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aller Mütter, die Königin Marie, litt in ihrem Herzen Qualen um den verlorenen Sohn, der ihr wie ein Fremder begegnete – im ganzen Jahr ein paar Stunden –, der ihr den Befehl gab, Hohenschwangau zu verlassen, wenn seine Laune ihn in diese Gegend führte. Nur die Einfalt ihres Verstandes war die Gottesgabe, die ihr Frieden gab. Versunken in die ewigen Andachten der katholischen Kirche, der sie sich in die Arme geworfen hatte, suchte sie Trost.

      Während die Entscheidung nahte, befand sich der König in Schloß Berg am Ufer des Starnberger Sees und war von hier nach dem Linderhof, sodann nach Schwanstein übergesiedelt. Er hatte, nachdem seine Bemühungen, ein neues Ministerium zu bilden, gescheitert waren, jegliche Initiative in politischer Hinsicht verloren. Es war eine Willenslosigkeit des Wahnsinns, in die er langsam versank. Er glaubte an die Ausführung seines Befehls zur Ermordung des Ministers Lutz und zur Deportierung Riedels – und er glaubte auch wieder nicht daran. Er erfuhr von der bedenklichen Stimmung im Lande durch eine Serie Artikel der "Münchener neuesten Nachrichten", die der Friseur Hoppe ihm vorlas. Als aber eines Abends in diesem Blatte ein Artikel der "Wiener Presse" abgedruckt war, der von der Wahrscheinlichkeit der Einsetzung einer Regentschaft in Bayern sprach, verbot er dem Friseur das Weiterlesen. Da dieser jedoch darauf bestand, wurde er in Ungnade für immer entlassen.

      Diese letzte Energie, angewendet auf die Presse und diejenigen Elemente, die sich gegen ihn auflehnten, hatten damals vielleicht noch den König halten können. Aber er forderte nur einen Bericht von dem interimistischen Verwalter der Kabinettskasse, Klug, über "das, was man im Volke über seinen geistigen Zustand dächte" – und ließ sonst alles gehen, wie es ging. Er schimpfte und tobte vor seinen Stalleuten weiter gegen die Minister, die königliche Familie, seine Mutter, Deutschland, Kaiser und Kronprinz, von einem Exzeß der Brutalität in einen anderen fallend, dazwischen träumend und willenlos seinen Nachen dem Ende entgegentreibend sehend. Denn sein Bewußtsein war noch stark genug, um den ehernen Reif zu spüren, der um sein Leben lag und den zu zerbrechen seine Kräfte nicht ausreichten.

      Den Bann der dämonischen Gewalten, unter denen seine gewalttätige Natur sich beugen mußte, vermochte er nicht zu lösen. Er lebte im Kampfe – nicht des Guten mit dem Bösen –, sondern des autokratischen Gedankens mit der übrigen Welt – und mit seiner eigenen Schwäche. Ein Ruhepunkt war in dieser Gestaltung eines Wahnsinns nicht denkbar. "Der König" war verletzt durch jede Berührung mit der feindseligen, modernen Zeit, die ihn umgab. Darum lebte er einsam. In dieser Einsamkeit aber litt der "unnahbare König" unter Ausbrüchen von Gewalttat und Sinnlichkeit.

      Seine Schwäche empfand er als entsetzliches Elend und als Verbrechen gegenüber seiner "Majestät" – seiner Krone. In seinen häufigen, plötzlichen Ausrufen: "Niemals, niemals!" spiegelten sich Gedanken wider, die ihn quälten. Auch durch äußere Zeichen suchte er nach Halt. In seinem Wohnzimmer zu Berg sah ich am Tage seines Todes eine kleine Marmorsäule stehen, auf deren Sockel auf drei Seiten in Bronze die Worte stehen: Désormais jamais! Auf der vierten: Souvenez vous Sire! In seinen Tagebüchern aber, in dem traurigsten Denkmal seines Wahnsinns, verkleckst und verschmiert, in riesigen Buchstaben, steht allenthalben immer von neuem jamais, jamais, jamais – und drei große königliche Siegel sind darunter gedrückt.

      In diesem Leben zu eigener und fremder Qual, in dieser innerlichen Zerrissenheit taumelnd von Zweifel zu Atheismus und von Begeisterung zu Gewalttat, von grauenhafter innerlicher Einsamkeit zu abstoßender Vertraulichkeit mit rohem Volk, war jede Möglichkeit einer Verständigung ausgeschlossen. Unnahbar äußerlich und innerlich mußten die Maßregeln auch außergewöhnliche sein, die der Regierung des Königs ein Ende bereiten sollten.

      Es ist mir von königstreuen Bayern häufig in jenen Tagen gesagt worden, daß man einen ernstlichen Versuch hätte machen sollen, den König zur Abdankung zu bewegen. Doch nur völlige Unkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse und der Sinnesart des Königs vermochte solche frommen Wünsche zu zeitigen. Wer hätte es wagen dürfen, dem König von der Aufgabe seiner Krone zu sprechen? Seiner Krone!

      Die berühmte Tragödin Clara Ziegler erzählte, daß sie einst in einem Drama der königlichen Separatvorstellungen zu sagen hatte: "Diese Krone ist mir von Gott gegeben – und kein Mensch darf sie mir rauben." Einige Wochen später habe sie in der Nacht um zwei Uhr einen Königlichen Befehl erhalten, unverzüglich in das Schloß zu kommen.

      Als die Tür zu dem großen Krönungssaal des Schlosses, in dem die goldenen Bildsäulen der bayerischen Königsahnen stehen, geöffnet wurde, stand König Ludwig in vollem Königsornat vor ihr – die Krone auf dem Haupt, den Purpurmantel um die Schultern, das Zepter in der Hand. Er zeigte, als sie eintrat, auf die Krone, indem er die Worte aus dem Drama wiederholte. "Diese Krone ist mir von Gott gegeben – kein Mensch darf sie mir rauben" – und damit war die seltsame Audienz beendet. Die Türen schlossen sich.

      Fräulein Ziegler will in diesem Begebnis eine Erklärung für die Ermordung Dr. Guddens durch den König sehen. Denn dieser habe dem König durch seine ärztlichen Gutachten die Krone genommen. Es sei der Mord ein Akt der Rache gewesen – der Rache eines Wahnsinnigen.

      Sie irrt jedoch, wie aus meiner nachfolgenden Darstellung hervorgeht. Das Begebnis Clara Zieglers soll hier nur als ein Beleg zu meiner Behauptung angeführt werden, daß der König nie und nimmer zu einer Abdankung zu bewegen gewesen wäre. Denn Seine "Krone" war das Heiligtum eines Wahnsinnigen geworden, das er auch mit wahnsinnigen Mitteln verteidigt haben würde.

      IV.

      Die Entmündigungs-Kommission begibt sich zum König, ihre Verhaftung und Flucht.

      Am 9. Juni 1886 nachmittags begab ich mich zu meiner Familie nach Starnberg, wo sie auch in diesem Jahre ihren Aufenthalt genommen hatte. Die für die Entmündigung durch den Prinzen Luitpold eingesetzte Kommission sollte denselben Nachmittag auf dem Weg über Oberndorf nach Hohenschwangau abreisen. Die Nachricht von der Entmündigung des Königs war also am nächsten Vormittag zu erwarten.

      Das tiefe Geheimnis, in das sich die Regierung bezüglich ihres Schrittes hüllte, war in München nicht völlig bewahrt geblieben. Auf dem Bahnhof, bei meiner Abfahrt nach Starnberg, flüsterte mir der Zeitungsverkäufer zu. "Dort steht der Extrazug. Heute reisen sie zum König." Ich fragte, was man beabsichtige? Der Mann schwieg, er wußte es nicht. Soweit ging im allgemeinen das Verständnis. Man wußte, daß "etwas" im Werke war.

      Die Kommission bestand aus dem Minister des königlichen Hauses und des Äußern Freiherr von Crailsheim, dem Oberstallmeister Graf Holnstein, dem Reichsrat Grafen von Törring-Seefeld, dem Legationsrat Dr. von Rumpler, dem Oberstleutnant a. D. Freiherrn von Washington (der dem König nach seiner Entmündigung als diensttuender Kammerherr und Begleiter zugeteilt werden sollte) und den Ärzten, Spezialisten für Psychiatrie, Dr. von Gudden und Müller. Außerdem begleiteten die Kommission vier Irrenwärter. Obermarschall Baron Malsen begleitete die Kommission bis Oberndorf, begab sich aber von hier nach der königlichen Villa Elbingeralp zu der unglücklichen Königin Mutter, um ihr von den Schritten zu berichten, die gegenüber ihrem Sohne notwendig geworden waren.

      Es war nicht leicht gewesen, die Kommission zusammenzusetzen. Nicht nur gehörte persönlicher Mut zu der schwierigen Aufgabe, sondern auch der Mut, der öffentlichen Meinung zu trotzen, die die Handlungsweise der Kommission für unvereinbar mit den Pflichten treuer Diener gegen ihren König hielt, selbst wenn man den Vorgang an und für sich nicht verurteilen konnte. Jedenfalls wäre der Standpunkt einer Ablehnung, an der Kommission teilzunehmen, berechtigt und verständlich gewesen.

      Herr von Crailsheim, mit dem ich zum Erstaunen von ganz München seit Jahren intim bekannt bin – denn an seinem kalten, höflichen Wesen gleiten gewöhnlich alle diejenigen ab, die ein Bestreben haben, ihm näher zu treten –, ist ein jungaussehender Mann von größerem Fleiß und größerer Arbeitskraft als irgendeiner in seinem Ministerium. Sein Verstand ist angenehm ruhig und überlegt.

      Über den Oberstallmeister Graf Holnstein läßt sich mehr sagen. Denn er ist der politische Aventurier nach Art des achtzehnten

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