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schien sich der Tragweite seiner beabsichtigten Handlung nicht bewußt zu sein, auch wurde er zahmer, als ich ihm aussprach, daß bei der Lage der Dinge unzweifelhaft die vernünftige Regierung in München gegenüber einem unvernünftigen König recht behalten werde – daß er aber sicherlich für die Folgen seiner Handlung verantwortlich gemacht werden würde.

      Der Schluß dieser sehr erregten Unterhaltung war das Versprechen, das mir Dürkheim in die Hand gab, dem König keine Meldung machen zu wollen.

      "Ich werde schweigen", sagte er, "solange der König mich nicht ruft."

      Dieses war bei der Stimmung des Königs gegen seine Adjutanten so unwahrscheinlich, daß ich die Klausel annahm.

      Als er aber später in der Tat vom König gerufen wurde, war die Katastrophe eingetreten und der wahnsinnige König ein gebrochener Mann, der nicht mehr fähig war, auf den Rat seines Adjutanten zu hören.

      Graf Alfred Dürkheim, von dem in den erregten Tagen der Königskrise soviel die Rede war, ist ein starkknochiger, gewöhnlich aussehender Mensch, der nicht viel gelernt hat, aber viel natürlichen Verstand besitzt. Maßlos eitel, verstand er es stets, von sich reden zu machen, hauptsächlich durch seine Art, jungen und hübschen Frauen die Kur zu machen. Ich habe niemals jemand gesehen, der seine Verliebtheit, die häufig nur eine Komödie war, derartig zur Schau trug. Plump wie sein Wesen war auch die Art seiner Liebe: " un Don Juan de village." Der Ruf dieser Eigenschaft und seine Eleganz in Kleidung und Uniform hatten eine Russin, Gräfin Bobrinski, veranlaßt ihm ihre Hand mit 30 000 Rubel jährlicher Einkünfte zu geben – par débit, denn sie liebte meinen Freund Graf Viktor Henkel , der sie klugerweise nicht wollte.

      Diese Frau, ein schönes Weib voller russischer Eigenschaften; oberflächlich, unruhig, phrasenhaft – stolz auf ihre Abkunft von der Kaiserin Katharine (aus ihrer Verbindung mit Orloff) –, hatte nach kurzer Zeit die engen Verhältnisse Münchens und den Typus ihres Mannes satt. Schon nach meiner ersten Unterhaltung mit ihr sah ich den Abgrund, an dem dieser stand. Sie suchte nicht etwa Liebe, sie wollte mit den engen Verhältnissen brechen, in die sie geraten war. Das warf einen tiefen Schatten auf Dürkheims Ehe. Da kam es im Jahre 1883 zu einer Krise. Prinz Arnulf von Bayern , der der Gräfin in rücksichtsloser und wenig ritterlicher Weise huldigte, schrieb ihr ein Billet, in dem er sie ersuchte, ihn während einer Abwesenheit ihres Mannes zu empfangen. Die Gräfin zeigte Dürkheim diesen Brief, und dieser fuhr in das Palais, um den Prinzen zu fordern. Prinz Arnulf nahm die Forderung an, aber sein Bruder Leopold hinterbrachte die Sache dem König. Dieser verbot das Duell, wies Prinz Arnulf in den schärfsten Ausdrücken zurecht, ernannte Dürkheim zum Hauptmann und machte ihn zu seinem Flügeladjutanten.

      So war Dürkheim durch seine Frau plötzlich zu Rang und Würde gekommen. Der König war voller Huld für ihn, zeichnete ihn bei Galatafeln, die damals noch im Winter hin und wieder im Schlosse abgehalten wurden, aus, aber als er mit Dürkheim kurz darauf in die Berge fuhr, hieß er ihn plötzlich nachts auf der Landstraße, in einer regnerischen Novembernacht, aussteigen und fuhr davon. Es war das letzte Mal, daß er einen Adjutanten sah.

      Die Gräfin hielt noch etwa ein halbes Iahr an der Seite des Flügeladjutanten aus – dann reiste sie ab und überließ dem Vater ihr kleines Mädchen und einen sehr geringen Teil ihres Geldes. Sie kehrte zu ihrer Mutter zurück, der allgemein, und wohl nicht mit Unrecht, der Vorwurf gemacht wird, ihren ersten Gemahl Bobrinski, – sie war in zweiter Ehe mit einem Grafen Kreuz vermählt – ermordet zu haben, um den Grafen Kreuz zu heiraten. Graf Bobrinski wurde als verkohlter Leichnam in seinem Bett aufgefunden, und durch Begießen mit Petroleum soll es möglich gewesen sein, eine so totale Verbrennung herbeizuführen. Wertsachen fehlten keine – die Frau war ganz allein mit ihm in seinem Schlosse auf dem Lande gewesen.

      Nach diesem traurigen Ausgang seiner Ehe trat Dürkheim als Don Juan de village wieder in den Vordergrund, und das air de coeur blessé, das er sich gab, verlieh ihm in den Augen der Münchener Damen einen erhöhten Reiz.

      Es zogen sich jetzt zwischen Hangen und Bangen die Tage hin. Graf Werthern und ich bangten um die Existenz des Ministeriums, die Minister verstärkten durch ihre Vernehmungen das immer noch nicht genügende Beweismaterial für den Wahnsinn des Königs. Die Münchener Gesellschaft aber, die den wahren Sachverhalt nicht kannte und in fieberhafter Spannung eine Entscheidung erwartete, griff in allen Tonarten das Ministerium an, das die "Taktlosigkeit beging, Leute niederen Standes über den König auszufragen".

      Niemand machte sich klar, daß ein König staatsrechtlich die eine Sekunde noch als vernünftig, die nächste als wahnsinnig gelten mußte, daß nicht wie in Privatkreisen einem geistig erkrankten Menschen allmählich und unmerklich die Aktionsfähigkeit entzogen werden kann, sondern daß in einem gegebenen Augenblick alle Regierungshandlungen des Königs gültig bzw. ungültig sein mußten.

      Im Publikum wußte man von den Vorgängen wenig. Wohl las man mit Erstaunen und Unruhe die in der Presse auftauchenden Gerüchte über einen totalen Zusammenbruch des königlichen Vermögens, aber man verstand nicht, daß die Serie von Artikeln über "die Geschichte der Königlichen Cabinettskassa" in den "Münchener Neuesten Nachrichten" eine inspirierte Vorbereitung auf den Abschluß unmöglicher und unhaltbarer Zustände an höchster Stelle waren.

      Da trat in den letzten Tagen des Monats Mai, die Krise beschleunigend, ein Ereignis von weittragender, politischer Bedeutung zu den nun bereits erdrückenden Resultaten der Erhebungen über den geistigen Zustand des unglücklichen Königs hinzu.

      Königin Isabella von Spanien war zur Wochenpflege ihrer Tochier Maria de la Zaz, Prinzessin Ludwig Ferdinand von Bauern , nach Nymphenburg gekommen und hatte in ihrer Gutmütigkeit wohl den Wunsch geäußert, dem König aus seiner Geldverlegenheit zu helfen. Denn sie teilte die Auffassung ihrer Kinder, daß der König noch nicht so wahnsinnig sei, wie gewisse Kreise ihn hinstellten.

      Es ist möglich, daß von ihr zuerst der Gedanke angeregt wurde, von dem Hause Rothschild, dem sie durch ihre Pariser Beziehungen befreundet – (denn die Königin lebte nach ihrer Vertreibung aus Spanien in Paris)–, dem König Hilfe zu bringen. Bei den Interessen, die das Haus Orleans mit dem Bankhause Rothschild verbanden, lag es nahe, die Orleans hinter dem Angebot zu vermuten, das in der Tat durch Vermittlung des Prinzen Ludwig Ferdinand dem Könige durch die Rothschilds von Paris gemacht werden sollte. Zugleich aber erhielt der Prinz Kenntnis davon, daß der König jede beliebige Summe erhalten könne, falls er sich verpflichtete, in einem Kriege Frankreichs mit Deutschland neutral zu bleiben.

      Prinz Ludwig Ferdinand, ein durchaus loyaler Mann, der dem König persönlich sehr ergeben war und wie das ganze Haus Adalbert – (schon aus Opposition gegen das Haus Luitpold) – zum König hielt, machte dem Ministerium von diesem Vorschlag Mitteilung, da er "zu seinem Bedauern" überzeugt war, daß der König sofort auf diese Bedingung eingehen würde. Er befürchtete auch mit Recht, daß noch durch andere Vermittlung als die seine König Ludwig ähnliche Vorschläge erhalten werde.

      Die national-deutsche Rolle, die der König 1871 gespielt hatte, war ein geschickt, durch den Oberstallmeister Graf Holnstein in Szene gesetzter Theatercoup. Allerdings hatte König Ludwig dem König Wilhelm die Kaiserkrone angetragen – als aber der erbliche Kaiserthron der Hohenzollern entstand, verflog der künstliche deutsche Rausch, den Richard Wagner in dem Hirn des jugendlichen Königs festgelegt hatte und machte jenem Hasse gegen das preußische Königshaus und gegen alles deutsche Wesen Platz, der das Bild des unglücklichen Wahnsinnigen vor ganz Deutschland völlig zu trüben drohte. Um jedoch das Bild des trotz aller seiner Sonderbarkeiten hochverehrten Königs vor den Augen Bayerns – des unzweifelhaft königtreuesten Volkes Europas – nicht zu schädigen, wurde die Fikton seiner deutschen Gesinnung mühevoll öffentlich aufrecht gehalten.

      III.

      Die Entmündigung des Königs wird beschlossen.

      Die Gefahr, daß an den König ein neues französisches Anerbieten herantreten könne, trieb

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