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daß wegen Mangels an Ketten die Gefangenen vorläufig ungeschlossen nach Schwanstein geführt werden müßten. In banger Erwartung wurde das Tor der Burg erreicht. Hier aber hatte sich das Bergvolk nach Hunderten zusammengeschart, und die Gefangenen, deren Anblick die erregten Gemüter in noch größere Aufregung versetzte, gerieten in eine äußerst bedenkliche Lage. Zu dem drohenden Gemurmel des Volkes läuteten unten die Sturmglocken, und Baronin Truchseß steigerte noch die Stimmung der Masse durch Zurufe. "Ihr habt nur einen König, das ist König Ludwig. Nur ihm habt ihr zu gehorchen. Er ist euer König von Gottes Gnaden. Dieses sind Verräter – glaubt ihnen nicht. Sie wollen euerm König Gewalt antun. Schützt ihn."

      Graf Holnstein schilderte mir in lebhaften Farben den Eindruck dieser aufregenden Worte, während Herr von Crailsheim schwieg. Ich erfuhr später, daß die Baronin die bittersten Vorwürfe gegen die Gefangenen gerichtet und Herrn von Crailsheim unter anderem zugerufen habe: "Sie sind ein noch viel elenderer Minister, als Sie Tapeur sind ." Diese öffentliche verächtliche Kritik seiner künstlerischen Leistungen auf dem Klavier aus dem Munde der Dame, der er huldigte und mit der er, der künstlerisch bei weitem Überlegene, nur aus einer Art Courtoisie, vierhändig spielte, mußte den Minister allerdings tief kränken. Das Schweigen Crailsheims bei Holnsteins Erzählung und das Faktum, daß der Minister später niemals den Namen der Baronin Truchseß nannte, sprachen dafür, wie tief ihr Hieb gesessen hatte. Die große Gefahr, in der die Gefangenen tatsächlich schwebten und zugleich der Hohn der verehrten Baronin im Kreise der drohenden Bauern mag sich ihm wohl unauslöschlich tief eingeprägt haben.

      Wie eigentümlich aber spielte das Schicksal auch. Noch vierzehn Tage vor diesem Ereignis hörte ich des Abends, im gastlichen Salon der Baronin, den Minister mit ihr vierhändig spielen! – und jetzt trat sie unter Sensenmännern ihrem musikalischen Partner gegenüber und bedrohte sein Leben.

      Graf Holnstein war bei Schilderung dieser Szene in die größte Erregung gekommen. "Der große Kerl", sagte er, "entsinnen Sie sich seiner, Crailsheim? – der mit dem langen Stock – ein verfluchtes Gesicht." Dann fuhr er fort. "Ich habe zweimal infame Duelle ausgefochten – aber lieber noch zehn solche als eine einzige Stunde in derartiger Lage. Man ist ohnmächtig! – und sich jede Sekunde sagen zu müssen, daß man wie ein Hund totgeschlagen werden wird – das ist wahrhaftig unerträglich!"

      In diesem Ton ging die Darstellung weiter, und der wohltätige Einfluß des Rühreis von Peißenberg ging unter dem weiterwirkenden Eindruck der eben durchlebten Schrecknisse allmählich wieder verloren.

      In dem Schloßhof angelangt, erwarteten die Gefangenen unter den Augen jener "wilden Kerls", die Graf Holnstein so lebhaft schilderte, die Entscheidung des Königs. Diesem war die Meldung von ihrer Ankunft durch einen Diener erstattet worden. Den Gefangenen war es vollkommen klar, daß ihr Leben gegenüber König Ludwig verwirkt war, und sie erwarteten voller Bangen die Rückkehr des Dieners. In fieberhafter Aufregung sahen sie ihn endlich erscheinen und leise Worte mit dem Gendarmerie-Wachtmeister wechseln.

      Der König hatte den Befehl gegeben, sie nicht vorzuführen, sondern vorläufig in den Kerker zu werfen, wo sie in Ketten seiner Befehle zu harren hätten. Fast gleichzeitig erschien ein anderer Bote mit dem Befehl, den Gefangenen im Kerker die Augen auszustechen und sie zu Tod zu prügeln. Der einfache Tod erschien dem König nicht genügend – und diese Grausamkeit ist wohl die Rettung der Gefangenen geworden. Denn aus dem entsetzlichen Befehl des Königs blickte der Wahnsinn, und die Gendarmen standen den fürchterlichen Forderungen, die der König an sie stellte, ratlos gegenüber, während sie z.B. dem einfachen Befehl des Erschießens unzweifelhaft Folge geleistet haben würden.

      Man einigte sich schließlich dahin, die Gefangenen in den Zimmern des Pförtnerhauses unterzubringen. Essen wurde ihnen nicht gereicht, und auf die Anfrage, die sie früh um acht Uhr an den König richten ließen, ob sie wohl ihre Koffer erhalten könnten, erhielten sie den Bescheid, "daß für Hochverräter ihre schäbige Kleidung genügend sei". König Ludwig hatte also in diesem Augenblick wieder völlig vergessen, daß er den Befehl zu der Ermordung gegeben hatte.

      Zwischen Graf Holnstein und dem Stallpersonal des Königs, das seit Jahren auf seine Befehle zu hören gewohnt war, entspann sich nun ein heimlicher Verkehr, der darauf hinzielte, den Gefangenen zur Flucht zu verhelfen. Die drohende Haltung des im Schloßhof und vor der Burg versammelten Landvolkes schien jedoch vorderhand jeden Plan vereiteln zu wollen.

      Unterdessen waren auch die übrigen Herren der Kommission als Gefangene zum Schloß gebracht worden. Nur Legationsrat Dr. Rumpler fehlte. Der gütige kleine Mephistopheles mit den hohen Schultern war bei dem Transport vom alten Schloß Hohenschwangau zum Schwanstein mit katzenartiger Gewandtheit hinter einen Fels gesprungen, hatte sich zwischen den Beerensträuchern niedergeworfen und verborgen gehalten, bis der Zug der Gefangenen mit Gendarmen und Landvolk vorübergezogen war. Dann hatte er auf heimlichen Waldpfaden den Rückweg nach der Station Peißenberg genommen, wo er todmüde anlangte.

      Während des Aufenthaltes der Gefangenen in den Zimmern des Torhüterhauses war Baronin Truchseß im Schloßhof geblieben. In geschäftiger Weise verkehrte sie mit dem Landvolk.

      Aber auch der König war nicht untätig geblieben. Er hatte ein Telegramm an das Jägerbataillon nach Kempten gerichtet, das den Befehl enthielt, sofort nach Hohenschwangau aufzubrechen. Zugleich aber hatte er ein Telegramm an den Baumeister Prantl, ein anderes an den Flügeladjutanten Grafen Dürkheim abgesandt.

      Da nun aber unterdessen die Übernahme der Regentschaft durch Prinz Luitpold in München erfolgt war, gaben die hiervon verständigten Bahnbehörden die Telegramme des Königs an die neue Regierung ab, und das Jägerbataillon blieb ohne Nachricht. Noch waren die Truppen nicht vereidet. Wäre der königliche Befehl in die Hände der Kemptener Truppen gelangt, hätten große Unzuträglichkeiten eintreten müssen.

      Anders war es mit den Depeschen an Graf Dürkheim und Prantl. Beide waren an ihre Adressen gelangt. Während Prantl aber keine Antwort darauf gab, machte sich Dürkheim eilend auf den Weg zum König.

      So war es bei immer gesteigerter Aufregung ein Uhr geworden. Da hatte sich das Landvolk zur Mittagsmahlzeit teils hinunter in das Dorf, teils in die Räume des Schlosses selbst begeben, wo sich auch Baronin Truchseß aufhielt, wie eine Generalin unter ihren Soldaten.

      Der Bezirksamtmann von Füssen aber hatte jetzt die Nachricht von dem Regierungswechsel aus München erhalten und versuchte auf die Gendarmen einzuwirken. So war bei schließlicher Verständigung der Fluchtplan entworfen: der Vierspänner des Grafen Holnstein sollte am Fuße des Berges warten, die Gefangenen, von den Gendarmen unbehelligt, sollten einzeln vorsichtig zum Tore hinausgehen, während das Landvolk die Mittagsrast hielt und die Baronin gleichfalls ruhte.

      Mit klopfendem Herzen wurde der Plan zur Ausführung gebracht, und ein Herr nach dem andern verließ heimlich und in fieberhafter Aufregung das Schloß, um unten, am Fuß des Berges, den rettenden Wagen zu besteigen. Die Gefahr war groß, von dem Bauernvolk unterwegs erkannt zu werden, und die Zeit bis zum Zusammentreffen im Wagen verstrich in peinlicher Angst.

      In einiger Entfernung von Hohenschwangau begegnete den Flüchtlingen ein Zweispänner, in dem der Flügeladjutant Graf Dürkheim saß. Das Telegramm des Königs hatte ihn in Steingaden erreicht, und er war sofort aufgebrochen, um dem König zu Hilfe zu eilen. Er fuhr bei den "Hochverrätern" vorüber, ohne sie zu grüßen.

      Während ich nun mit den Flüchtlingen gemeinschaftlich die Rückfahrt von Peißenberg antrat – war Graf Dürkheim auf Schloß Schwanstein angelangt.

      Er erzählte mir, als er mich kurze Zeit nachher in Starnberg aufsuchte, folgendes über seinen letzten Aufenthalt bei König Ludwig.

      "Ich ließ mich nach meiner Ankunft auf dem Schloß dem König melden, daß ich zu seinem Befehl sei. Er befahl, mich in sein Arbeitszimmer zu führen und empfing mich sehr freundlich. Er sagte mir: ›Helfen Sie mir aus meiner Verlegenheit; ich wurde in der Nacht plötzlich mit der Nachricht geweckt, daß mehrere Herren gekommen seien, mich mit Gewalt fortzuführen. Ich habe sie

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