffnet, dann Gendarmen, dann die Gefangenen. Hinter diesen wieder Gendarmen und ein Haufen Bergvolks. Eine Szene aus den Bauernkriegen. Die Drohungen nahmen kein Ende, aber die Gefahr, der die Gefangenen entgegengingen, war eine bei weitem größere. Denn ein Wort des wahnsinnigen Königs, dessen Zorn und Aufregung sich unaufhörlich steigerte, mußte genügen, um sie in seiner Gegenwart umzubringen. Gendarmen und Volk warteten nur auf dieses Wort, um unverzüglich zu gehorchen.

      So ging es die steilen Treppen vom alten Schloß Hohenschwangau hinunter auf die Landstraße und weiter den Weg nach Schwanstein hinauf. Auf halber Höhe kam ein Chevauxleger entgegengelaufen, und der Zug machte halt. Der Soldat

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