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waren von Oberndorf in den Hofwagen vorausgefahren", sagte Graf Holnstein, "das Gepäck aber lag auf dem Postfuhrwerk. Da wir nun durchaus in Uniform vor dem König erscheinen mußten und diese Kleidungsstücke erst zwei Stunden später mit dem übrigen Gepäck anlangten, so waren wir gezwungen, zu warten." (!)

      Ich schwieg zu dieser Erklärung, denn ich fand kein Wort für eine derartige Unachtsamkeit. Nachdem man in anerkennenswert diskreter Weise den Plan zur Entmündigung des Königs wochenlang geheimgehalten hatte, – nachdem die Abreise der Kommission in Hohenschwangau und der nahen Stadt Füssen absolut unbekannt geblieben war und die Überrumpelung des unglücklichen Königs vortrefflich eingeleitet schien, fällt der ganze Aufbau des Planes zusammen, weil die Herren ihre Uniformen im Koffer haben.

      Dr. Müller schildert in seiner Broschüre. "Die letzten Tage König Ludwigs II." die Art, wie dem König das Faktum von seiner Thronentsetzung mitgeteilt werden sollte.

      "Gudden stellte sich dies folgendermaßen vor: Zuerst würden die Staats- und Hofbeamten vor den König hintreten und ihm die Erklärung von der durch seine Erkrankung bedingten Übernahme der Regentschaft durch den Prinzen Luitpold vorlesen; dann trete Gudden mit mir und den Pflegern ein und teile dem König mit, daß die ärztliche Behandlung nun ihren Anfang nähme; Majestät würde gebeten, in den bereitstehenden Wagen einzusteigen und mit nach dem Linderhof fahren, welcher als vorläufiger Aufenthalt ausersehen sei. Guddens weitere Vorschläge beim Souper gingen dahin: Zwei Pfleger sollten mit dem König und ein dritter auf dem Bock desselben Wagens fahren, der eine von uns Ärzten führe voraus, der andere hinterdrein. Gerade über den letzten Vorschlag wurde viel gesprochen, und es wurden Bedenken laut, ob es tunlich sei, dem König das Wartepersonal in den Wagen hinein mitzugeben, und schließlich einigte man sich dahin, der König solle allein bleiben, auf dem Bock könne ja ein Pfleger sitzen, und zur besseren Beaufsichtigung schiene es geraten, wenn während der ganzen Fahrt ein Reitknecht des Königs neben dem Wagenschlag herritte. Gudden erklärte sich mit diesen Vorschlägen einverstanden, äußerte aber, es können ja Fälle eintreten, die unvorhergesehene Maßregeln erheischten, und für diese Fälle müsse er freie Hand behalten."

      Dr. Müller fährt nun fort, indem er die Versäumnis der Abgesandten – das Warten auf ihre Uniformen! – als ein beabsichtigtes Zögern darstellt. "Ungefähr um drei Uhr in der Frühe wurden wir alarmiert, wir sammelten uns im Schloßhof und fanden dort dieselben Hofwagen, die uns von Oberdorf herübergebracht hatten. Außerdem stand der für den König bestimmte Reisewagen bereit. Wir fuhren eher von Hohenschwangau ab, als vorgesehen war. Man hat mir erzählt, ein Stallbediensteter des Königs hätte ihm die Anwesenheit der Kommission verraten und so den verfrühten Aufbruch veranlaßt. Es liegt nicht in meiner Befugnis, darüber nachzuforschen, inwieweit diese Erzählung auf Wahrheit beruht."

      Ich fragte während unserer Rückfahrt von Hohenschwangau nach München im Kupee den Grafen Holnstein: "Wer hat dem König Ihre Ankunft verraten?" "Ein Stalldiener", sagte er – "und die verrückte Person, die Truchseß."

      Ich erfuhr später bei einem Besuch in Hohenschwangau von der dicken Wirtin des Gasthauses "Zur Alpenrose", daß der Kutscher Oberholzer die erste Nachricht von der Ankunft der Kommission dem König überbracht habe.

      Oberholzer, des Königs Leibkutscher, der ihm besonders treu ergeben war, hatte, unmittelbar nach dem Eintreffen der Abgesandten, vom Grafen Holnstein den Befehl erhalten, den Reisewagen des Königs nach Angabe der Krankenwärter herzurichten. Dieses geschah, indem mit starken Stricken eine Tür und die Fenster verschnürt wurden; die andere Tür wurde aber so eingerichtet, daß nach dem Besteigen des Wagens ein Strick auch diese verschließen konnte.

      Die traurige Arbeit, die Oberholzer weinend verrichtete, fand bei dem Stall unten an der Landstraße statt – so öffentlich, daß die allmählich alarmierten Bewohner von Hohenschwangau sie sehen konnten. Zugleich aber beging einer der Irrenwärter die grobe Ungeschicklichkeit, auf dem Schloßhof in Hohenschwangau eine Flasche fallen zu lassen, deren Inhalt beim Bersten einen betäubenden Geruch ausströmte.

      Wie ein Lauffeuer ging es nun von Mund zu Mund, daß man nicht nur den König entführen, sondern ihn betäuben, wenn nicht gar töten wolle. Da nun aber, nach Beendigung der Vorbereitungen für den Transport des Königs, die Uniformen der Herren Abgesandten nicht angelangt waren, blieb der verschnürte Reisewagen des Königs unangespannt stehen, und Oberholzer fand Zeit, nach Schwanstein, hinauf zum König, zu laufen, um ihm das beabsichtigte Attentat auf seine Freiheit zu melden. Er drang in das Schlafzimmer des Königs ein, weckte ihn und erzählte, was geschehen war.

      Sofort gab der König den Befehl, daß die Gendarmerie niemand – wer es auch sei – in das Schloß einlassen dürfe, daß sie sich einem Eindringen, wenn nötig, mit Gewalt zu widersetzen habe.

      Fast gleichzeitig mit Oberholzer aber war noch eine zweite Persönlichkeit zum König eingedrungen, die an jenem Tage des 10. Juni fast allein die Schuld trug, daß die Erregung der Bergbevölkerung einen außerordentlich leidenschaftlichen, gefährlichen Charakter annahm: unsere Freundin, Baronin Esperanza Truchseß!

      Sie hatte für diesen Sommer, "um in der Nähe des Königs zu sein", eine Villa bei Hohenschwangau gemietet. Ihr Aufenthalt in Leoni, am Ufer des Starnberger Sees, wo sie im verflossenen Jahre Gelegenheit gehabt hatte, den König während seiner Fahrten in der Nähe des Schlosses Berg zu sehen, genügte ihr nicht mehr. Von der drohenden Entmündigung des Königs aber hatte sie wohl durch die Familie Dürkheim in Steingaden unbestimmte Kenntnis erhalten. Das hielt sie wach.

      Fast unmittelbar nach Ankunft des Reisewagens, der die Kommission von Oberndorf brachte, war sie mit der dicken Wirtin des Gasthauses "Zur Alpenrose" nach Schloß Schwanstein aufgebrochen. Unbeirrt durch die Kette von Dienern, die den König umgab, drang sie in das Schloß und bis in das Vorzimmer des Königs.

      Sie schob den diensttuenden Diener beiseite, öffnete die Tür und warf sich dem soeben angekleideten König zu Füßen.

      "Mit meinem Leben werde ich Ew. Majestät schützen!" rief sie in höchster Erregung.

      Der König veranlaßt sie aufzustehen, dankte ihr und sagte, daß er hoffe, sich selbst schützen zu können.

      Die Baronin aber stürzte nun hinaus auf den Schloßhof und gab den Befehl, die Sturmglocken im Ort zu läuten, um die Floß- und Holzknechte, die Senner und Arbeiter aus den Bergen zu rufen.

      Die Bewohner Hohenschwangaus und des Schlosses folgten dem Ruf der Baronin, deren Güte, Wohltätigkeit und Frömmigkeit weit und breit bekannt und verehrt war.

      Auf das Sturmzeichen eilten nun von allen Höfen die Männer herbei, Sensen, Äxte, Gebirgsstöcke, Messer in den Händen – eine Schar wie in der Sendlinger Schlacht.

      Während diese Bewegung lawinenartig anschwoll, waren endlich die ominösen Uniformen angekommen. Die Großwürdenträger legten diese an und begaben sich in Begleitung der Ärzte im Wagen zum Schloß Schwanstein hinauf.

      Dr. Müller schreibt hierüber: "Gegen vier Uhr früh kamen wir in Schwanstein an. Es war eine traurige Fahrt, kalter Regen schlug uns ins Gesicht, schwere Nebel hingen über dem Wald. Es begann langsam zu dämmern. Schwanstein selbst mit seinen gewaltigen Quadern machte in dieser Waldeinsamkeit einen gewaltigen Eindruck. Aber trotz seiner Schönheit läßt es nicht verkennen, daß diese Unsumme von Türmchen und Zinnen Ausgeburten eines kranken Hirnes sind."

      Als die Kommission durch das Tor an der Zugbrücke in den Schloßhof fahren wollte, standen Gendarmen mit gefälltem Bajonett davor.

      Graf Holnstein, der eine militärische Uniform trug, versuchte die Gendarmen zu bewegen, die Kommission einzulassen. Es war vergeblich. Sie beriefen sich auf den bestimmten Befehl des Königs und drohten, von ihrer Waffe Gebrauch machen zu wollen, wenn die Herren darauf beständen, einzudringen. Nach einer peinlichen Stunde des Parlamentierens und Beratens, in dem Gefühl, mit ihrer bedeutsamen Mission gescheitert zu sein und in der Besorgnis, damit zugleich

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